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Kräftige Stimme des Judentums

Von Alexia Weiss

Politik
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Florian Pollack , Obmann des "Wiener Jüdischen Chors", heizt der Menge ein.
© WJC

Bis Sonntag präsentieren 400 Sänger in Wien jüdisches Liedgut.


Wien. Vor zwei Jahren wurden in Wien die Europäischen Makkabi Spiele abgehalten, ein sportliches Großereignis, das 1800 jüdische Sportler aus ganz Europa und 60.000 Besucher, unter ihnen auch viele interessierte Wiener, anlockte. Im heurigen Frühjahr zeugt ein anderes kulturelles Großereignis vom wiedererstarkten Selbstbewusstsein der Wiener jüdischen Gemeinde: Von 9. bis 12. Mai findet in der Bundeshauptstadt das erste "European Jewish Choirs Festival" statt. Als Motto hat Initiator und Leiter des Wiener Jüdischen Chors, Roman Grinberg, "A Song for Peace" - "Ein Lied für den Frieden" - gewählt. Erwartet werden 18 jüdische Chöre aus 16 europäischen Städten. Aus Österreich nehmen der Wiener Jüdische Chor sowie der Knabenchor des Stadttempels unter der Leitung von Oberkantor Shmuel Barzilai an dem Fest teil.

Sasha Somish ist die künstlerische Leiterin des jüdischen Chors aus Lemberg, der ebenfalls in Wien auftreten wird. "Wir werden dabei die große Chance haben, mit Kollegen aus ganz Europa sozusagen musikalisch zu kommunizieren. Das soll heißen: Wir können uns anhören, wie die verschiedenen Zugänge zu jüdischer Musik heute aussehen."

Der Lemberger Chor singt hauptsächlich auf Jiddisch, teilweise aber auch auf Hebräisch, Polnisch, Englisch und Ukrainisch. Das Besondere: Die Sänger versuchen, bei den Arrangements auch Elemente des Rock, Jazz und Pop zu integrieren. "Wir überlegen zum Beispiel, welchen Sound könnte jüdische Musik in den Sechzigern entwickelt haben, der Zeit der Beatles und von Woodstock, hätte es zuvor nicht den Krieg und den NS-Terror gegeben." Und später dann das Nichtleben-Können des Judentums in kommunistisch regierten Regionen. "Wir versuchen unseren eigenen Weg zu finden, wobei wir zu den Wurzeln zurückgehen, aber etwas Neues daraus machen."

Relativ jung ist auch grundsätzlich die Formation gemischter jüdischer Chöre, erläutert Grinberg. Jüdische Männerchöre gab es in Wien bereits seit dem Wirken Salomon Sulzers (1804-1890), der als Kantor in Wien die jüdische Liturgie reformierte. Dass Frauen und Männer gemeinsam singen, ist jedoch bis heute nur in Reformsynagogen möglich. Im Stadttempel und allen anderen Wiener Synagogen bis auf jene der Reformbewegung "Or Chadasch" (Neues Licht) wird der Gottesdienst allerdings nach orthodoxem Ritus abgehalten. Gemischte jüdische Chöre treten also meist in anderem Rahmen auf und präsentieren ihr Programm in Konzerten, sodass die Musik nicht nur Umrahmung ist, sondern im Mittelpunkt steht.

Von Liedern aus dem Schtetl bis hin zur Moderne

Was aber versteht man unter jüdischem Repertoire? Für Grinberg reicht das von kantoralem Gesang über Lieder aus dem Schtetl bis hin zu modernen israelischen Liedern und auch neuen Kompositionen, wenn sie auf Hebräisch, Jiddisch oder Sefardisch gesungen werden. Eingeladen wurden zu dem Festival nur Chöre, die auch "jüdisches Repertoire" singen. In England gibt es zum Beispiel auch Chöre, die zwar von Juden geleitet werden und die auch ausschließlich jüdische Mitglieder haben, sie aber nur Klassik, etwa auch Opernarien, präsentieren, erzählt Grinberg.

Ruth Yael Tutzinger leitet den Chor der Jüdischen Kultusgemeinde im deutschen Wuppertal. Dessen Repertoire "besteht zuerst aus hebräischen Liedern aus der Liturgie und Vertonungen von Psalmversen, dann aus israelischen Liedern der Pionierzeit und der Vertonung moderner Gedichte", sagt sie. "Außerdem pflegen wir mit Begeisterung jiddisches Liedgut." Der "Shalom Chor Berlin" stellt ebenfalls das Hebräische in den Vordergrund "und setzt so die große Tradition der deutschen Synagogalmusik des 19. Jahrhunderts fort", betont Chorsprecher Walter Löhr. Aber auch das neure jüdisch-israelische Liedgut gehöre bei Konzerten zum Repertoire des Chores.

Der "HA KOL"-Chor aus Rom tritt in vier verschiedenen Formationen auf: als gemischter Chor, mit Kammermusik, als reiner Frauen- sowie als reiner Männerchor. Der Dirigent Andrea Orlando sieht in dem Chortreffen in Wien auch eine Möglichkeit, dass Juden aus ganz Europa näher zusammenrücken. Außerdem ist man natürlich neugierig, was man schließlich von den anderen Formationen so hören wird.

Zunächst stehen ab 9. Mai Workshops im Odeon in der Leopoldstadt auf dem Programm. Hier wird auch Gemeinsames erarbeitet. Am Samstag wird die Schabbatruhe eingehalten - und am Sonntag, den 12. Mai, präsentieren sich die 18 Chöre mit insgesamt an die 400 Sängerinnen und Sängern im Austria Center einem öffentlichen Publikum. Hier tragen die einzelnen Chöre jeweils aus ihren eigenen Programmen vor - und singen aber eben auch, was gemeinsam in Wien einstudiert wurde.

Ein historisches Ereignis 70 Jahre nach dem Holocaust

Chortreffen dieser Art gibt es bereits seit einigen Jahren, sowohl in Israel als auch in den USA. In Europa ist das Festival in Wien allerdings das erste dieser Art. Grinberg hat zu diesem Zweck dieses Jahr auch die "Association of European Jewish Choirs" gegründet. Die Organisation erfolgte hauptsächlich ehrenamtlich durch die Mitglieder des Wiener Jüdischen Chors. Das Gesamtbudget für das Festival beträgt 200.000 Euro, das vor allem von Sponsoren weltweit getragen wird, wie etwa der European Jewish Union, "ohne deren Unterstützung das Festival nicht in dieser Form stattfinden könnte", betont Grinberg.

Und so verwundert es auch nicht, dass etwa Tutzinger von einem "historischen Ereignis" spricht. "70 Jahre, nachdem die Nazis dabei waren, die europäischen Juden auszurotten, lassen wieder jüdische Chöre aus ganz Europa ihre Stimmen erklingen als eine Gemeinschaft für den Frieden." Und Löhr betont: "Hier wird Europa gezeigt, dass das Judentum lebt und zum Teil Jahrhunderte alte Musik ein Hörgenuss für Musikliebhaber ist."