Wien. Kehraus im Hohen Haus. Von Dienstag bis Freitag absolvieren die 183 Abgeordneten noch 135 Tagesordnungspunkte - darunter die Atomstromfreiheit Österreichs, die neue Sicherheitsstrategie, Reform der Wehrpflicht, Bankeninsolvenzrecht, Bienenschutz oder Pflegekarenz. Dann ist Sommerpause. Die Tagung des Nationalrats beginnt erst wieder am 9. September.
Bis dahin wird es vermutlich mehrere Sondersitzungen geben. Alleine für das derzeit noch nicht fertige Demokratiepaket werden zwei Sondersitzungen notwendig sein. Auch der beginnende Wahlkampf könnte noch hitzige Debatten zutage fördern, die das Hohe Haus beschäftigen könnte.
Der letzte Sitzungsreigen vor Tagungsende wird sehr viele lang gediente Parlamentarier wohl auch mit Wehmut erfüllen. Fast ein Drittel der nunmehrigen Mandatare wird im neuen Nationalrat nach der Wahl am 29. September nicht mehr vertreten sein. 41 Abgeordnete werden nach jetzigem Stand dem nächsten Nationalrat ganz sicher nicht mehr angehören, auf einem unsicheren Listenplatz finden sich 24 Mandatare. Zusätzlich ist beim BZÖ nicht absehbar, ob es den Wiedereinzug schafft. Realistisch werden rund 70 Neue im nächsten Nationalrat erwartet.
Einer der prominentesten Abgänger ist Martin Bartenstein (60). Der Pharmaunternehmer war von 1991 bis 1994 und ab 2008 Abgeordneter zum Nationalrat. Dazwischen gehörte er mehreren Regierungen an. "News" bezeichnete ihn einmal als Österreichs reichsten Minister: 70 Millionen Euro schwer soll sein Vermögen sein. Da ist es auch mit 60 noch leicht, auf die Abgeordneten-Gage (8000 Euro) zu verzichten und sich neuen Aufgaben zu widmen.
Genau da liegt für den Politikwissenschafter Peter Filzmaier ein Problem. Das politische System brauche mehr Durchlässigkeit, wenn man weniger Berufspolitiker haben wolle, sagte der Politologe im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Tatsächlich sollten Politiker nur eine oder zwei Legislaturperioden - die jetzt ohnehin schon fünf Jahre dauert - im Amt sein und dann wieder frischen Gesichtern Platz machen.
Aber, das ist nicht immer einfach. Selbst ein Unternehmer schleppt nach einer politischen Laufbahn eine Parteipunzierung mit sich herum. Zwar hat es bereits Journalisten im Nationalrat gegeben, aber diese haben die politische Funktion am Ende ihrer beruflichen Laufbahn angenommen. Ein Beispiel ist der frühere Fernsehmoderator Josef Broukal, der für die SPÖ im Nationalrat war. Auch Gertrude Aubauer, die frühere ORF-Journalistin, ist erst 2006 mit 55 Jahren von der ORF-Parlamentssendung "Hohes Haus" für die ÖVP ins Hohe Haus gewechselt. Beide müssen den Nimbus der Parteipolitik nicht mehr ins Berufsleben mitnehmen.
Als Journalist von einer Parteifunktion wieder in den Beruf zurückzukehren, ist nahezu ausgeschlossen - schließlich gibt es kaum noch Parteizeitungen. Und Qualitätszeitungen, die sich der Äquidistanz verpflichtet fühlen, könnten in Argumentationsnotstand geraten, wenn sie einstige Parteipolitiker in ihren Redaktionen haben. "Da fehlt es eben an politischer Kultur. Funktionäre sollten nicht nach ihrer Parteizugehörigkeit, sondern nach deren Kompetenzen beurteilt werden", sagt Filzmaier.
Die Cool-down-Phase kann helfen, wieder im realen Leben Fuß zu fassen. So erhalten Regierungsmitglieder sechs Monate nach Beendigung ihrer Tätigkeit ihr Gehalt weiter bezahlt, bei Abgeordneten sind es drei Monate.
"Das Parlament verträgt die Erneuerung sehr leicht"
Dass im Herbst ein Drittel der Mandatare neu sein wird, befindet der Politologe als positiv: "Das Parlament verträgt das sehr leicht." Und zwar aus mehreren Gründen: Einerseits soll die Zahl der Jungen ansteigen, außerdem soll auch die Frauenquote verbessert werden. Bei der vergangenen Wahl 2008 waren 20 Prozent der Wähler unter 30 Jahre alt, aber kein einziger Kandidat der unter 30-Jährigen wurde gewählt. "Da stimmen die Relationen hinten und vorne nicht mehr."
Dass es Reibungsverluste durch die vielen Neuen geben wird, glaubt der Politologe nicht. Bei allen wichtigen Besetzungen - Ausschussvorsitzende, Bereichssprecher - gelte das Senioritätsprinzip. Die Neuen werden sich erst einarbeiten müssen. Die Klubs seien hier eine große Hilfe. "Der Preis dafür ist die Linientreue." Je unerfahrener ein Mandatar ist, desto eher hält er sich an die Klublinie. Die Erneuerung der Parlamentsklubs erfolge aber weniger über Vorzugsstimmen, sondern über die Listen. Und diese seien von den Parteien handverlesen - ein Wermutstropfen, wie Filzmaier befindet.