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Wahlrecht auch ohne Staatsbürgerschaft?

Von Sophia Freynschlag

Politik

Verfassungsrechtler Mayer: Wahlrecht an Mindestaufenthaltsdauer binden.


Wien. Sarah Schneider lebt seit sechs Jahren mit deutschem Pass in Österreich, Clifford Erinmwionghae flüchtete vor neun Jahren aus Nigeria nach Wien. Beide sind keine österreichischen Staatsbürger und gehören damit zu jener einen Million Einwohner, die bei der Nationalratswahl am 29. September nicht mitstimmen darf. Wahlberechtigt sind nur Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft - ein Demokratiedefizit, kritisieren die politische Arbeitsgruppe "WahlweXel jetzt!" und SOS Mitmensch.

In Wien sind 21 Prozent der Einwohner nicht wahlberechtigt, im 15. Bezirk sogar 34 Prozent. "Wer in Österreich lebt, soll auch wahlberechtigt sein", fordert Fanny Müller-Uri von "WahlweXel jetzt!". Alexander Pollak von SOS Mitmensch sagt: "Wer seit drei Jahren den Hauptwohnsitz in Österreich hat und von politischen Entscheidungen betroffen ist, sollte bei Wahlen mitstimmen dürfen."

Verfassungsjurist Heinz Mayer spricht sich ebenfalls für einen leichteren Zugang zum Wahlrecht aus: "EU-Bürger, die seit fünf oder sechs Jahren in Österreich leben, arbeiten und integriert sind, sollten wahlberechtigt sein." Für Drittstaatsangehörige kann er sich eine längere Mindestaufenthaltsdauer vorstellen. Einen Aufenthalt von wenigen Monaten hält Mayer für zu kurz: "Wählen heißt Zukunft gestalten. Das sollte nur jemand, der im Land verankert ist." Die Bedeutung der Staatsbürgerschaft werde ohnehin abnehmen, die Gleichbehandlung von EU-Bürgern werde sich auch im Wahlrecht verfestigen. Nicht österreichische EU-Bürger mit Hauptwohnsitz in Österreich dürfen jetzt bereits an Gemeinderatswahlen und Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen, mit Hauptwohnsitz in Wien bei Bezirksvertretungswahlen.

Aus dem Integrations-Staatssekretariat heißt es indes, dass keine Änderungen im Wahlrecht für Nicht-Staatsbürger geplant sind. Das Wahlrecht sei einer der letzten Anreize für die Erlangung der Staatsbürgerschaft.

Wahlberechtigte geben Stimme an Migranten weiter

Weltweit erlauben nur vier Länder Nicht-Staatsbürgern, bei nationalen Parlamentswahlen mitzustimmen, so Müller-Uri: Neuseeland, Malawi, Chile und Uruguay. In Europa zählt Österreich zu den restriktivsten Ländern, was den Zugang zu Staatsbürgerschaft und Wahlrecht angeht, hat eine Studie ergeben. Liberaler sind die Beneluxstaaten, Finnland, Irland, Griechenland und die Slowakei.

Um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen, veranstaltet SOS Mitmensch am 24. September in Wien eine symbolische Wahl für Nicht-Staatsbürger. "WahlweXel jetzt!" ruft am 25. September bei einem Event im Rahmen der von den Grünen initiierten Wienwoche auf, dass Wahlberechtigte im Auftrag von Nichtwahlberechtigten per Briefwahlkarte ihre Stimme abgeben. Rechtlich sei diese Aktion heikel, sagt Robert Stein, Leiter der Wahlabteilung im Innenministerium: Wähler geben bei der Briefwahl eine eidesstattliche Erklärung ab, dass sie "persönlich, unbeobachtet und unbeeinflusst" gestimmt haben.