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Warnung vor Billigpflege aus Internet

Von Clemens Neuhold

Politik
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30 oder doch 60 Euro pro Tag? Bei der 24-Stunden-Pflege ist guter Rat teuer.
© fotalia

Caritas: Agenturen vermitteln Frauen mit Knebelverträgen nach Österreich.


Wien. Wer den Begriff "Pflege" googelt, wird von Angeboten diverser Agenturen für 24-Stunden-Pflege regelrecht erschlagen. Sogar auf Tauschbörsen wie Willhaben.at sind sie zu finden, die Pflegerinnen aus Osteuropa.

Seit der Legalisierung der grenzüberschreitenden Betreuung 2008 hat sich die Zahl der Frauen, die sich rund um die Uhr um ältere Österreicher kümmern, verdreifacht. Von den 38.500 Pflegerinnen, die derzeit zwei Wochen pro Monat beim Patienten verbringen, stammen 65 Prozent aus der Slowakei, 25 Prozent aus Rumänien. In den Ländern wächst auch die Zahl der Agenturen, die diese Frauen vermitteln.

Pflegerin zum Diskontpreis

Die Caritas, die selbst Betreuerinnen aus Osteuropa vermittelt, beobachtet die Methoden mancher dieser Agenturen mit wachsender Sorge. "Der Anteil der ausländischen Vermittlungsagenturen mit Billigpreisen ist zuletzt deutlich gestiegen. Die Kunden können oder wollen sich oftmals Agenturen mit Qualitätssicherung nicht leisten und wählen die Billigschiene", sagt Irene Pichler von der Caritas zur "Wiener Zeitung".

Eine Betreuerin ist eigentlich selbständig und kann die Höhe des Honorars mit dem Patienten aushandeln; Caritas oder Hilfswerk empfehlen bei der Vermittlung jedoch einen Richtpreis von rund 60 Euro pro Tag. Im Netz landet man rasch bei Angeboten von rund 30 Euro pro Tag. Es finden sich Telefon-Hotlines, die direkt in die slowakische oder rumänische Zentrale umleiten.

Kein Anschluss im Notfall

Die Caritas berichtet von Frauen, die an ihre Agenturen zwar hohe Beiträge zahlen mussten, dafür aber kaum etwas zurück bekamen. Bei persönlichen Krisen oder Problemen mit schwierigen Patienten, die nicht selten unter Demenz leiden, wurden sie von der Agentur alleine gelassen.

Beim Hilfswerk, dem mit 1200 Frauen größten inländischen Vermittler, wird jede Frau mit Handy und Notfallnummer ausgestattet. Außerdem wird regelmäßig überprüft, ob Kunde und Betreuerin zufrieden sind. Doch "Qualitätssicherung" kostet und setzt voraus, dass auch die Betreuerinnen betreut werden.

Die Missstände, die Frauen aus Osteuropa der Caritas berichteten, beschränken sich nicht auf Dumping-Löhne. "Teilweise gibt es Knebelverträge mit verpflichtenden Taxileistungen zwischen Herkunftsland und Kunden. Der mehr oder minder legale Taximarkt, der sich zwischen Österreich und Rumänien oder der Ostslowakei entwickelt hat, wird von den Betreuungskräften immer wieder kritisiert", sagt Pichler. Von zu hohen Preisen, überlangen Fahrzeiten und Unfällen aufgrund mangelnder Sicherheit ist da die Rede.

Es sei sogar Praxis mancher Agenturen, die Originalpapiere der Frauen einzubehalten. Der Gewerkschaftsbund ÖGB spricht in solchen Fällen von "Ausbeutung" und sieht sich in seiner Forderung nach einem Verbot der Selbstständigen-Pflege bestätigt. Inländische Angestellte sollten die Betreuung verstärkt übernehmen und direkt bei Hilfswerk oder Caritas beschäftigt seien

Die beiden Organisationen sträuben sich dagegen. Eine Umstellung des Systems sei einfach nicht finanzbar. Das Hilfswerk beziffert die Mehrkosten für Nachtzuschläge, Mindestlohn, Urlaub, Versicherungsbeiträge mit bis zu einer Milliarde Euro. Die Wirtschaftskammer warnt vor einem "Pflegenotstand" wie in der Zeit vor der Legalisierung und die Caritas vor einer "Rückkehr in die Illegalität". Selbst Sozialminister Rudolf Hundstorfer hält dezidiert am bestehenden System fest.

Auch Patienten beuten aus

Bleibt das Problem der "Ausbeutung". Gerhard Weinbörmair, Berufsgruppensprecher der Wirtschaftskammer Niederösterreich sieht schwarze Schafe auf beiden Seiten. "Es gibt einen Wildwuchs an Agenturen, die Pflegerinnen viel Geld abnehmen, aber auch Patienten, die sie wie Arbeitstiere halten." Zu einem Verbot wie von der Gewerkschaft gefordert, sagt er: "Wir dürfen nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Das wäre dann nur noch etwas für eine betuchte Klientel." Stattdessen sollte man Pflegerinnen und verantwortliche Agenturen "vor den Vorhang holen" - mit öffentlichen Kampagnen, die ein Bewusstsein unter den Kunden schaffen, welche Preise und Dienste bei der 24-Stunden-Pflege angemessen sind.

Caritas und Hilfswerk setzen auf enge Kontakte mit den Herkunftsländern und eine gewisse Selbstregulierung des Marktes. Frauen wie auch Kunden würden nach schlechten Erfahrungen mit Billig-Agenturen nicht selten zu Agenturen mit Qualitätskontrolle wechseln.

Viele Pflegerinnen brauchen freilich weder Pflegediskonter noch Caritas: Sie suchen sich Kunden und Preise selbst aus.