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Sehnsucht nach Jugoslawien

Von Bernd Vasari

Politik
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In seinem weißen Anzug erinnert Goran Bregovic viele Ex-Jugoslawen an Tito.
© Bregovic

Der Entertainer aus Sarajewo vermittelt ein Gefühl von Heimat.


Wien. Ruzica hält es jetzt nicht mehr auf ihrem Sitz. Aus den Lautsprechern im Theater an der Wien dröhnt: "Mesezina, mesezina, joi joi, joi joi", ein altes jugoslawisches Volkslied, das bei keiner Hochzeit am Balkan fehlen darf. Ausgelassen tanzt Ruzica zu den ihr vertrauten Klängen und singt lautstark mit. Auch die meisten anderen Menschen im Publikum singen und tanzen.

Oben auf der Bühne sitzt Goran Bregovic und dirigiert sein "Wedding und Funeral Orchestra", eine Band, die bulgarische Volkssängerinnen mit Roma-Brass-Musikern vereint. Die Musik - ein Mix aus wilder Polka und melancholischen Balladen - wechselt zwischen Euphorie und Weltschmerz.

Ruzica ist begeistert. Die Mittvierzigerin wurde im heutigen Bosnien-Herzegowina geboren und wohnt seit etwa zwanzig Jahren in Wien. Sie liebt diese Art von Musik, dieses Auf und Ab zwischen Freude und Traurigkeit. Aber da ist noch mehr. "Das war der größte Blödsinn, dass Jugoslawien zerfallen ist", sagt sie. "Es gab keine Grenzen, man konnte überall frei hinfahren, und es war egal, ob man aus Ljubljana, Zagreb oder Belgrad kam." Ruzica vermisst offensichtlich ihr Jugoslawien. Das Land existiere nicht mehr auf der Landkarte, aber in ihrer Erinnerung, betont sie. Und die Musik von Goran Bregovic hält diese Erinnerung aufrecht.

Erfolgreich im Ausland

Goran Bregovic, Sohn einer serbischen Mutter und eines kroatischen Vaters, wurde in der bosnischen Stadt Sarajewo geboren. In den 1970er und 1980er Jahren war er Gitarrist und Songwriter bei "Bijelo Dugme" ("Weißer Knopf", Anm.), der erfolgreichsten Band Jugoslawiens, die mit dem Zerfall des Landes auseinanderbrach. International bekannt wurde Bregovic in den 1990er Jahren durch seine Filmmusik für Streifen wie "Arizona Dream" und "Underground", mit denen er auch die Volksmusik vom Balkan populär machte.

Auch er trauert dem alten Jugoslawien nach: "Unser Zuhause, jenes, welches wirklich zählt, gibt es nicht mehr in der Realität. Aber wir tragen es mit uns als emotionalen Bestandteil unseres Lebens", sagt er zur "Wiener Zeitung". Wie selbstverständlich bezeichnet er sich auch heute noch als Jugoslawe. Bei seinen Auftritten trägt der Musiker weiße Anzüge und trinkt Whiskey. Ganz so wie der einstige jugoslawische Übervater Tito, der den Vielvölkerstaat bis zu seinem Tod zusammenhielt. Ist Bregovic eine Art musikalischer Tito? "Ja", das würde er immer wieder hören, sagt der Musiker. Abgesehen von seinem Auftreten würde "meine Musik Menschen aus allen Teilen Ex-Jugoslawiens berühren. Sie hält diese gewissermaßen zusammen, wie Tito früher Jugoslawien zusammengehalten hat", ist sich Bregovic sicher.

Musik ist stärker als Krieg

"Bumm bumm bumm bumm bumm!" Die Band spielt den Gassenhauer "Kalasnjikov". Bregovic hält seine beiden Hände mit ausgestreckten Zeigefingern in die Höhe, um das Abschießen von Gewehrsalven zu symbolisieren. Die vielen verschiedenen Religionen und Ideologien würden den Balkan zu einem Pulverfass machen, erklärt Bregovic. Es gäbe aber auch viele Gemeinsamkeiten, wie die Musik. "Auf der Bühne stehe ich mit Musikern, die von Teilen des Balkans stammen, die jahrhundertelang Krieg gegeneinander führten. Die Musik hält uns aber zusammen."

Aber nicht alle sehen in Goran Bregovic einen musikalischen Tito, zumindest heute nicht mehr. "Ich kenne Bregovic, als er noch Gitarrist bei Bijelo Dugme war", sagt eine knapp 60-jährige Kroatin, die in Wien lebt. Von Mazedonien bis Slowenien hätten damals alle diese Musik geliebt.

Sie singt ein paar Textzeilen von "Lipe cvatu" (Die Linden blühen), in dem der Ich-Erzähler von einem Mädchen verlassen wurde. "Es ist mir wurscht, wohin du gegangen bist", übersetzt sie den Text, "alle Wege in Jugoslawien stehen dir offen." Ein sehr schönes Lied und ein gutes Beispiel für die Songs von Bijelo Dugme, wo Jugoslawien als Heimat für Serben, Kroaten und Bosnier besungen wird, erzählt sie. Die Linde sei zudem ein Freiheitssymbol für alle Länder am Balkan. Die Kroatin erinnert sich gern an diese Zeit zurück. "Es tut mir leid, dass Jugoslawien zerfallen ist. Es gab ein geregeltes Pensionssystem, ein Gesundheitssystem. Niemand hatte Angst, seinen Job zu verlieren", das sei heute in allen sieben Nachfolgestaaten anders.

Als sie in der Zeitung las, dass Goran Bregovic nach Wien kommt, kaufte sie sich eine Karte, nicht wegen der Musik, sondern um das Idol ihrer Jugendzeit wieder zu sehen. Bijelo Dugme, das sei Jugoslawien gewesen, sagt sie. Mit der heutigen Musik von Bregovic könne sie aber wenig anfangen. Diese würde zwar als Balkanmusik verkauft werden, sei aber in Wahrheit hauptsächlich serbisch geprägt. "Das ist zu wenig für Jugoslawien", betont die Kroatin.

Vulgär und primitiv

Außerdem sei seine Musik ziemlich banal geworden. Diese Musik würde zudem die Zuschreibungen eines primitiven und vulgären Balkans - so wie er vom Westen gerne gesehen wird - unterstützen, kritisiert sie. Der Balkan hätte aber auch andere Facetten. Bijelo Dugme hingegen war vielschichtiger und nicht nur auf eine Region konzentriert.

Ein slowenischer Konzertbesucher findet die Musik von Bregovic hingegen "cool". Der Student liebt den Sound der Blechblasinstrumente, die sich mit den Stimmen von bulgarischen Volkssängerinnen mischen. Das jährlich stattfindende serbische Trompetenfestival in Guca sei für ihn ein Pflichttermin.

Eine Art musikalischen Tito sehe er aber nicht in dem Entertainer Goran Bregovic. Mit Slowenien hätte diese Musik auch nichts zu tun. Das sei eine andere Welt, sagt der Student. "Wir sollten aufhören, in der Vergangenheit zu leben", ist er überzeugt. Seine Begründung: "Jugoslawien gibt es nicht mehr."