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Aus den Medien, aus dem Sinn

Von Bettina Figl

Politik

Mit dem Auszug aus der Votivkirche verlor die Öffentlichkeit das Interesse.


Wien. Ein knappes Dutzend Männer hockt am Boden, über ihnen flimmert grelles Neonlicht. Seit sie vor zwei Monaten aus der Votivkirche ausgezogen sind, leben die Flüchtlinge im Servitenkloster in Wien-Alsergrund. Die oberen Stockwerke wirken mit Spinden in den Gängen und kleinen Zimmern wie eine Mischung aus Gefängnis und desolatem Studentenwohnheim. Im Kellergewölbe sitzen die jungen Männer zwischen kaputten Feldbetten, hin und wieder tunkt einer von ihnen Fladenbrot in Hühner- oder Rindfleischeintopf. Der Hungerstreik, in dem sie sich vor einigen Wochen noch befanden, ist beendet und soll auch nicht wieder aufgenommen werden. Doch der Protest ist noch lange nicht vorbei, wie sie in einer Pressekonferenz am Mittwoch ankündigten.

Zur Erinnerung: Im November 2012 marschierten Flüchtlinge vom Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen nach Wien, um gegen die Lebensbedingungen in den Flüchtlingsheimen zu protestieren. Ihre Kritik galt unter anderem den Dolmetschern, dem stark eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylwerber oder auch der mangelnden Bewegungsfreiheit. Vor der Votivkirche schlugen sie ihr Protestcamp auf. Kurz vor Jahreswechsel wurde das Camp von der Polizei geräumt, im Dezember suchten die Flüchtlinge Zuflucht in der Kirche, im März siedelten sie dann in das Kloster im Servitenviertel.

Das Interesse der Medien an der Protestbewegung war groß, selbst der Boulevard berichtete wohlgesinnt. Doch mit dem Umzug in das Kloster - ein weitläufiger Bau mit Innenhof, wo sie seither recht abgeschottet leben - riss die Berichterstattung abrupt ab. Für die Flüchtlinge ist das unverständlich, schließlich hat sich an ihrer Situation kaum etwas zum Positiven verändert, und auch die "Wiener Zeitung" wird gefragt: "Wo wart ihr so lange?"

27 negative Asylbescheide, Angst vor Abschiebungen

Mindestens 27 der Flüchtlinge weisen zwei negative Asylanträge vor, viele fürchten die Abschiebung und fordern den Abschiebestopp. Laut den Flüchtlingen sollen 25 Menschen nach Pakistan und Nigeria abgeschoben worden sein, für 625 Personen sollen die Behörden bei der pakistanischen Botschaft um Reisedokumente für Abschiebungen angesucht haben.

"Das sind Fantasiezahlen", entgegnet Karl-Heinz Grundböck. Der Sprecher des Innenministeriums betont, die Zahl der Abschiebungen nach Pakistan befinde sich im "einstelligen Bereich", es gebe "sehr viel mehr freiwillige Rückreisen". Abgeschoben werden können Pakistani und Afghanen auch nicht - aus ihren Heimatländern erhalten nur jene, die freiwillig zurückkehren, die notwendigen Zertifikate.

Laut Grundböck sind die Flüchtlinge seit ihrem Umzug ins Kloster kooperativer: Termine würden nun wahrgenommen, weshalb sich auch 53 von ihnen wieder in der Grundversorgung befinden. Die Caritas kritisiert, dass nicht alle Flüchtlinge in die Grundversorgung wiederaufgenommen wurden - für mindestens sieben Männer bedeutet das: keine Krankenversicherung, keine 40 Euro Taschengeld pro Monat. Jene mit negativem Asylbescheid, die aufgrund der politischen Lage in ihrer Heimat nicht abgeschoben werden können, sollen in die Grundversorgung aufgenommen werden, fordert Klaus Schwertner, Geschäftsführer der Caritas Wien. Ansonsten ebne man den Weg in die Kriminalität.

Die Kritik der Flüchtlinge, der Einsatz der Caritas für die Flüchtlinge habe nachgelassen, wies Schwertner zurück. Auch wenn er nicht - wie anfangs in der Votivkirche - ständig präsent sei, stünde eine Mitarbeiterin als Ansprechpersonen zur Verfügung, auch von der Erzdiözese Wien sei jemand mit der Causa betraut.

Caritas-Sprecher Martin Gantner betont, in Deutschland werde weit mehr Pakistani Asyl gewährt als in Österreich, wo sich positive Asylbescheide im einstelligen Prozentbereich bewegen. Einige Gebiete Pakistans gelten jedoch als besonders gefährlich, etwa das Swat-Tal, wo im Oktober 2012 die 14-jährige Friedensaktivistin Malala Yousufzai von den Taliban auf dem Weg in die Schule in den Kopf geschossen wurde. In dem Wüstengebiet zwischen Afghanistan und Pakistan leben viele Paschtunen; Khan Adalat war bis zu seiner Flucht einer von ihnen. Die Geschichte seiner Flucht erschien zum Jahreswechsel in der "Wiener Zeitung", seither ist der 48-Jährige so etwas wie das Gesicht des Flüchtlingsprotests geworden.

Die ganze Familie wurde von den Taliban ausgelöscht

Einer seiner Landsmänner kauert mit dem Rücken zu ihm auf einem Feldbett. "Das ist der wichtigste Mann der Gruppe", sagt Adalat, und erzählt: Die Taliban hätten seine ganze Familie ausgelöscht. Das Gesicht des jungen Mannes ist noch vom Schock gezeichnet. Er bekommt Beruhigungsmittel und gilt als suizidgefährdet, seinem Onkel soll der Kopf abgeschnitten worden sein.

"Wir wissen, dass 2013 für Österreich politisch ein wichtiges Jahr ist. Wir wollen kein großes Aufsehen", sagt Adalat. Doch die Forderungen sollen zumindest gehört werden. Zuletzt suchten die Flüchtlinge das Gespräch mit Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, indem sie sie bei einem Treffen mit Gewerkschaftsfrauen abpassten, und auch Bundeskanzler Werner Faymann erhielt eine Einladung ins Kloster.

Das Klosterleben darf man sich nicht karg vorstellen: Freitags gibt es einen öffentlichen Filmabend, donnerstags finden Vorlesungen zu Migration und Flüchtlingsprotesten an der Uni Wien statt (auch Adalat war bereits unter den Vortragenden, diesen Donnerstag referiert Anny Knapp von der Asylkoordination). Deutschkurse und Fußball stehen fast täglich auf dem Programm. Laut Gerüchten könnte das Kloster auch permanent als Flüchtlingsheim genutzt werden. Caritas und Erzdiözese verhandeln derzeit. Bis 30. Juni soll eine Lösung gefunden werden.