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Der Erste seiner Art

Von Sonja Fercher

Politik
Schweifhaare weißer Hengste werden von Thomas Gerbeth am liebsten für den Bogenbau verwendet. Sebastian Philipp

Spezialisierung im Bogenbau nur im Rahmen der Geigenbauer-Lehre möglich.


Wien. Wenn man von der Schnellbahnstation Hetzendorf aus die Breitenfurter Straße entlanggeht, ahnt man nichts von dem Handwerk, dem gleich um die Ecke nachgegangen wird. Erst, wenn man die modernen Wohnhäuser in der Stachegasse in Meidling hinter sich gelassen hat, stößt man auf das Haus mit dem großen Garten, in dem Thomas und Anke Gerbeth Geigen- und Cellobögen herstellen. Bogenbau ist ein diskretes Gewerbe, erklärt Thomas Gerbeth die geradezu versteckte Lage. Die Werkstatt ist in hellem, freundlichem Holz eingerichtet, durch die vielen Fenster scheinen die Sonnenstrahlen herein. In der Mitte des Raums steht ein großer Tisch, auf dem Kunden ihre Stücke abstellen können, damit sie der Meister begutachten kann. Eine Katze streift durch die Werkstatt und lässt sich auf einer Treppe nieder, die in die Wohnräume in den ersten Stock führt. Unter eben dieser Treppe lagern die Rohstoffe, Holzstangen, aus denen später einmal feingelenkige Bögen entstehen werden. "Je dünkler, desto dichter ist das Holz", erklärt Gerbeth. Im Keller lagern noch Unmengen davon, denn das Holz, aus dem die Bögen erzeugt werden, steht inzwischen unter Artenschutz. Um die 7000 Stangen habe er dort gelagert und damit genug, um noch bis zum Ende seines Arbeitslebens damit auszukommen.

Auf den Beruf wurde hierzulande vergessen

Gerbeths Handwerk ist nicht nur diskret, es ist in Österreich auch eine Rarität: Bis heute ist der gebürtige Deutsche der einzige Bogenbauer-Meister in Österreich - "mit deutschem Meistertitel", wie er ergänzt. So paradox es auch klingen mag, aber in der stolzen Musikstadt Wien hat es bis 1997 keinen Bogenbauer-Meister gegeben. Der Grund klingt wie ein schlechter Scherz: "Als sie das Berufsbild des Streich- und Saiteninstrumenterzeugers entwickelt haben, haben sie schlicht und ergreifend den Bogenmacher vergessen - weil es einfach bis dato niemanden gab, der in Österreich diesen Beruf erlernt hat", erzählt Gerbeth. Er selbst hat sein Handwerk in der DDR gelernt, und zwar in Markneukirchen im sächsischen Musikwinkel. Danach arbeitete er in Süddeutschland und war auf der Suche nach einem Ort, an dem er sich selbständig machen konnte. Hauptkriterium: noch keine "hohe Dichte" an Kollegen. Fast beiläufig ließ sein damaliger Chef Klaus Grünke die entscheidende Information fallen: "In Österreich gibt’s keinen." Also fragte Gerbeth seine Frau, was sie davon halte, nach Wien zu ziehen. "Warum nicht? Ist eine schöne Stadt, da gibt es viel Musik", erinnert sich Anke Gerbeth an ihre spontane Reaktion. Gesagt, getan.

So einfach wie die Entscheidung war der Weg nach Wien aber nicht. In Österreich wurden die beiden sogleich mit den Mühen der Bürokratie konfrontiert. "Nachsicht der Nachweispflicht laut Paragraph 373c der Gewerbeordnung von neunzehnhundert-keine-Ahnung-was zur Ausübung des Saiten- und Streichinstrumenten-Erzeuger-Handwerks eingeschränkt auf Bogenbau", zitiert Anke Gerbeth und muss tief Luft holen. Sie hat die Anekdoten bereits so oft erzählt, dass sie Passagen wie diese immer noch auswendig kann. Während sie ihre Anekdoten erzählt, werkt Thomas Gerbeth an einem Bogen. Immer wieder hält er ihn gegen das Licht, um Unebenheiten zu entdecken, die es in Feinarbeit auszubessern gilt. Währenddessen arbeitet seine Frau an der Behaarung für einen Cellobogen. Mit ihren Fingern "durchkämmt" sie ein Büschel Haare - "idealerweise die Schweifhaare von weißen Hengsten" - und sortiert jene aus, die in ihrer Hand hängen bleiben. "Wenn eines so rau ist, dass es beim Spielen stören würde, gebe ich es raus", erklärt sie. Die Haare werden dann auf den Bogen gespannt, ihre typische, breite Form bekommen sie allein durch die Spannung. Lediglich zum Schluss werden sie mit Kolophonium eingelassen, einem Harz, das die Saiten in Schwingung bringt und so den Ton erzeugt.

"Als Thomas Gerbeth nach Wien kam und sich als "einziger Bogenbauer-Meister" präsentierte, hat das natürlich bei den Geigenbauern, die bisher die Geigenbögen produziert haben, für Irritationen gesorgt. "Diese Wogen haben sich allerdings inzwischen geglättet", sagt Richard Jenner, Innungsmeister der heimischen Geigenbauer. In der Tat ist es nach wie vor so, dass man sich in Österreich nicht zum Meister des Bogenbaus ausbilden lassen kann. Allerdings kann man sich im Laufe der Geigenbauer-Lehre für eine Spezialisierung im Bogenbau entscheiden. Jenner räumt aber ein, dass Gerbeth wohl nach wie vor der einzige Meister ist, der moderne Geigenbögen herstellt. Aber man könne in Europa an vielen Orten Bögen beziehen und müsse sich dabei nicht auf Wien kaprizieren, meint Jenner: in Böhmen, Ungarn, Siebenbürgen in Rumänien, Holland und nicht zuletzt in Frankreich, wo die modernen Bögen erfunden wurden.

Eigenes Messinstrument für Festigkeit entwickelt

Zurück nach Meidling. In einer Ecke werkt Mitarbeiter Gerhard Seifert an einem Bogen, immer wieder hängt er den Bogen in ein Instrumentarium ein und blickt in den Computer. Es ist eine Eigenkonstruktion, die Thomas Gerbeth gemeinsam mit seinem Schwiegervater entwickelt hat. Denn als er mit seiner Arbeit begonnen hatte, musste er feststellen, dass man in Wien andere Bögen gewohnt war als jene, die er bis dahin herstellte.

"Der eine Bogen kam zurück, weil er zu fest war, ein anderer, weil er zu weich war. Sie waren teilweise viel flexibler, teilweise anders gebogen." Das spornte ihn an und er überlegte, wie er Wünsche seiner neuen Kunden befriedigen könnte. Sein Schwiegervater, ein Informatiker, gab ihm den entscheidenden Hinweis, sodass er ein Gerät "zur Festigkeitsmessung" entwickeln konnte. Das Computerprogramm steuerte sein Schwiegervater bei. "Das war der Beginn von dem, was ich jetzt anbieten kann: Bögen so zu kopieren, dass sie von dem Original nur eine sehr geringe Abweichung haben." Inzwischen habe er seine Technik so perfektioniert, dass auch erfahrene Musiker die Kopie nicht mehr vom Original unterscheiden können.

Gerbeth kommt bei all dem zugute, dass er aus einer Familie von Berufsmusikern kommt und selbst Geige spielt. Zum Geigenbogenbauen kam er, weil er "zu faul war zum Geigeüben". Kennengelernt haben sich Thomas und Anke Gerbeth im Übrigen auch über die Musik, in einem Orchester nämlich. Sie haben inzwischen zwei Kinder und haben ihre Musikleidenschaft zumindest an eines der beiden weitergegeben: Der Sohn spielt Cello.