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Schlechter Mix: HIV und Migrant

Von Ania Haar

Politik
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Wilfried Peinhaupt und Piotr Cichon versuchen, auf die speziellen Bedürfnisse ihrer migrantischen Patienten einzugehen.
© Luiza Puiu

Viele Betroffenen halten Krankheit vor der eigenen Community geheim.


Wien. "Mehrere europäische Statistiken belegen, dass Migranten häufiger von HIV betroffen sind als die einheimische Bevölkerung, wobei in Österreich der Anteil von rund 20 Prozent nicht so hoch ist wie in anderen westeuropäischen Ländern", sagt Piotr Cichon. Er ist Arzt in der Ambulanz am Otto-Wagner-Spital, die von Norbert Vetter geleitet wird, und beschäftigt sich neben Tuberkulose auch mit dem Thema HIV-Infektionen.

Insbesondere die Einwanderer aus sogenannten Hochprävalenzländern - das sind Länder, wo die Anzahl der HIV-Infizierten hoch ist -, wie Afrika südlich der Sahara und Südostasien, sind am stärksten betroffen. "Oft wissen die Patienten aber auch nicht, wo sie Hilfe suchen sollen", erklärt Cichon. "Sowohl in unseren Untersuchungen als auch international zeigt sich, dass auch nach der HIV-Diagnose Migranten schlechter abschneiden - sie finden später den Weg zum Arzt, also werden sie später behandelt und erzielen schlechtere Therapieerfolge." Warum das so ist, hat unterschiedliche Gründe.

"Bei HIV-Infizierten spielen die sozialen Lebensumstände eine ganz große Rolle", sagt Wilfried Peinhaupt, Klinischer Psychologe am Otto-Wagner-Spital. "Wenn Menschen in erster Linie mit finanziellen und sozialen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, nehmen sie HIV als Bedrohung nicht wahr, weil andere Dinge wichtiger sind." Ist ein Patient positiv getestet, dann habe er praktisch nur einen Laborwert in der Hand, und da am Anfang von der Krankheit nichts zu spüren ist, sei prophylaktische Vorsorge ein schwieriges Thema.

"Es ist tatsächlich ein Problem, Patienten zu einer Behandlung zu bewegen", meint Peinhaupt. So saß ein Patient vor rund zwei Wochen bei Peinhaupt im Besprechungszimmer. Bereits 2001 wurde ihm HIV diagnostiziert, er wollte es aber nicht wahrhaben. "Jetzt kam der Patient mit extremen Erkrankungen zu uns."

Ein weiteres Problem sei die Stigmatisierung innerhalb der eigenen Community. "Vor allem bei afrikanischen Männern und Frauen, aber auch bei Patienten aus dem ehemaligen Ostblock spielt das eine wichtige Rolle", fügt Peinhaupt hinzu. In der afrikanischen Community assoziiert man mit HIV vor allem eines: Tod. In den ehemaligen Ostblock-Ländern - wie etwa Tschetschenien oder Ukraine - werde HIV außerdem noch immer mit Homosexualität oder Drogenkonsum in Verbindung gebracht.

Durch diese Stigmatisierung sei die Bindung an die eigene Gruppe viel schwieriger, außerdem müsse die Erkrankung geheim gehalten werden. Das werde in der Ambulanz am Otto-Wagner-Spital besonders sichtbar, weil die Infizierten großen Wert darauf legen, niemandem aus der eigenen Community zu treffen, erklärt Peinhaupt.

Dabei sei es wichtig, nicht alleine zu sein. "Der Prozess läuft so, dass durch Informationen und Gespräche das Problem der Erkrankung immer weniger wird. HIV wird so ein kleiner Teil meiner Person, der mich in meinem Alltag nicht mehr besonders stört", sagt der Psychologe.

Kulturelle Unterschiede

Die 2. Interne Abteilung der Otto Wagner Ambulanz unter Leitung von Primarius Vetter scheint einen guten Ruf in den migrantischen Communitys zu haben. Da man die Einrichtung an die speziellen Bedürfnisse von Migranten angepasst hat.

Vor rund sieben Jahren hat Peinhaupt aufgrund von Schwierigkeiten mit afrikanischen Patienten mehrere Initiativen gestartet. Man habe einen afrikanischen Arzt eingeladen, um mehr über die kulturellen Unterschiede zu erfahren. "Wir haben das Problem gehabt, dass Patienten zwar da waren, aber wieder gegangen sind", erzählt Peinhaupt. "Dann haben wir erfahren, dass sie sehr personenbezogen sind. Wir glaubten: Er hat einen Termin, also kommt er. Tut er aber nicht, weil sein Arzt nicht da ist, sondern ein anderer. Das mussten wir erst lernen und entsprechend reagieren."

Im zweiten Schritt habe man für das Pflegepersonal Englisch-Kurse abgehalten, um sprachliche Barrieren abzubauen. "Und als dritten Schritt haben wir auf der Station eine große Afrika-Karte aufgehängt, um gemeinsam mit dem Patienten zu schauen, wo er herkommt. Für den Patienten ist das ein Zeichen, dass man sich für ihn interessiert. Das wurde sehr gut angenommen", so der Psychologe.

Doktor Cichon betont, dass in der Ambulanz eine speziell geschulte Krankenschwester von enormer Bedeutung sei, denn sie könne die betroffenen Patienten über die HIV-Therapie aufklären und ihnen die Einnahme der Medikamente genau erklären. "Sie begegnet den Patienten auf der gleichen Augenhöhe und ergänzt somit die Arbeit des Ärzte- und Psychologenteams." Dieses Angebot sei in Wien einzigartig.

Krankenschwester Manuela Teleu sitzt in ihrem Zimmer und telefoniert gerade mit einem Patienten. Er ist unsicher und lässt sich beraten. "Von den meisten HIV-Patienten, die es in Wien gibt, haben wir den größten Anteil an Migranten. Warum das so ist, wissen wir nicht, aber ich denke, dass es etwas mit Mundpropaganda und unserem guten Ruf zu tun hat", sagt Teleu.

Klar sei, dass Migranten wesentlich mehr Unterstützung brauchen als die anderen Patienten. Besonders bei Patienten, die schlecht deutsch sprechen, haben sich sogenannte Therapiepässe mit Bildern von Medikamenten in Originalgröße besonders bewährt, sowie auch HIV-Infobroschüren in verschiedenen Sprachen.

Vorurteile auch bei Ärzten

Bei der Aids Hilfe Wien setzt man vor allem auf Prävention: "Be
active in the prevention of HIV/AIDS!". Die mehrsprachige Kampagne ist für die afrikanischen, bosnisch-kroatisch-serbischen, türkischen und russischen Communitys gedacht. Laut der Aids Hilfe Wien sei Diskriminierung eine wesentliche Barriere zu Prävention, Testung und Therapie, vor allem bei Migrantengruppen aus Hochprävalenzländern. Eine sensible Vorgehensweise bei Prävention und Beratung sei daher unerlässlich.

Ob Migrant oder Einheimischer, eines haben alle gemeinsam: "Quer durch alle Altersgruppen stecken sich die Menschen an", betont Teleu. "Der älteste Patient bei mir ist 85 und der jüngste 19." Auffällig sei, dass in den vergangenen drei Jahren die Zahl der ab 50-Jährigen zunehme. "Was ich mir wünsche, ist noch mehr HIV-Aufklärung, denn mir erzählen Patienten, dass es noch niedergelassene Ärzte gibt, die einen HIV-Patienten nicht behandeln wollen", meint Teleu.