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Die Nebenstraße der Politik

Von Matthias Nagl

Politik

Tirol beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit seinen Agrargemeinschaften.


Mieders. Wer nach Mieders am Eingang des Tiroler Stubaitals kommt, findet kaum etwas, das er nicht auch in jedem anderen Tiroler Fremdenverkehrsort finden könnte. Mieders hat zwei Feuerwehrhäuser, ein altes und ein neues, Mieders hat eine Kirche und eine Kapelle, Mieders hat eine Raika und eine Sparkasse. Es gibt noch eine Dorfmetzgerei, die vier Stunden pro Woche geöffnet hat. Die Nahversorgerin ist gleichzeitig Trafikantin und hat einige deutsche Zeitungen im Angebot - für die Urlaubsgäste. Sie haben Mieders Ende April aber längst verlassen, die Skilifte der Hoch-Serles-Bahnen sind schon in der Sommerpause, die Sommerrodelbahn ist noch in der Winterpause. Es ist gewissermaßen die stillste Zeit im Jahr. Doch auch in Mieders ist aktuell Wahlkampf. Wie alle Tiroler wählen die Miederer am Sonntag einen neuen Landtag.

Eines der meistdiskutierten Themen waren auch in diesem Wahlkampf die Agrargemeinschaften, und wenn das Gespräch auf dieses spezielle Tiroler Thema kommt, dann ist Mieders nicht mehr eine von vielen Tiroler Gemeinden. Denn aufgrund eines Rechtsstreits zwischen der Gemeinde Mieders und der Agrargemeinschaft Mieders, einem Zusammenschluss zur Nutzung land- und forstwirtschaftlicher Güter, fällte der Verfassungsgerichtshof 2008 ein Grundsatzurteil, das Auswirkungen auf das ganze Bundesland hatte und dessen Nachwehen noch heute den Landtagswahlkampf prägen.

Auch der Fall Mieders ist noch nicht rechtskräftig gelöst, genug gestritten haben die Miederer aber. Denn eine feindselige Stimmung gebe es bei diesem Thema in der Gemeinde nicht mehr, berichtet Bürgermeister Manfred Leitgeb. "Die Gesprächsbasis zwischen Gemeinde und Agrargemeinschaft war immer da", sagt er. Inzwischen wird sogar wieder zusammengearbeitet. Vor einem guten Jahr einigten sich die beiden Streitparteien, eine knappe Million Euro aus den Rücklagen der Agrargemeinschaft in der Gemeinde zu investieren. "Im Nachhinein war es genau das richtige", erzählt Leitgeb. Nun fließt Geld unabhängig von der juristischen Klärung. Ein "Investitionsplan Zwei" ist vor dem Abschluss.

Emotionales Themaim Tiroler Landtag

Im Landtag ist die Stimmung, wenn es zum Thema Agrargemeinschaften kommt, weitaus feindseliger. In der letzten Landtagssitzung wollte die Opposition mit Unterstützung der kleineren Regierungspartei SPÖ ein Rückübertragungsgesetz beschließen, was die Landeshauptmann-Partei ÖVP mit Rückgriff auf die Geschäftsordnung verhinderte. Seither streiten ÖVP und der Rest der Parteienlandschaft wieder über dieses Thema. Das tun sie seit gut 30 Jahren in regelmäßigen Abständen immer wieder.

Denn in den 1950er und 60er Jahren wurde Grund, der den Gemeinden gehörte, und Substanz, die sich darauf befand, großspurig und zum Teil ohne Wissen der Gemeinden von der Landes-Agrarbehörde in den Besitz der Agrargemeinschaften überschrieben. Insgesamt geht es mit etwa 2000 Quadratkilometern um eine Fläche so groß wie Osttirol, betroffen sind rund 250 Agrargemeinschaften mit Gemeindegut.

Wunsch nach Neufassungdes Gesetzes ungehört

Dem VfGH-Urteil waren jahrelange Streitigkeiten vorausgegangen. Ende 2009 beschloss der Tiroler Landtag aufgrund des Urteils eine Gesetzesnovelle, die den Gemeinden zu ihrem Recht verhelfen sollte. Doch dieses Gesetz hat Grenzen. Auch Leitgeb meint, dass es "zugunsten der Gemeinden überarbeitet werden muss".

Die Tiroler Opposition unter Federführung der Liste Fritz und der Grünen beurteilt das Gesetz als so lückenhaft, dass es mittels eines Rückübertragungsgesetzes den Gemeinden pauschal wieder zu ihren Flächen verhelfen will. Das ließ ÖVP, Agrargemeinschaften und Bauernbund aufschreien. Schließlich würde es die Gesetzesnovelle, mit der laut Landeshauptmann Günther Platter schon 70 Prozent der Fälle gelöst worden sind, nichtig machen.

Eine einfache Lösung wird es in dieser Frage nicht geben. Zu divers und widersprüchlich ist das, was unter Gemeindegut und Agrargemeinschaften zusammengefasst wird. Die eine Seite argumentiert im Wahlkampf wie in der gesamten Diskussion damit, dass das Gemeindegut in Hand der Gemeinden die Wohnungsnot und den Preisdruck im Innsbrucker Zentralraum lindern würde.

Zwei Seiten einer Wahrheit: Weder Brach- noch Bauland

Die andere Seite kontert, dass viele Gemeindeflächen unzugängliches Wald- und Almgebiet seien und von den Gemeinden nur mit großem Mehraufwand verwaltet werden könnten. Beides stimmt und ist doch nicht die Wahrheit.

Dass es sich um unattraktives Brachland handelt, trifft ebensowenig zu, wie die Vermutung, dass Tirol durch die Lösung der Agrarfrage Bauland von der Fläche Osttirols zur Verfügung stünde. Eine mühsame Aufarbeitung von Fall zu Fall scheint unvermeidlich. Dass unter dem Mantel der Gemeindeguts-Agrargemeinschaften auch Unrecht geschehen ist, ist unbestritten. "Es ist garantiert so, dass manche Agrargemeinschaften übertrieben haben", sagt Tirols Bauernbunddirektor Peter Raggl vorsichtig. "Ob das mutwillig passiert ist, oder ob der rechtliche Rahmen das ermöglicht hat", will er nicht beurteilen.

Das ist wieder ein Fall für Meinungsverschiedenheiten. Denn einige Gemeindevertreter sind sich sicher, dass im Zuge der Übertragung von Gemeindegut attraktive Gunstlagen absichtlich in private Hände überführt wurden. Soweit geht Leitgeb mit seinen Vorwürfen nicht. Doch auch ohne diese Vorwürfe zog die Gemeinde vor den Verfassungsgerichtshof. "Die Agrargemeinschaft war ständig Verhinderer und eine Nebenstraße der Politik", erzählt Leitgeb.

Heute wird wieder zusammengearbeitet und beide Seiten warten mit unterschiedlichen Standpunkten auf eine endgültige Entscheidung. Zwei bis drei Jahre wird das noch dauern, schätzt Leitgeb. Und irgendwann ist Mieders vielleicht ein Fremdenverkehrsort wie jeder andere.

Wissen: Agrargemeinschaften

(kats) 2000 Agrargemeinschaften gibt es in Tirol: Bauern, die gemeinsam als Körperschaften öffentlichen Rechts Grund besitzen. Davon sind 250 Gemeindegutsagrargemeinschaften: Sie hatten wirtschaftliche Nutzungsrechte am Gemeindegut, von 1920 bis etwa 1980 wurden sie vom Land statt der Gemeinden ins Grundbuch eingetragen. Manche Gründe werden als Schottergruben oder Skilifte genutzt - die Gemeinden partizipieren nur über die Grundsteuer. Der Verfassungsgerichtshof stellte 1982 und 2008 fest, dass dies rechtswidrig war. Überschüsse, die über die agrarische Nutzung hinausgehen, gehörten demnach den Gemeinden. Seit 2010 soll den Gemeinden per Gesetz der Gewinn aus der nicht-agrarischen Nutzung der Grundstücke zukommen. Das war der Opposition zu wenig -im Wahlkampf scheiterte ein weitergehendes Gesetz.