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Normalos im Höhenrausch

Von Clemens Neuhold

Politik
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Grüner Aufstieg: Bei allen Wahlen im Superwahljahr legten die Grünen zu, in Salzburg haben sie sich verdreifacht. Fragt sich: Wie weit kann der Höhenflug der Öko- und Antikorruptionspartei gehen?

Die Grünen als neue Massenpartei; wie viel Luft nach oben haben sie bis Herbst?


Wien. "Wir werden im Herbst rennen wie noch nie!" Eine bemerkenswerte Ankündigung einer Politikerin, die gerade erst einen Wahlkampf im eigenen Bundesland geschlagen hat. Doch so wie die Chefin der niederösterreichischen Grünen, Madeleine Petrovic, die seit 27 Jahren für die Grünen läuft, surfen derzeit alle Grünen von Innsbruck bis Inzersdorf auf einer Euphoriewelle: stärkste Partei in Innsbruck, in Salzburg Stadt - und nun winkt in Tirol die vierte Regierungsbeteiligung nach Wien, Kärnten und Oberösterreich. Am Montag waren die Grünen in Tirol zuversichtlich, die letzten Hindernisse für eine Koalition mit der ÖVP von Landeshauptmann Günther Platter aus dem Weg zu räumen. "Im Lauf der Sondierungsgespräche haben sich die Tiroler ÖVP und die Grünen angenähert", sagt Platter und kündigte "vertiefende Gespräche" über eine Koalition an.

Schon jetzt ein Gewinner

Im Superwahljahr 2013 sind die Grünen zweifelsohne die Überraschung. Fragt sich: Wie weit kann der grüne Höhenflug bis zur Nationalratswahl im Herbst gehen und warum ist Grün gerade in dieser Saison die trendigste Farbe im politischen Spektrum?

Die "Wiener Zeitung" fragte drei Politologen und erhielt eine klare Einschätzung: Die 10,5 Prozent von 2008 reißen die Grünen locker. Eine Verdoppelung der Stimmen wie in Kärnten oder gar eine Verdreifachung wie in Salzburg für Herbst halten sowohl Peter Ulram wie auch Thomas Hofer oder Peter Filzmaier jedoch für unwahrscheinlich. Denn in beiden Bundesländern zündeten riesige Skandale des politischen Establishments den grünen Turbo.

Bei den weniger skandalgeschwängerten Landtagswahlen in Niederösterreich und Tirol stiegen die Grünen in der Gunst der Wähler nur um ein bis zwei Prozentpunkte.

Ein neues Thema für alle

Doch alleine die Tatsache, dass die Wählerwatsch’n den Grünen derzeit die meisten Stimmen zutreiben, ist ein Novum. "Die Grünen haben das Protestmonopol der Freiheitlichen geknackt", sagt Hofer. "Wir sind das erste Mal in der Lage, Protestwähler im großen Stil aufzusammeln", sagt der Grüne "Aufdecker" Peter Pilz. Die Grünen seien nicht mehr nur Öko- oder Menschenrechtspartei, sondern eine wirkliche "Alternative zu korrupter Politik".

Das neue Thema "Sauberkeit" verhilft den Grünen zum Durchbruch zur "Massenpartei", wie sie Filzmaier nennt. Für den Politologen ist es besonders bemerkenswert, dass die Grünen in Salzburg erstmals in ihrer Geschichte bei den über 60-Jährigen ein zweistelliges Ergebnis einfuhren. Das scheint im Vergleich zu 31 Prozent bei Frauen unter 44 Jahren vernachlässigbar. Doch von der Alterspyramide her liegt der Schlüssel zur Massenpartei bei der Generation 50plus. Es ist aber nicht nur das neue Thema, das es den Grünen ermöglicht, breitere Wurzeln in der Bevölkerung zu schlagen. "Wir haben an unserem Auftreten gearbeitet. Wir sind weniger kompliziert und verkopft, dafür heiterer und freundlicher geworden", sagt Petrovic und gibt ein Beispiel aus dem eigenen Wahlkampf im März. "Früher hätten wir im Hinterzimmer eine ernste Podiumsdiskussion zur Finanzkrise abgehalten. Diesmal sind wir mit einem mobilen Eislaufplatz getourt und haben bei Bratkartoffeln locker mit den Eltern geplaudert."

Die neue Entspanntheit

Die ehemalige Bundessprecherin der Grünen sieht in dieser neuen Entspanntheit den besten Weg, um den Leuten zu zeigen: "Wir sind ganz normale Leute. Wir wollen weder Haschtrafiken einführen noch die Österreicher mit Zwang zu Vegetariern machen."

Bei jungen, urbanen Wählern ist Grün längst raus aus der Fundi-Ecke, nun scheint die neue Entspanntheit verstärkt auch bei älteren Wählern anzukommen.

Auch für die Parteispitze gibt es, wie in Zeiten des Sieges üblich, derzeit nur Rosen. "Eva Glawischnig hat sich sehr entwickelt, sie hat Ruhe und Selbstsicherheit gewonnen. Das haben ihr manche nicht zugetraut", sagt Petrovic, die von 1994 bis 1996 selbst die Partei anführte. "Vom Themenmanagement bis zu den Kampagnen: Das ist noch professioneller geworden."

Wildern in welchem Revier?

Sollten die Grünen wie prognostiziert auch im Finale des Superwahljahres, bei der Herbstwahl, zulegen, fragt sich: Wo werden die Grünen stärker wildern?

"In den großen Städten stärker bei der SPÖ, in den kleineren Städten und Dörfern stärker bei der ÖVP", glaubt Filzmaier. Ulram glaubt, dass die Grünen für die SPÖ der schmerzhaftere Stachel sein werden. "Im jungen, linken, urbanen Spektrum bricht einiges auf." Dazu passt die Kampfansage von Peter Pilz: "Uns geht es nicht nur um den Kampf gegen Korruption. Als Nächstes müssen wir stärker ins Thema Gerechtigkeit rein und dafür sorgen, damit die Opfer der Finanzkrise nicht weiter für die Täter zahlen." Dass "Gerechtigkeit" seit drei Jahren das Kernthema der SPÖ ist, übergeht Pilz nonchalant. "Da sind wir glaubwürdiger, da nehm’ ich die Konkurrenz mit Faymann gerne auf." Das Thema "leistbare Mieten", das zuerst Wiens grüne Vizebürgermeisterin Vassilakou aufs Tapet brachte, sieht Hofer als Indiz, dass die Grünen verstärkt im roten Bereich wildern.

Glawischnig selbst legt sich die Latte für Herbst auf 15 Prozent. Man wird sie daran erinnern.