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Proletarierpop

Von Iga Mazak

Politik
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Die antifaschistische Hymne "Die Arbeiter von Wien" steht heute auf dem Programm.
© Mazak

Dort, wo Unrecht geschieht, erhebt der eigenwillige Chor seine Stimme.


Wien. Jeden Mittwochabend hört man lauten Gesang aus dem Keller des Wiener Integrationshauses im 2. Bezirk. Raue Männerstimmen mischen sich hier mit weichen Frauengesängen. "Wacht auf, Verdammte dieser Erde", tönt es da. Es ist die erste Strophe der "Internationalen", dem Kampflied der sozialistischen Arbeiterbewegung. Schnell wird klar: In diesen Kellerräumen probt ein Chor der anderen Art. Es ist der "Hor 29 Novembar", der Wiener Partisanenchor.

Wer Kirchenmusik und Hits aus den Charts erwartet, ist hier an der falschen Adresse. Nicht der liebe Gott oder die Angebetete werden hier besungen, sondern die Unterprivilegierten, jene, die keine Stimme haben. Der "Hor 29 Novembar" hat sich den Idealen des Proletariats verschrieben. Seit vier Jahren üben rund 20 Männer und Frauen die Klassiker der Arbeiterbewegung.

"Wir sind kein Chor, wir sind ein Anti-Chor", posaunt Saa Miletic. Der 34-jährige Serbe ist der Chorleiter des "Hor 29 Novembar." Heute Abend werden "Die Arbeiter von Wien" geprobt, eine antifaschistische Hymne, die während der Wiener Julirevolte 1927 entstand. Ernst steht Miletic mit seiner Gitarre vor der bunten Truppe aus Studenten, Künstlern und Akademikern. Die langen Haare hängen ihm tief ins Gesicht. Ein bisschen erinnert er mit seinem strubbeligen Bart an den slowenischen Philosophen Slavoj iek. Vielleicht wurde ihm auch deswegen der Künstlername Slavooy Zhizheck Junior verpasst.

Vor vier Jahren hat Miletic den Partisanenchor gegründet. Der Name bezieht sich auf den Gründungstag der Bundesrepublik Jugoslawien im Jahr 1943. Man gedenkt der Zeit, als das Land noch ganz war, Josip Broz Tito das Sagen hatte (ab 1945) und die Ideale der Arbeiterbewegung gelebt wurden - zumindest ansatzweise.

Miletic erinnert sich noch gut an dieses Jugoslawien. Er sind vor allem die Lieder, die Gastfreundlichkeit und die Geselligkeit, die er nie vergessen wird - und die kommunistische Partei, der die Eltern angehörten. In den Sechziger Jahren zog sein Vater als Gastarbeiter nach Wien. Im Alter von 14 Jahren folgte ihm Miletic nach. Es waren die Neunziger Jahre. Das Thema Ausländer war hoch im Kurs, und die FPÖ machte mit ihren Parolen kräftig Stimmung gegen alles Fremde. In dieses Österreich kam Miletic. Er tat sich schwer in Wien, beherrschte kaum die Sprache und wurde verlacht in der Schule, wenn er sich doch traute, ein deutsches Wort herauszubringen. Heute schreibt Miletic an seiner Dissertation in Theaterwissenschaft. Er ist ein erfolgreich integriertes Gastarbeiterkind, wenn man so will.

Die Utopie eines offenen Kollektivs wird gelebt

Den Kommunismus hat er nie hinter sich gelassen. Woche für Woche studiert er mit seinen Gesinnungsgenossen die Partisanenlieder ein. Es wird viel gelacht, geraucht und getrunken. Als "offenes Kollektiv" bezeichnet man sich, wo jeder kommen darf, wann und wie oft er will. Die Proben sind nicht verpflichtend und die Lieder werden von allen gemeinsam ausgesucht.

Die Qualität des Gesangs steht nicht im Mittelpunkt. "Mir geht es hier vor allem um das Gemeinsame, die fehlenden Hierarchien und die Menschen. Mir macht es Spaß, einfach mitzugrölen - und das ist für alle voll okay", sagt Bernhard Wernitznig. Seit knapp einem Jahr ist der Sozialarbeiter Mitglied des "Hor 29 Novembar." Als Sohn eines Villacher Eisenbahners fuhr er als Kind jedes Wochenende zum Einkaufen in das heutige Slowenien, Kroatien und Serbien. Die vielen Reisen in den sozialistischen Balkan begeisterten ihn früh für den Kommunismus.

Zu Beginn bestand der Chor primär aus Sängern aus Ex-Jugoslawien, Menschen, die den Kommunismus am eigenen Leib miterlebt haben und die Lieder auswendig mitsingen konnten. Heute hat sich das geändert. Die Männer und Frauen kommen nun auch aus Spanien, Frankreich, Italien und Österreich. Sie kennen den Kommunismus nur noch aus Geschichtsbüchern und dem Fernsehen. Dafür sind die Lieder nun auch mehrsprachiger, von Deutsch über Portugiesisch bis hin zu Jiddisch ist alles dabei - und jeder singt mit, selbst wenn er den Text nicht versteht. Auf die Internationale in sechs verschiedenen Sprachen und die Neuinterpretation des Reinhard Fendrich Klassikers "I am from Austria" auf Romanes ist der Chor besonders stolz.

Demonstrationen gehören zum Chor-Repertoire

Der Chor hat es in Wien zu einer gewissen Prominenz gebracht. Regelmäßig marschieren die Mitglieder auf bei Demonstrationen, insbesondere zum Thema Menschenrechte und Asyl. Wo Unrecht geschieht, erheben sie ihre Stimmen, so ihr Motto. Auch wenn sie dabei nicht immer den richtigen Ton treffen. In jüngster Zeit zeigten sie sich solidarisch mit den Flüchtlingen der Votivkirche, die nun im Servitenkloster leben. In Zukunft wollen sie vermehrt auftreten. Auch eine CD soll demnächst erscheinen.

Fast ungläubig schüttelt der stämmige Chorleiter Miletic den Kopf, wenn er an die Entwicklung des "Hor 29 Novembar" denkt. Als er 2009 gemeinsam mit seinem Freund und Künstler Alexander Nikolic eine Gesangsperformance anlässlich des vierzigsten Geburtstags des ersten Wiener Gastarbeiterclubs veranstaltet hatte, wusste er nicht, wie begeistert seine Idee eines Partisanenchors in Wien aufgenommen werden würde.

"Hättest du mich vor unserem Auftritt gefragt, ob ich Lust hätte, einen Chor zu gründen, hätte ich gelacht und gesagt: ,Ein Chor? Keine Ahnung, wie so etwas funktioniert‘," sagt er und lacht immer noch. "Bis heute weiß ich eigentlich nicht so wirklich, was ich da mache, aber es läuft bestens."