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Denken, Essen, Schlafen

Von Katharina Schmidt

Politik
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Aus dem Iran und Afghanistan nach Oberösterreich: Hesam (l.) und Mahmud wollen in Österreich bleiben, vorerst sind sie zum Nichtstun verdammt. Schmidt

20.000 Asylweber sind in Österreich in Grundversorgung - die "Wiener Zeitung" hat drei von ihnen besucht.


Reichersberg. Mahmud hat schon mehrmals angerufen. Er kann den Besuch aus Wien kaum erwarten, bringt er doch Abwechslung in seinen eintönigen Alltag. Seit einem Jahr lebt der gebürtige Syrer in dem Asylwerberheim in Reichersberg (Bezirk Ried im Innkreis), anders als viele seiner Kollegen hat er immer noch keine Antwort auf seinen Antrag bekommen.

Vom Augustiner Chorherren Stift Reichersberg sind es nur wenige Autominuten zum "Haus Hildegard", einer in die Jahre gekommenen Frühstückspension mitten in einer beschaulichen Wohnsiedlung. Im Mai vor einem Jahr hat die Caritas das Haus angemietet - und den erwartbaren Gegenwind erfahren. Es wurde eine Facebook-Gruppe gegen die Unterbringung der Asylwerber in der Grundversorgung gegründet, die Gemeindeoberen versprachen den aufgebrachten Bewohnern der 1400-Seelen-Marktgemeinde, rechtlich dagegen vorzugehen, die Nachbarn errichteten Schutzmauern und stellten Bauzäune in ihren pittoresken Vorgärten auf.

Von all dem ist nichts mehr zu merken. Der Bauzaun des Nachbarn steht weit offen, die Tür zum Flüchtlingshaus der Caritas ebenso. "Mittlerweile gibt es mit vielen Nachbarn ein tolles Miteinander, mit anderen ein ruhiges und gesittetes Nebeneinander", sagt Veronika Zweimüller, die das Haus leitet. Viele Nachbarn helfen den 25 dort untergebrachten Asylwerbern, die hauptsächlich aus Syrien, Afghanistan, dem Iran und Tadschiken kommen. Sie nehmen sie zum Einkaufen ins 20 Kilometer entfernte Ried mit oder sie laden sie zu Feiern ein. Denn große Sprünge können die Asylwerber hier alleine nicht machen. Dazu fehlt das Geld.

Jetzt ist Mahmud im Stress. Er möchte noch sein Zimmer aufräumen, bevor wir ihn besuchen. Also warten wir draußen am Gang. Auf dem dunklen Läufer zischt ein dreijähriger Bub in halsbrecherischem Tempo mit seinem Dreirad auf die Steinstufen zu. Bevor jemand eingreifen kann, bremst er ab, springt von seinem Gefährt und umarmt stürmisch das Bein des Besuchs. Fremdeln ist kein Thema in einem Haus, in dem Erwachsene und Spielgefährten permanent wechseln.

Schwarzer Kaffee und kitschige Daily Soap

Endlich lässt uns Mahmud in sein Zimmer. Auf knapp zehn Quadratmetern ist eine Vielzahl an alten gespendeten Möbeln zusammengewürfelt: zwei schmale Betten, ein kleiner Tisch, ein alter Computer. Im Eck läuft ein Fernseher ohne Ton. Sturm der Liebe. Wir müssen uns auf die Betten setzen, sonst ist kein Platz. Das unangenehme Gefühl, unbefugt in jemandes ohnehin schon kaum vorhandene Privatsphäre einzudringen, verstärkt sich noch, als Mahmud und sein Zimmerkollege Kaffee anbieten. Es ist die orientalische Variante: sehr schwarz, viel Pulver direkt in der Kanne.

Und dann beginnt Mahmud zu erzählen, mal auf Deutsch, mal auf Englisch. Daheim arbeitete der 26-Jährige als Automechaniker, dann bekam er die Einberufung zur Assad-Armee - und flüchtete. "Viele Probleme in Syrien", sagt Mahmud. Dass er immer noch in Reichersberg sitzt, während alle anderen Syrer längst Asyl oder subsidiären Schutz erhalten haben, versteht Mahmud nicht. Syrer haben laut Innenministerium mit 65 Prozent die zweithöchste Anerkennungsquote nach Iranern, auch die anderen werden nicht abgeschoben.

Für Mahmud wäre mittlerweile "eine negative Antwort besser als gar keine". Es ist die Langeweile, die ihn fast um den Verstand bringt. Er macht Sport, lernt Deutsch, aber die Deutschkurse, die die Caritas im Stift Reichersberg anbietet, sind auf 120 Einheiten begrenzt. "Viele steigen danach auch auf Selbststudium um", sagt Zweimüller. In Linz werden auch gratis Deutschkurse angeboten. Nur das können sich die Asylwerber in Reichersberg nicht leisten. Schon das Busticket nach Ried und zurück kostet 9,20 Euro, bei 5,50 Euro Unterstützung am Tag eine utopische Summe.

Schwierige finanzielleLage für Alleinstehende

Von höchstens 170,50 Euro pro Monat müssen die Asylwerber beinahe alle Bereiche des täglichen Lebens finanzieren: Nahrung, Seife, Shampoo. Nur Toilettenpapier und Waschpulver erhalten sie in strengen Rationen von der Caritas. Zweimal im Jahr gibt es Bekleidungsgutscheine, 50 Euro im Sommer, 110 im Herbst. Kinder unter 18 Jahren bekommen 121 Euro monatlich. "Familien mit zwei Kindern können sich ihr Leben halbwegs finanzieren, für Alleinstehende ist es sehr schwierig", sagt Zweimüller.

Zumindest ein internetfähiges Mobiltelefon leisten sich alle. Denn die Internetverbindung ist die einzige Brücke in die alte Heimat, über Skype oder Facebook versuchen die Asylwerber, mit ihren Verwandten in Verbindung zu bleiben. "Ihnen geht es gut, Alhamdulillah", sagt Mahmud - Gottseidank. Ihm hingegen nicht besonders. Er schläft nachts nicht, erst im Morgengrauen kommt er zur Ruhe. Wie viele andere in Reichersberg ist er in psychologischer Betreuung.

Ähnlich geht es Hesam: "Denken, Denken, Denken, Essen, Schlafen", sagt der 24-jährige Iraner, gefragt nach dem, was er den ganzen Tag tut. Und: "Arbeiten hilft gegen die Depression." Er hat Informatik studiert. Und er konvertierte zum Christentum, ein Delikt, für das ihm die Todesstrafe droht. Hesam wählte die Schlepperroute Nummer eins nach Europa: Sechs Tage lang in einem Lkw eingepfercht kam er über die Türkei und Griechenland nach Österreich. Er hat einen negativen Bescheid, den er jetzt vor dem Asylgerichtshof bekämpft.

Anders als Mahmud könnte Hesam auch arbeiten: Seit wenigen Wochen können Asylwerber bis zum Alter von 25 Jahren eine Lehre machen. Der Informatiker Hesam klammert sich an diesen Strohhalm, auch wenn ein solcher Job eigentlich nicht seinem Bildungsniveau entsprechen würde.

Ein Informatiker willeine Lehre machen

35 Bewerbungen an Fastfood-Ketten und Lebensmittelhändler hat er schon abgeschickt, aber keiner will ihn. Noch ist sein Deutsch zu schlecht. Die Zahl der Asylwerber, die nach dieser Regelung eine Lehre begonnen haben, liegt laut Zweimüller österreichweit im einstelligen Bereich. Denn abgesehen von den Deutschkenntnissen ist auch hier die Distanz ein Problem: Ohne leistbares Fortbewegungsmittel vom Land aus eine Lehrstelle zu bekommen, ist ein Ding der Unmöglichkeit.

Für ihre Klienten wünscht sich Zweimüller vor allem kürzere und berechenbare Verfahren. Abgesehen von der Dauer zehre die Ungewissheit, wann der Bescheid kommen wird, an den Nerven und an der Motivation. "Wenn ich morgen die Information bekommen kann, dass ich abgeschoben werde, warum soll ich dann Deutsch lernen?" Nichtsdestotrotz bereitet sie ihre Klienten auf ein Leben in Österreich vor.

Und plötzlich geht es dann ganz schnell. Shafiq und seine Frau Siwita stammen aus Afghanistan, wo sie nicht nur von den Taliban verfolgt wurden, sondern auch von ihren Familien, die gegen ihre Ehe waren. Ihr Sohn Süleyman war gerade zwei Jahre alt, als sie mitten in der Nacht die iranisch-türkische Grenze passierten. Mit einem kleinen Boot kamen sie nach Griechenland, wo sie acht Monate lang warteten. Dann wurde die Familie getrennt: Siwita, mittlerweile wieder schwanger, wurde mit Süleyman im Flugzeug nach Österreich geschickt. "Ich wusste nicht, wo sie hingekommen sind, in Griechenland habe ich die ganze Zeit nur geweint", erzählt Shafiq. Irgendwie verschlug es den gelernten Schneider dann nach Reichersberg. Tochter Zuhal kam in Ried zur Welt, vor kurzem hat die ganze Familie vor dem Asylgerichtshof einen positiven Bescheid bekommen. "Zuhal kann jetzt Journalistin werden oder Lehrerin, das wäre unter den Taliban nie möglich gewesen", sagt Shafiq. Und da ist es wieder, das "Alhamdulillah." Gottseidank.

Wissen

Die Grundversorgung wird über einen Vertrag zwischen Bund und Ländern geregelt. Die Länder müssen Asylwerber entsprechend ihres Bevölkerungsanteils aufnehmen. Während Wien seine Quote um fast die Hälfte übererfüllt, hinken die anderen Länder hinterher. Im Burgenland, der Steiermark und Vorarlberg wird die Quote um weniger als zehn Prozentpunkte untererfüllt, Tirol und Oberösterreich sind jeweils mit knapp 13 Prozentpunkten im Minus, gefolgt von Niederösterreich. Schlusslichter sind Salzburg (minus 16) und Kärnten (minus 17,5 Prozentpunkte).