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Nicht jedes Kind ist gleich viel wert

Von Brigitte Pechar

Politik

Sozialrechtsexperte Mazal: Beihilfe ohne Absetzbarkeit verfassungswidrig.


Wien. Muttertag und Wahlkampf - beides höchst geeignet, um das Thema Familienpolitik in den Mittelpunkt zu rücken. In Österreich bekommt eine Frau 1,4 Kinder. "Das wird sich langfristig auf 1,5 einpendeln", sagt Wolfgang Mazal, Universitätsprofessor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien und Leiter des Österreichischen Instituts für Familienforschung.

Das Dilemma sei, dass unter den großen politischen Parteien kein Konsens darüber bestehe, was Familienpolitik heißt. Sinnvoll, um auch in Österreich ähnlich hohe Fertilitätsraten wie Frankreich (2,03 Kinder pro Frau) oder Schweden (1,98) zu erreichen, wäre entweder eine Einigung darauf, welches Modell der Familienpolitik gut und förderungswürdig sei, oder - was der österreichischen Gesellschaft eher entspricht - die Anerkennung jedes Familienmodells als förderungswürdige Situation. Die geringsten Reproduktionsraten finde man im oberen Mittelstand (ab Einkommen von 2800 Euro), sagt Mazal. "Deshalb, weil diese den höchsten Lebensstandardabfall haben, wenn sie ein Kind bekommen."

In Schweden sei nach einer 100-jährigen Debatte die Gleichstellung der Geschlechter abgeschlossen. Jeder der Elternteile müsse sich gleichermaßen um das Kind kümmern; jeder müsse für sich selbst sorgen - es gebe keinen gegenseitigen Unterhalt zwischen Mann und Frau. Und Frankreich betreibe seit 150 Jahren eine pro-natalistische Politik. Dort würden Kinder nur in einem positiven Zusammenhang genannt und nicht wie in Österreich in Verbindung mit Schlagwörtern wie "Einkommensfalle" oder "Pensionsfalle". "Wir müssen halt auch einmal unsere gesellschaftliche Debatte führen", sagt Mazal.

Drei Modelle stehen zur Auswahl

Seit Jahren liegen Konzepte zur Reform der Familienförderung vor - so haben Arbeiterkammer (AK) und Industriellenvereinigung (IV) im Jänner 2012 ein gemeinsames Konzept vorgestellt, das im Wesentlichen auch von der SPÖ geteilt wird. Und auch die ÖVP hat bereits einen Vorschlag präsentiert. Aber erst jetzt macht die Regierung Ernst. Familienminister Reinhold Mitterlehner und Sozialminister Rudolf Hundstorfer sind dabei, die Familienbeihilfe neu zu ordnen. Ob sich ein Gesetz noch vor der Nationalratswahl, die voraussichtlich am 29. September sein wird, ausgeht, scheint fraglich. Im Familienressort geht man davon aus, dass bis dahin die Eckpunkte ausverhandelt sind, ein Gesetz aber erst nach der Wahl beschlossen wird. Im Sozialministerium "besteht der ernste Wille, das noch vor der Wahl abzuschließen".

Am Ende wird es eine Frage der Finanzierung sein - Ziel beider Seiten ist eine aufkommensneutrale Reform. Derzeit gibt Österreich etwas mehr als drei Milliarden Euro für Familienbeihilfen aus und hat 1,1 Milliarden Euro an steuerlichen Einnahmenausfällen durch Familienabsetzbeträge.

Streitpunkt sind steuerliche Absetzbeträge

Einig wird man sich vermutlich rasch darüber, dass die vielen Stufen der Familienbeihilfe (vier Stufen je nach Alter, vier verschiedene Geschwisterstaffelungen, Mehrkindzuschlag) vereinfacht werden. Aber die Frage, wie man mit mehreren Kindern umgeht, wird unterschiedlich gesehen, und vor allem spießt es sich an der Frage, ob und wie viel Geld für Kinder von der Steuer abgesetzt werden kann. "Wir haben 560 Ausnahmen im Steuersystem - nur für Kinder haben wir keine", sagt Finanzministerin Maria Fekter und fordert einen Steuerfreibetrag pro Kind und Jahr von 7000 Euro (3500 Euro pro Elternteil). "Es ist an der Zeit, endlich auch an die zu denken, die das ganze System tragen", argumentiert die Finanzministerin.

Solche Steuererleichterungen würden an den Defiziten bei den Kinderbetreuungseinrichtungen nichts ändern, kontert Sozialminister Hundstorfer. 71 Prozent der Mütter und 34 Prozent der Väter würden von den Freibeträgen, wie sie die ÖVP vorschlage, nichts haben, weil sie zu wenig verdienen und gar keine Steuer zahlen. "Faire Geldleistungen und mehr, beziehungsweise bessere Betreuungsangebote bringen allen Familien etwas, egal ob diese Steuern zahlen oder nicht." Die SPÖ will daher 150 Millionen Euro in Kinderbetreuungseinrichtungen investieren.

Aus der Sicht des Sozialrechtsexperten ist Familienbeihilfe, die keine steuerlichen Vergünstigungen enthält, verfassungswidrig. "Wir müssen Familien- und Sozialpolitik trennen." Die Familienleistung erkläre sich zum Teil aus dem Unterhaltsrecht. Der Verfassungsgerichtshof habe in den Jahren 1992 bis 1996 die Familienbesteuerung verändert, indem er nämlich festgestellt habe, dass die Hälfte der Unterhaltslast durch steuerliche Vergünstigungen und Transferzahlungen auszugleichen sei. "Davon leitet sich ab: Nicht jedes Kind ist gleich viel wert." Allerdings werde das abgefangen, indem der Sockelbetrag der Familienbeihilfe für alle gleich sei.

Wenn man eine Familienbeihilfe ohne steuerliche Komponente umsetzen wollte, müsste man sie in Verfassungsrang heben, oder die Transferzahlungen so hoch ansetzen, dass sie die Hälfte des Unterhalts ersetzen, sagt Mazal. Bei der sogenannten Playboygrenze - der höchsten Unterhaltszahlung - wären das etwa 680 Euro an Geldleistung pro Kind. Das scheint wenig Aussicht auf Erfolg zu haben.