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Erste Hilfe für Bräute wider Willen

Von Katharina Schmidt

Politik

Nach zehn Jahren kommt nun erste Notwohnung für Zwangsverheiratete.


Wien. Sommerferien - die Zeit der Erholung, der langen Nächte draußen mit Freunden, der ersten Liebe. Sommerferien - die Zeit, wenn für 200 Mädchen die harte Realität den romantischen Traum zerreißt. Schätzungsweise so viele Mädchen und junge Frauen werden jährlich in Österreich zwangsverheiratet - viele von ihnen, indem sie aus den ausgedehnten Ferien in der Heimat ihrer Eltern einfach nicht mehr zurückkommen.

Ist ein Mädchen einmal außer Landes, gibt es kaum noch Möglichkeiten, ihr zu helfen, sagt Meltem Weiland vom Verein Orient Express, der seit 2001 eine steigende Anzahl von Zwangsheirat Bedrohter und Betroffener berät. Im Jahr 2012 wurden 89 Frauen beraten. Seit Jahren kämpft der Verein auch um die Finanzierung einer geheimen Notwohnung, in der die Mädchen, die vor einer Zwangsehe fliehen, fernab von ihren Familien untergebracht werden können. Nach langem Hin und Her ist es nun so weit: Am Dienstag haben Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek symbolisch den Schlüssel für eine Notwohnung übergeben. Sie bietet - nach dem Vorbild einer Berliner Einrichtung - ab Mitte Juli Platz für bis zu zehn Mädchen und junge Frauen im Alter zwischen 16 und 24 Jahren, die von sechs mehrsprachigen Betreuerinnen versorgt werden. Die Kosten von rund 320.000 Euro teilen sich die beiden Ministerien.

Anders als in Deutschland (siehe "Wissen") ist Zwangsverheiratung in Österreich kein eigener Straftatbestand, sondern fällt unter das Delikt der schweren Nötigung, das mit sechs Monaten bis fünf Jahren Haft bedroht ist. Opfer haben das Recht auf einen Aufenthaltstitel "Besonderer Schutz", wie er zum Beispiel auch Menschenhandelsopfern zusteht. Im Jahr 2012 wurden insgesamt 44 solcher Titel vergeben, eine gesonderte Auswertung für Zwangsverheiratete gibt es nicht. Weiland wehrt sich gegen die weitverbreitete Meinung, Zwangsehe sei ein religiöses Phänomen. Neben Opfern aus der Türkei, Afghanistan und Pakistan betreue sie auch Inderinnen oder koptische Christen aus Ägypten. Im Interview erklärt sie, warum es ein Jahrzehnt gedauert hat, bis eine Notwohnung errichtet wurde.

"Wiener Zeitung": Sie haben 2001 mit der Betreuung Zwangsverheirateter begonnen. Jetzt, zwölf Jahre später, wird die erste Notwohnung eingerichtet. Kommt das nicht ein bisschen spät?Meltem Weiland: Besser spät als gar nicht. Natürlich haben wir über die Jahre mit Bedrohten, Betroffenen, Eltern und Multiplikatorinnen zusammengearbeitet, aber es hat lange gedauert, auch die Gesellschaft und die Politik für das Thema zu sensibilisieren. Und es hat lange gedauert, deutlich zu machen, dass es sich um Gewalt handelt.

Von 2005 bis 2012 haben Sie Workshops an Schulen durchgeführt. Heuer ist kein Geld mehr dafür da. Auf der einen Seite gibt man, auf der anderen nimmt man?

Das ist ein anderes Ressort, unsere Workshops wurden vom Unterrichtsministerium finanziert. Wir haben bis jetzt weder eine Ab- noch eine Zusage erhalten. Da die Organisation der Workshops Zeit braucht, gehen wir davon aus, dass für dieses Jahr die Finanzierung nicht gegeben ist.

Müssen nicht vor allem die Eltern aufgeklärt werden?

Um das Problem überhaupt beseitigen zu können, müssen wir die Familie als eine Einheit betrachten. Wenn die Tochter bei uns untergebracht ist, müssen wir mit den Eltern arbeiten, um zum Beispiel auch ihre Schwestern schützen zu können. Nur so können wir das Problem nachhaltig aus der Welt schaffen. Die vorhandenen Ressourcen reichen nicht dafür aus. Wir versuchen aber manchmal mit der Mutter Gespräche zu führen, in der Hoffnung, dass sie den Ehemann auch überzeugen kann.

Wie sieht eine erfolgreiche Beratung aus?

Wir bezeichnen es als Erfolg, wenn eine Klientin nicht verheiratet wird. Zu 99,9 Prozent werden die bedrohten Klientinnen nicht verheiratet, wenn sie in eine Beratungsstelle wie Orient Express kommen.

Wie groß ist die Gefahr, dass die Mädchen aufgespürt werden?

Wie auch in Deutschland bei der Notwohnung Papatya kennen nur sehr wenige die Adresse der Notwohnung in Wien. Und wir haben Hausregeln - etwa müssen die Mädchen ihr Handy abgeben.

Ist die Wohnung ausgelastet?

Ja, es gab schon zahlreiche Anfragen. Hätten wir wie geplant im Juni eröffnet, gäbe es jetzt zumindest sieben Bewohnerinnen. Die Wohnung bietet zehn Plätze - für ganz Österreich.

Wie gelingt es, den Mädchen, die aus sozialem Umfeld und Schule herausgerissen werden, einen normalen Alltag zu ermöglichen?

Das geht ziemlich gut. Mädchen, die den Schritt gemacht haben, haben durch ihre bisherigen negativen Erfahrungen in der Familie mit sehr Vielem schon abgeschlossen. Dann gehen sie auch sehr selbstbewusst mit ihrem Leben und ihrer Zukunft um. Uns bleibt dann nur noch, sie zu begleiten und zu unterstützen.

Zur Person

Wissen: Zwangsehe in Deutschland



MeltemWeiland

Weiland lebt seit 1997 in Österreich. Seit 2000 ist sie Beraterin beim Verein Orient Express, Referentin und Expertin für Zwangsheirat.

(kats) Anders als in Österreich gibt es in Deutschland mehr als nur Schätzungen zu Opferzahlen: Eine Umfrage, die 2011 unter anderem von der NGO Terre des Femmes (TDF) im Auftrag des Familienministeriums durchgeführt wurde, weist für 2008 mehr als 3500 Beratungen aus. 97 Prozent der Betroffenen waren Mädchen. Auch in Deutschland war Zwangsverheiratung schwere Nötigung, seit 1.Juli 2011 gibt es einen eigenen Straftatbestand. Die Strafdrohung ist mit sechs Monaten bis fünf Jahren gleich hoch wie in Österreich. Vor Gericht hat es laut Monika Michell, Referentin für Ehrverbrechen bei TDF, aber erst ein Fall geschafft, der noch nicht entschieden ist. Oft werden Anzeigen wieder zurückgezogen. Laut Michell finden mehr als 50 Prozent der Zwangsverheiratungen im Ausland statt. TDF überprüft gerade die Wirksamkeit einer Gesetzesnovelle, nach der das Rückkehrrecht für Zwangsverheiratete verlängert wurde: Wer für länger als für sechs Monate Deutschland verlässt, verliert seinen Aufenthaltstitel, für Zwangsverheiratete wurde diese Frist nun auf zehn Jahre verlängert. Nötig ist laut Michell auch eine bessere Anonymisierung der Mädchen und eine bessere Kooperation zwischen den einzelnen involvierten Institutionen wie Jugendamt und Polizei. Auch sie will keinesfalls von einem religiösen Problem sprechen: "Zwangsehe ist ein Problem traditioneller, patriarchaler Strukturen."