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Das Märchen vom Schlagersingen

Von Sonja Fercher

Politik
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Yves Chikuru identifiziert sich mit dem Tradtionellen in der heimischen Volksmusik.
© Sebastian Philipp

Geschichten aus dem Kongo mitten am Schöpfwerk für Groß und Klein.


Wien. Wäre er in Tirol gewesen, hätte aus seiner Schlagerkarriere vielleicht etwas werden können, spekuliert Yves Chikuru. Doch hier in Wien hören einfach viel zu wenige Menschen Schlager, meint der gebürtige Kongolese lakonisch. Er, der vor 24 Jahren das erste Mal nach Österreich gekommen ist, weiß mehr über die Welt der billigen Keyboardsounds, fröhlichen Volksmusik-Moderatoren und schunkelnden Bierzeltpartys als so mancher Einheimischer.

"Du hast mich geboren, warst immer bei mir. Und all deine Wärme verdanke ich dir. Bei Sonne und Regen warst du immer da, und durch deine Liebe bist du mir so nah. Mama, keine liebt so wie du!", singt der 44-Jährige voller Inbrunst beim Grandprix der Volksmusik 2009. Bedächtig marschiert er dabei durch die Kulisse von Plastikblumen und falschen Wasserfällen des Studios und blickt sanft in die erste Reihe des Publikums, in der eine zierliche Frau mit Tränen in den Augen sitzt. Sie ist Österreicherin.

Das Lied "Mama" hat er seinen Müttern gewidmet, seiner leiblichen Mutter und seiner Adoptivmutter. "Es kommt für jeden Mensch der Moment, wo man zurückblickt: Wie war es in Afrika? Wie war die Mutter, die dich großgezogen hat? Dann kommst du hierher und eine andere Frau nimmt dich auf. Ich wurde ja wirklich von einer Hand in eine andere getragen", erzählt er, wie die Geschichte mit dem Schlagersingen begann. "Da fing ich an Texte zu kraxeln." Dazu kam, dass ihn Schlager immer schon fasziniert haben: "Die sind so melodiös, und sie haben etwas Traditionelles an sich, mit dem ich mich identifizieren konnte."

Viel verdankt er seinen Müttern. Seiner leiblichen Mutter, die alles daran gesetzt hat, dass ihr Sohn mit dem geschwollenen Hals wieder gesund wird. Gemeinsam pilgerten sie von seiner Heimatstadt Bukavu aus, die in der Nähe der Grenze zu Ruanda liegt, von Arzt zu Arzt. Doch keiner kannte die Ursache für den geschwollenen Hals.

In Kinshasa traf der kleine Chikuru seinen Onkel, der eine Österreicherin geheiratet hatte. Die beiden beschlossen, den Neffen nach Wien zu holen. Chikuru selbst war nicht überzeugt, da er kurz zuvor gemeint hatte, eine Wunderheilung erlebt zu haben. Aber er ließ sich überreden und machte sich auf den Weg in den Norden. Im September 1989 landete er in Wien und sein erster Eindruck war ein kalter: "Das waren meine ersten 16 Grad. Ich habe gezittert wie noch nie!" Seine Tante holte ihn vom Flughafen ab. Sie wurde zu seiner zweiten Mutter. In Wien fand man die Ursache für seinen geschwollenen Hals: Krebs. In Wien blieb Chikuru zunächst, weil die Behandlungen einige Jahre dauerten. Anschließend musste er regelmäßig zu Kontrollen.

Früher wurde Schwarzen von der Polizei geholfen

Wien in den 1990er-Jahren war ein anderes Pflaster für Schwarze als heute. "Es war einfacher", erinnert sich Chikuru rückblickend. Denn Vorurteile wie jene vom Drogen-dealenden Schwarzen wurden erst später geschürt. "Die Neuankömmlinge heute können sich nicht vorstellen, dass uns früher auch die Polizei geholfen hat, zum Beispiel, wenn wir ein Visum beantragen mussten", sagt er. Im Laufe der Jahre aber habe sich die Stimmung Schwarzen gegenüber deutlich verschlechtert. Bei der Wohnungs- oder Jobsuche habe er sich nie diskriminiert gefühlt, im Alltag hingegen habe er immer wieder mal mit Vorurteilen zu tun gehabt. Chikuru bleibt dabei sehr vorsichtig: "Man muss aufpassen, dass man nicht alles auf die Hautfarbe zurückführt", sagt er selbstkritisch.

Er spricht ruhig. Eine sanfte Stimme hat der freundliche Mann. Während er erzählt, gestikuliert er, und wenn er dann auch seine Augen weit öffnet, wenn er begeistert oder fasziniert von etwas spricht, erinnert dies ein wenig an die Art und Weise, wie er auch seine Märchen erzählt. Denn der gelernte Industriemonteur und Hobby-Schlagersänger erzählt in seiner Freizeit gerne Märchen.

Er unterhält Kinder und Erwachsene mit Märchen, die ihm seine leibliche Mutter erzählte, als er noch ein Kind war. Begonnen hat er damit, als sie im Jahr 2010 starb. Sie war seine Inspirationsquelle. Wer ihn in Aktion beobachtet, wird feststellen, dass er besonders gut mit Kindern umgehen kann. Bei einer Lesung in der Stadtbücherei im 12. Bezirk trägt er traditionelle kongolesische Kleider. Mit dabei hat er auch eine Trommel, mit der er die Kinder aus der Reserve lockt. Schon bald toben die Kinder rund um ihn herum oder trommeln mit ihm. Nie lässt er sich aus der Ruhe bringen, wenn ihn die Kinder necken. Wenn es ihm dann doch zu viel wird, holt er die aufgekratzten Kinder freundlich, aber bestimmt wieder herunter.

Stolzes Meidlinger Urgestein aus dem Kongo

Zurzeit arbeitet er gerade an Illustrationen zu seinen Märchen, die bald als Buch erscheinen sollen. Märchenerzählen und -schreiben sind für ihn ein Nebenerwerb, es würde ihn aber nicht stören, wenn dies seine Haupteinnahmequelle werden würde.

Ob er mit seinen Spekulationen recht hat oder nicht, dass er in Tirol bessere Chancen auf eine Karriere als Schlagersänger gehabt hätte: Er lebt gerne in Wien - besser gesagt am Schöpfwerk. Hier fühle er sich sehr wohl: "Wir sind hier eine Stadt in der Stadt. Was mir gut gefällt, ist, dass in die Siedlung keine Autos reinkommen. Das ist etwas Wunderbares! Die Kinder schreien, sie spielen, sie laufen herum. Also: Man lebt!", sagt der zweifache Familienvater. Mit dem Verein "Bassena" gebe es außerdem ein soziales Zentrum, das die Bewohner zusammenbringt. Wenn man mit Chikuru durch das Schöpfwerk spaziert, wird spürbar, wie gut verankert er dort ist und wie wohl er sich dort fühlt, der Schlagersänger aus dem Kongo.