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Das Ende der Sonderlinge

Von Bettina Figl

Politik
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Nicht hören, sprechen, sehen: Arten der Behinderung von Kindern gibt es viele. Um ihnen eine selbstbestimmte Zukunft zu ermöglichen, muss sich im Schulsystem einiges ändern.
© fotalia

Sonderschule soll zum Sonderfall werden - doch Schülerzahlen steigen.


Wien. Kann eine Schülerin, wenn sie im Rollstuhl sitzt und gewickelt werden muss, eine Regelschule besuchen? Und wieso soll ein Kind aufgrund seiner schlechten Deutschkenntnisse in eine Sonderschule? Integrationsklasse oder Sonderschule: Die Entscheidung, in welchen Schultyp sie ihr Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf geben, liegt bei den Eltern. Ihnen stehen Experten der Sonderpädagogischen Zentren beratend zur Seite. Experten kritisieren, die "Beratung" würde oft zugunsten der Sonderschule ausfallen (siehe Interview). "Ich glaube nicht an tendenziöse Beratung", sagt die Leiterin eines Sonderpädagogischen Zentrums zur "Wiener Zeitung" und verweist darauf, dass die von Österreich unterschriebene UN-Konvention nicht dezidiert die Abschaffung der Sonderschulen empfiehlt - man habe sich lediglich verpflichtet, ein "inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen" zu gewährleisten.

In der Sonderpädagogik geht der Trend jedoch weg von den Sonderschulen hin zur Inklusion: Schüler mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen sollen an Regelschulen unterrichtet werden. "Inklusion ist ein hehres Ziel, da kann niemand nicht dahinterstehen", sagt die Leiterin, die namentlich nicht genannt werden will, und: "Das ist auch eine Kosten- und Personalfrage."

Das Personal, also die Lehrer, werden durch Inklusion vor ganz neue Aufgaben gestellt. Dass ihre sonderpädagogische Ausbildung aufgewertet werden soll, sieht auch der Gesetzesentwurf zur Lehrerausbildung vor: Sowohl im Bachelor- als auch im Masterstudium wird es fortan die Möglichkeit geben, den Schwerpunkt auf Sonderpädagogik zu setzen: "Vom Ausmaß ist das deutlich mehr als die derzeitigen sechs Semester", bestätigt Andreas Schnider. Der Leiter der Arbeitsgruppe zur Reform der Lehrerausbildung stellt aber auch klar: "Inklusive Kompetenz muss jeder Lehrer haben." Er ist damit auf einer Linie mit Bildungsexperten wie Marianne Schulze.

Am Freitag findet eine Diskussion zu dem Thema an der Universität Wien statt (siehe Infokasten). Erfreut darüber, dass die Debatte nun tagesaktuelle Brisanz bekommt, sagt Gottfried Biewer vom Institut für Bildungswissenschaft: "In den nächsten Wochen werden wesentliche Entscheidungen im Bereich der inklusiven Pädagogik getroffen."

"In sehr wenigen AHS gibt es Integrationsklassen"

Für ihn besteht ein wesentliches Problem darin, dass es Integrationsklassen fast ausschließlich im Pflichtschulbereich gibt, nicht aber in den höheren Schulen: "Da gibt es ganz wenige, 14 in Wien und in manchen Bundesländern nur eine Handvoll." Auch dass Studierende mit Behinderung laut der Studierendensozialerhebung 2011 die Matura öfter über den zweiten Bildungsweg nachholen als ihre Kommilitonen spricht dafür, dass Inklusion in den AHS und BHS noch zu kurz kommt.

Österreichweit gibt es etwa 12 Prozent Studierende mit Behinderung, an der Universität Wien, der größten Uni des Landes, steht ihnen Birgit Virtbauer als Behindertenbeauftragte beratend zur Seite. Sie berichtet: "Die meisten waren im Regelschulwesen integriert und hatten sehr engagierte Eltern." Virtbauer und erinnert ruft damit in Erinnerung, was Inklusion und Förderung ermöglichen können.

Wissen & Tipps

Die Zahl der Schüler, bei denen ein sonderpädagogischer Lehrbedarf festgestellt wird, ist seit der Einführung von Integrationsklassen gestiegen. In der Steiermark werden mehr als 80 Prozent aller Kinder mit einem sonderpädagogischen Lehrauftrag integriert, in Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg jeweils nur etwas mehr als 30 Prozent.

Am Freitag findet im Institutsgebäude Bildungswissenschaft in Wien die Diskussion "Neue Lehrer für behinderungsgerechte Schulen" statt. Es diskutieren: die Bildungsexperten Marianne Schulze, Stefan Hopmann und Gottfried Biewer von der Uni Wien und die behindertenpolitischen Sprecher Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ), Franz-Joseph Huainigg (ÖVP), Helene Jarmer (Grüne).

Die neue Version der Homepage für Studierende mit Beeinträchtigung soll kommende Woche online gehen: barrierefrei.univie.ac.at, neu überarbeitet wurde außerdem die 84 Seiten starke Broschüre "Barrierefrei studieren".