Zum Hauptinhalt springen

Auf Knopfdruck auf der Straße

Von Clemens Neuhold

Politik
Die Ordner der Wiener Demo für Erdogan tragen die Parteifarbe der AKP. Dahinter marschieren rund 8000 Erdogan-Fans in Türkei-Fahnen gehüllt, die zuvor gratis verteilt wurden. Drago Palavra

Vier Prozent der türkischstämmigen Menschen in Österreich nahmen an umstrittener Demo für Erdogan teil


Wien. 15 Uhr: Favoritenstraße. Einen gefühlten Augenblick zuvor hat sich ein rot-weiß-rotes Fahnenmeer mit weißen Halbmonden in die Straße ergossen. Und jetzt: kein Flugblatt, kein kaputtes Fahrrad, keine Flasche und schon gar kein Blut. Sauber und friedlich. 8000 Demonstranten für Recep Tayyip Erdogan als harmonischer Gegenpol zu den Unruhen in Istanbul. Die Organisatoren, deren Spur sich so rasch verläuft wie die Demo, sind zufrieden.

Das AKP-Mobil

Offiziell haben zwei türkische Studentinnen die Demonstration angemeldet, doch ihr Epizentrum wird ein schwarzer BMW mit dem Kennzeichen "AK" sein. Aus seinem Kofferraum ziehen Ordner mit orangen T-Shirts AKP-Fahnen und verteilen sie an die Massen. Orange ist die Farbe der AKP, der Partei von Erdogan. Der BMW-Bolide zieht einen Anhänger, von dem türkische Lautsprecherdurchsagen ausgehen: "Sammelt Müll auf", "lasst Euch nicht provozieren". Selbst spontane Buh-Rufe, die sich gegen den Grünen Bundesrat Efgani Dönmez richten, werden eingebremst; Dönmez hatte angesichts der Zusammenstöße in Istanbul für die demonstrativen Erdogan-Fans in Wien ein "One-Way-Ticket in die Türkei" gefordert. Stattdessen ertönen blumige Verse gesprochen von Erdogan. Dazu werden Wasser und das türkische Joghurt Ayran verteilt - gratis, wie zuvor die Türkeifahnen. Die Mehrheit der Demonstranten hüllt sich trotz der Hitze ins patriotische Polyester.

Wer hat die Fahnen gesponsort? Wer hat die Busse für die Verstärkung aus den Bundesländern organisiert? Die AKP Österreich? "Es gibt keine offizielle Niederlassung der AKP in Österreich." Und die Facebook-Seiten? "Die stammen von privaten Sympathisanten", sagt Ercan Karaduman von den AKP-nahen "United European Turkish Democrats. "Es haben alle zusammengeholfen, es steckt kein großer Organisator dahinter. Das verstehen Europäer oft nicht, dass wir aufgrund der kollektiven Erziehungsmethode im Vergleich zur individuellen Erziehungsmethode auch im Kollektiv handeln." Ein Mitorganisator der Demo kündigt für Samstag Hintergründe zu den Veranstaltern und der Rolle der AKP an.

Die Rolle seiner UETD beschreibt Karaduman so: "Unsere Rolle war es zu schauen, wie die Demo abläuft. Wir haben den Puls der Wiener Türken abgetastet. Interessant war es auch zu sehen, wie sich Türken auf einen Knopfdruck solidarisieren können." Ehrengast bei der Demo war auch der mächtigen AKP-Abgeordnete in Istanbul, Metin Külünk. Der noch größere Ehrengast via Handy: Erdogan. Der "World Leader" oder "ewige Held", wie es auf zwei Plakaten heißt. Am Höhepunkt der Demo holt Külünk Erdogan ans Handy und übermittelt Grüße an die Unterstützer. Karaduman bringt Külünk nach der Demo zum Flughafen. Er selbst fliegt ebenfalls sofort nach Istanbul und berichtet.

Die Gewalt der anderen

Was sagen die Menschen dazu, die "Gott ist groß" genauso skandieren wie "Recep Tayyip Erdogan", wenn Landsleute in der Türkei niedergeknüppelt werden?

Manche verurteilen die Härte der Polizei am ersten Tag. Doch noch viel härter verurteilen sie alles, was bei den Folgedemos kam. "Vandalen, Steinewerfer, Umstürzler", schimpfen sie. "Wir haben Erdogan gewählt, man muss ihn respektieren. Wenn sie was gegen ihn haben, sollen sie jemanden anderen wählen", sagt Erkan Cakmak, der mit seinen Söhnen auf der Demo ist. Die jungen Muskelprotze Caglar und Muhammed (unten links) stören die "Steinwerfer". Karagül Ali, ein Gastarbeiter der ersten Stunde sagt: "Wir haben nichts kaputt gemacht, aber die anderen machen alles kaputt." Er sagt, was viele denken, dass die Gegner der AKP die Türkei-Demos als Tarnung für den Umsturz verwenden wollen. Auch die Steuerung der Proteste aus dem Ausland, die Erdogan gerne bemüht, ist Thema. "Die Deutschen, Franzosen und Engländer stört es, dass wir uns wirtschaftlich so schnell entwickeln", wälzt Karacayli T., der im Kinderwagen seine Tochter vor sich her schiebt, seine Theorien. Dass die Gewalt der ersten Stunde gegen die Parkbesetzer die Proteste erst so richtig anfachte, ist hier kein Thema. Jetzt geht es darum, "ihren" Premierminister zu unterstützen - und gemeint ist nicht Werner Faymann. "Österreich ist mit dir", ruft eine Frau mit Kopftuch. Der Großteil hier trägt es.

"Gut, dass es in Österreich Meinungsfreiheit gibt. Wenn sie als Andersdenkende in der Türkei diese Demo abgehalten hätten, hätten sie es wahrscheinlich mit Wasserwerfen zu tun bekommen", sagt die grüne Abgeordnete Alev Korun zur "Wiener Zeitung". Es sei ein gewisser Widerspruch, das Demonstrationsrecht zu beanspruchen und zum Ausdruck zu bringen, dass die Niederschlagung von Demonstrationen woanders o.k. ist. Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz mahnt, die türkischen Konflikte "nicht in Österreich auszutragen".

Die 600 Demonstranten, die am Sonntag gut abgeschirmt gegen Erdogan demonstrieren, geben kein so einheitliches Bild wie ihre Gegner ab. Sie sind bunt zusammengewürfelt - und das Wasser kaufen sie selbst.