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Viel Lärm um Tempo 30

Von Petra Tempfer

Politik

Grüne fordern Tempolimit in allen Ortschaften - breite Front dagegen.


Wien. Das 13 Meter lange, tonnenschwere Lastauto hatte die drei Fußgängerinnen in Wien-Favoriten, darunter eine Zwölfjährige, auf einem Zebrastreifen erfasst. Zwei starben, einer mussten die Beine amputiert werden. Am Donnerstag stand der Fahrer rund ein Jahr nach dem Unfall vor Gericht. Bereits jeder vierte tödliche Fußgängerunfall passiert laut Verkehrsclub Österreich (VCÖ) auf dem Schutzweg. Rund 15 sterben hier jährlich, etwa 1000 werden verletzt. Wäre diese Zahl bei einem Tempo-30-Limit geringer?

"Ja", sagen die Einen, die neben der höheren Verkehrssicherheit eine geringere Lärm- und Feinstaubbelastung als Vorteile einer generellen Geschwindigkeitsbegrenzung sehen. Allen voran der VCÖ und die Grünen, die daher vehement Tempo 30 statt 50 in Ortschaften fordern. Auch auf europäischer Ebene läuft derzeit eine Bürgerinitiative für Tempo 30 (www.30kmh.eu): Gelingt es, bis November 2013 mindestens eine Million Unterstützungserklärungen aus sieben oder mehr EU-Ländern zu sammeln, ist die Kommission verpflichtet, das Thema aufzugreifen, eine Lösung vorzuschlagen und gegebenenfalls gesetzgeberisch tätig zu werden.

Musterbeispiel Graz

In Österreich hält allerdings die Mehrheit - wohl im Sinne der Autofahrerlobby - eine Tempo-30-Beschränkung in allen Ortschaften für wenig sinnvoll und gibt den Ball weiter: SPÖ, ÖVP und FPÖ verweisen auf Anfrage der "Wiener Zeitung" darauf, dass es den Straßenerhaltern wie Ländern, Städten und Gemeinden stets freistehe, überall dort eine Geschwindigkeitsbegrenzung einzuführen, wo es aus Sicherheitsgründen erforderlich sei (etwa vor Schulen). FPÖ-Verkehrssprecher Gerhard Deimek sieht eher Autos auf Parkplatzsuche als störende Lärmerzeuger. Und in Bezug auf Feinstaub seien Hausbrand und Industrie die größten Verursacher - der Straßenverkehr sei der kleinste. Graz, wo seit 20 Jahren nur noch auf Vorrangstraßen 50 Stundenkilometer schnell gefahren werden darf und sonst 30, sei ein Musterbeispiel dafür.

Auch im Verkehrsministerium sieht man derzeit keine Notwendigkeit für eine Änderung des Tempolimits in Ortschaften. "Es gibt keine Überlegungen in diese Richtung", heißt es, und: "Die Länder sind ja ohnehin flexibel."

Trotz dieses geschlossenen Widerstands betont die grüne Verkehrssprecherin Gabriela Moser überzeugt: "Geschwindigkeitsdämpfung ist einer der wirksamsten Faktoren für mehr Verkehrssicherheit. Deshalb Ja zu Tempo 30 dort, wo wie in unseren Städten und Orten die Verkehrssicherheit erhöht werden muss. Tempo 30 hilft auch massiv gegen Lärm und reduziert Schadstoffe."

Lärm macht krank

Tatsache ist, dass der Verkehr Österreichs größter Lärmerzeuger ist, wie eine aktuelle VCÖ-Studie ergeben hat: Jeder Fünfte fühlt sich demnach durch Motorengeräusche wie von Autos und Motorrädern belastet. In größeren Städten sei dieser Anteil noch höher.

Medizinisch belegt ist auch, dass Lärm krank macht. Genauer gesagt: Er verursacht Stress, der zu Bluthochdruck und in weiterer Folge Herz-Kreislauferkrankungen führen kann. Cortisol heißt einer der Übeltäter. "Dieses Hormon, das bei Stress vermehrt ausgeschüttet wird, findet sich dann im Morgenharn, wenn der Betroffene über Nacht Lärm ausgesetzt war", sagt Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der MedUni Wien zur "Wiener Zeitung". "Die Augen sind zu, die Ohren aber immer offen, und Lärm in der Nacht versetzt den Organismus in Dauer-Alarmbereitschaft."

Bereits bei einer Überschreitung des Dauerschallpegels von 55 Dezibel nachts (Straßenlärm) ist man laut Hutter einem um 20 Prozent höheren Herzinfarkt-Risiko ausgesetzt. Erst bei 130 Dezibel (startendes Flugzeug) ist allerdings die akustische Schmerzgrenze erreicht, weshalb Schlafende die Belastung nicht merken.

Nicht Lärm, sondern die Gefahrenreduktion steht für das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV) bei der Tempo-30-Diskussion im Fokus. Armin Kaltenegger, Leiter der KfV-Rechtsabteilung, relativiert: "Ein Tempo-30-Limit allein würde nichts nützen. Die Autofahrer würden weiterhin 50 Stundenkilometer schnell fahren, wenn die Straßen nicht entsprechend angepasst werden." Um ein pauschales Tempolimit durchzusetzen, müsste man also sämtliche Städte etwa mit Bodenschwellen und Gehsteigohren versehen. "Und das wird nicht passieren."