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"Einmal Afro, bitte!"

Von Solmaz Khorsand

Politik
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Hairstylistin Subrinah Dolischka will, dass schwarze Frauen stolz sind auf ihre Haare.
© Luiza Puiu

Bewegung gegen das Diktat der glatten Haare setzt auch in Wien ein.


Wien. Korkenzieher. So sehen Stephanie Ankos natürliche Haare aus. Vor drei Jahren hat die 22-Jährige ihre Korkenzieher zum ersten Mal gesehen. Davor hat die Tochter eines Kärntners und einer Nigerianerin ihre Haare immer geglättet. Ätzende Pasten hat sie sich von ihrer Mutter ins Haar schmieren lassen. Anfangs hat die Paste gekribbelt, dann gejuckt und am Ende richtig gebrannt, bis sie darum gebettelt hat, sie rauswaschen zu dürfen. Trotz der Tortur hat sie weitergemacht.

"Ich wollte einfach glatte Haare haben, wie die anderen Kinder in der Klasse auch", erzählt Anko. Sie wollte weniger auffallen als einziges schwarzes Mädchen in einer Klasse voller blonder Maries und Annas mit ihren glatten Haaren, die auf sie zugekommen sind und ihr durch das krause Haar fahren wollten.

Haare. Das klingt banal. Ja oberflächlich. Doch unter schwarzen Frauen und Männern ist es mehr als nur eine Frage der Ästhetik. Seit Jahrzehnten kämpfen sie gegen die krausen Haare und die mikrofonähnlichen Afros, gegen die jede Bürste der Welt zu kapitulieren scheint. Von Michelle Obama im Weißen Haus bis zur Publizistin Stephanie Anko aus dem 2. Bezirk, sie alle haben das Glätteisen und die giftigen Haarpasten griffbereit.

Der Kult um die glatten Haare ist eine Kampfansage gegen ein bestimmtes Image, das sich nur wenige so offen auszusprechen wagen wie Anko:"Meine Mutter hat immer gesagt: du schaust aus wie eine Buschfrau, wenn du sie nicht glättest." Denn glatt gilt nicht nur als schön, sondern auch als zivilisiert.

Wer in Wien durch die afrikanischen Haarsalons im 7. und 15. Bezirk streift, taucht ein in eine Welt von Perücken, Haarverlängerungen und den berüchtigten ätzenden Pasten, den sogenannten Relaxern. Hier sitzen junge und alte Frauen aus Ghana, Kenia, Togo, der Elfenbeinküste und Nigeria. Es ist Sommer. Viele lassen sich dieser Tage in Wien die Haare zu Rastazöpfen flechten.

"Ihr Weißen macht das doch auch. Jene die glatte Haare haben, wollen Locken und jene die Locken haben, lassen sich die Haare glätten", sagt eine Kundin aus der Elfenbeinküste in einem Salon im 15. Bezirk. Sie lässt sich gerade blonde Haarverlängerungen ins Haar flechten. Gleich am Haaransatz, sodass ihre kurzen Locken vollkommen verdeckt werden. Was stört sie an ihren natürlichen Haaren? "Natürlich sehen die Haare nicht gut aus", heißt es dann immer wieder. Wenn man die Frauen fragt, warum, schauen sie einen kurzen Augenblick in den Spiegel, und sagen dann "es ist einfach nicht schön".

Workshops für Mädchen, um ihre Haare zu lieben

Subrinah Dolischka weiß, dass die Obsession mit glatten Haaren mehr ist, als nur das Hinterherhecheln eines Schönheitsideals. "Es ist Gehirnwäsche. Uns wurde seit Jahrzehnten eingeredet, dass unsere Haare nicht schön sind", sagt Dolischka, "Wir haben nie gelernt auf unsere Haare stolz zu sein." Die gebürtige Nigerianerin betreibt seit einem Jahr ihren Salon "Substyle" in der Westbahnstraße 54 im 7. Bezirk.
"Es bricht mir das Herz, wenn fünfjährige Mädchen mit ihren Müttern hier reinkommen, und sagen: meine Haare sind nicht schön", erzählt die schmale Frau mit der lauten Stimme.

Dolischka erinnert sich noch genau, wann ihr zum ersten Mal mit der Paste die Haare geglättet wurden. Wie es gekribbelt und gejuckt hat. Und wann ihr die Haare zum ersten Mal wie tote Lianen von ihrem Kopf heruntergehangen sind. Es war zu Weihnachten, Dolischka war damals neun Jahre alt. "Du fühlst dich dann richtig erwachsen" , erzählt die 42-jährige Geschäftsfrau. Ihre Kundinnen aus Ghana stimmen ihr zu. Jede schwarze Frau weiß genau, wann ihr die Haare zum ersten Mal "relaxt" wurden. Die Frauen imitieren ihr kindliches Ich von damals und werfen ihre fiktiven langen Haare von einer Schulter auf die andere.

Vor knapp zwei Jahren hat Dolischka aufgehört mit den giftigen Pasten. Sie hat recherchiert und herausgefunden wie gesundheitsschädigend die Cremes sind, die sie sich jahrzehntelang ins Haar geschmiert hat. Dass sie die Kopfhaut angreifen, und dass sie gar blind machen können. Heute ist sie eine Missionarin für natürliche Produkte, versucht Mütter zu überzeugen ihren Töchtern die Tortur mit den giftigen Mitteln zu ersparen. In Zukunft will sie in Wien Workshops für schwarze Mädchen veranstalten, damit sie lernen, ihre natürlichen Haare zu lieben.

Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins

Dolischka ist Teil einer neuen weltweiten Bewegung: der "Natural Hair Movement". Seit wenigen Jahren bekennen sich immer mehr schwarze Frauen, vor allem in Amerika, zu ihren natürlichen Haaren. Auf Youtube dokumentieren sie stolz ihren "Übertritt", das Abschneiden der toten krampfhaft geglätteten Haare zu den natürlichen krausen Locken. Wie eine Offenbarung scheint es für die meisten zu sein, wenn sie zum ersten Mal die Textur ihrer natürlichen Haare spüren.

Es ist Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins. Auch für Stephanie Anko war das der Fall. 19 Jahre lang hat sie alles versucht, um dazuzugehören, hat sich die Haare geglättet, blondiert und gar die Sonne gemieden, damit ihr karamellfarbener Hautton noch heller wird. Dann kam die junge Frau für ihr Publizistikstudium nach Wien. "Wien hat aus mir einen ganz anderen Menschen gemacht", sagt sie. Es klingt dankbar. Sie musste nicht mehr reinpassen in eine provinzielle Kleinstadt. Und zum ersten Mal wollte Anko wissen, wie ihre Haare tatsächlich aussehen - trotz aller Proteste ihrer Mutter.

Zwei Jahre hat es gedauert, bis das letzte tote Haar herausgewachsen war. Heute hat sie ihre langen Korkenzieher. Die Tortur des chemischen Glättens hat für sie endgültig ein Ende.