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Mehr als Gebärmaschinen

Von Hülya Tektas

Politik
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Die vierfache Mutter Ayse Canli erhält jedes Jahr als Muttertagsgeschenk einen Friseurgutschein und den Eintritt in eine ganz spezielle Frauenmatinee.
© Ugur Atay

Kritik am herkömmlichen Mutterbild in der Türkei.


Wien. Stolz und mit Tränen in den Augen spricht die vierfache Mutter Ayse Canli über ihre Kinder. Jedes Jahr erhält die 48-Jährige als Muttertagsgeschenk einen Friseurgutschein und den Eintritt in eine ganz spezielle Frauenmatinee: "Als Mutter erwarte ich von meinen Kindern nur, dass sie mich nicht enttäuschen." Und vergangenen Sonntag wurde sie garantiert nicht enttäuscht.

350 türkische Frauen sind in den Pascha Palast "Dügün Sarayi" in der Geiselbergstraße im elften Bezirk gepilgert. Junge und alte Frauen, die mit Kopftuch und jene ohne, feierten hier den Muttertag. Es ist Zeit, sich ein Bild zu machen über die Mutterrolle in der türkischen Community.

In der türkischen Gesellschaft haben Mütter eine wichtige Rolle. Sie gelten als die wichtigste Person für die Kindererziehung. Aus diesem Grund legen viele türkische Mütter wie Ayse Canli großen Wert auf das Ansehen ihrer Kinder. Canli selbst arbeitet bei einem großen österreichischen Unternehmen als Hilfskraft in der Küche und kennt die Doppelbelastung der berufstätigen Frauen sehr gut. Sie musste sich oft rechtfertigen und erklären, dass sie trotz ihrer Erwerbstätigkeit eine gute Mutter ist.

Canli ist bereits dreifache Großmutter. Die rundliche Frau ist die auffälligste Person auf der Tanzfläche des eigentlich türkischen Hochzeitssaals in Simmering. Grund dafür ist ihre anatolische Nationaltracht, eine bunte Pluderhose und ein dreiteiliger Mantel. In der Türkei erlebt diese Tracht eine Renaissance. Viele Bräute tragen sie bei ihrer Henna-Nacht, die Abschiedszeremonie aus dem Elternhaus. Mit ihrer fröhlichen Art sorgt Canli für gute Laune an diesem Nachmittag und wirbelt über die Tanzfläche.

Seit 15 Jahren findet diese besondere Frauenmatinee in Wien statt. Der Journalist Özden Celik organisiert sie zweimal im Jahr für die türkische Community: eine Matinee zum Weltfrauentag und eine zum Muttertag. Er betont, dass im Gegensatz zu ihren Männern viele türkische Frauen in Wien selten ausgehen und feiern würden. Mit solchen "Women Only Events" bietet er Frauen die Möglichkeit, wenigstens einige Male im Jahr nach Herzenslust und Laune zu feiern. Manche tanzen hier mit ihren Kindern auf der Tanzfläche, während die anderen ihnen applaudieren. Mal wird Gangnam Style gespielt, mal erklingen türkische Klänge.

Frauen können in der Fremde Rolle nicht ausleben

Nurcan Demir füttert ihre vier Kinder gerade mit Börek, während sie ihren Landsfrauen beim Tanzen zusieht. Seit ihrer Hochzeit lebt die 29-jährige Hausfrau in Österreich. Das war vor zehn Jahren. Weit entfernt von ihrer eigenen Mutter hofft sie, dass ihre Kinder sie einmal genauso ehren werden, wie sie das immer mit ihrer in der Türkei lebende Mutter getan hat.

Demir, die aus einem ländlichen Gebiet der Türkei stammt, ist sich über die schwierigen Aufgaben der Mütter heutzutage bewusst. Die Beziehung der Kinder zu ihren Müttern sei in der Türkei stärker. "Kinder, die in der Fremde aufwachsen, sind ihren Müttern gegenüber emotional weniger verbunden", meint sie. Das Leben als Migranten würde auch das Verhältnis zwischen Kindern und Müttern verändern. Viele Frauen können aufgrund von Sprachschwierigkeiten ihrer beschützenden und wegweisenden Rolle ihren Kindern gegenüber nicht mehr nachkommen.

Die starke Überbetonung der Mutterschaft als wichtigste Aufgabe der Frau stößt in der Türkei auf Kritik. 2008 rief der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan am Weltfrauentag seine Landsfrauen auf, mindestens drei, am besten gleich fünf Kinder zu gebären. Tausende Frauen protestierten daraufhin. Türkische Frauenorganisationen versuchen seit Jahrzehnten, die traditionellen Familienstrukturen zu verändern. Eine der Forderungen der türkischen Frauenbewegung ist die Einführung einer institutionellen Kinderbetreuung, damit Frauen Familie und Beruf vereinbaren und Karriere machen können. Außerdem werden auch türkische Fernsehserien kritisiert, die durch die stark idealisierten, selbstlosen Mutterfiguren patriarchale Strukturen fördern.

Ayse Canli ist stolz auf ihre beiden Töchter, die wie sie berufstätige Mütter sind. "Hoffentlich nehmen meine Enkeltöchter uns als gutes Beispiel und werden einmal selbstbewusste und selbstständige Mütter sein."