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Kombilohn gegen Inaktivitätsfalle

Von Clemens Neuhold

Politik

In der Debatte um die Mindestsicherung lässt AMS-Chef Kopf mit Forderung aufhorchen.


Wien. Ist sie "Hängematte" oder "Sprungbrett", "Meilenstein" oder "Missbrauchsopfer"? Die Rede ist von der Mindestsicherung, die 2010 das komplizierte System der Sozialhilfe abgelöst hat und ihre Bezieher wieder verstärkt in den Arbeitsmarkt zurückholen will. Eines ist diese Hilfe für Langzeitarbeitslose und die Ärmsten in der Gesellschaft zweifelsohne: ein dankbares Thema für das ideologische Hickhack vor den Nationalratswahlen. Die "Wiener Zeitung" hat mit einem gesprochen, der die Stärken und Schwächen der Mindestsicherung aus der täglichen Praxis kennt, der Chef des Arbeitsmarktservice AMS, Johannes Kopf.

"Wiener Zeitung": Im Hickhack um die Mindestsicherung reden die einen nur vom Missbrauch, die anderen sagen: Mehr Leute sollten sie bekommen.Johannes Kopf: Beides stimmt. Nichts ist schwarz-weiß. Bei jeder Sozialhilfe der Welt kommt es auch zu Missbrauch. Andererseits gibt es noch immer viele, die sich die Mindestsicherung nicht abholen, weil sie zu wenig darüber wissen oder sich genieren. Das ist aber schon durch den Ersatz der Sozialhilfe durch die Mindestsicherung besser geworden.

Funktioniert die Mindestsicherung?

Sie ist eine sozialpolitische Errungenschaft. Sie hat die Sozialhilfe, die mehr im Dunklen war, ins Licht gerückt und viele Leute eingeladen, sich die Leistung, die sie brauchen, auch abzuholen. Doch sie ist auch eine Inaktivitätsfalle für Personen, die mehrere Menschen versorgen müssen. Nehmen Sie als Beispiel eine Familie mit drei kleinen Kindern, der Vater arbeitslos, mit nur einem Hauptschulabschluss, die Frau zu Hause. Die Eltern bekommen 150 Prozent Mindestsicherung, pro Kind kommen 18 Prozent dazu. Das macht 204 Prozent vom Richtsatz also rund 1600 Euro. Die Höhe finde ich OK. Um auf dieses Geld zu kommen, müsste er aber fast 2400 Euro brutto verdienen. Wer kann das mit einem Hauptschulabschluss?

Wie hole ich die Leute aus dieser Falle?

Man müsste ihnen etwas dazu geben, wenn sie eine Arbeit beginnen, damit ein Anreiz gegeben ist.

Einen Kombilohn?

Man kann es so nennen. Allerdings fragen sich dann die Kollegen in der Arbeit, warum sie nichts oben drauf bekommen. Das ist ein ungelöstes Problem, wo man sich etwas überlegen muss.

Aber ich kann die Leute doch zwingen, den Job anzunehmen - mit Sanktionen und Sperren.

Die Bedeutung von Sperren wird überschätzt. Denn Abneigung ist nicht immer gleich Missbrauch. Nehmen Sie eine Person, die das Gefühl hat, der neue Job geht sich wegen der Kinderbetreuung, des Haushalts, des Anfahrtsweges zum Job nicht aus. Auch wenn die Regeln klar sind: Welche Firma nimmt eine Person, wenn sie diese Unsicherheit ausstrahlt? Die Fälle, wo sich da eine Firma meldet und sagt, die Person wollte nicht arbeiten, die gibt es nicht.

Alles zahnlos?

Nein, wir halten Sanktionen und Strafen auch für sinnvoll, denn es geht nicht nur um Missbrauch; sondern damit signalisiere ich den Menschen, dass es notwendig ist, mit dem AMS zu kooperieren. Das wirkt natürlich auch auf jene, die gar keine bösen Absichten haben. Für den Bezug von Arbeitslosengeld muss man eben gewisse Regeln einhalten. Auch wenn der Vergleich hinkt: Die Tatsache, dass in einem Behindertenparkverbot kaum jemand abgeschleppt werden muss, heißt ja nicht, dass es nicht funktioniert, im Gegenteil.

Wo passiert echter Missbrauch?

Soweit ich weiß, stehen zwei Drittel der rund 200.000 Mindestsicherungsbezieher dem Arbeitsmarkt gar nicht zur Verfügung. Das sind Kinder, Kranke, Pensionisten. Für die kann ich also nicht sprechen. Ein Kind kann wohl keinen Missbrauch betreiben. Ob die Eltern nebenbei schwarz arbeiten oder die Kinder auch wirklich in Österreich sind, das müssen die Sozialhilfestellen der Länder kontrollieren, nicht das AMS.

Dann kann die Mindestsicherung ja nur für ein Drittel überhaupt das viel zitierte "Sprungbrett" sein.

Genau.

Und, ist sie ein Sprungbrett?

Bei der Sozialhilfe fehlte die Schnittstelle zwischen AMS und Sozialamt. Ein Vormerkschein fürs Arbeitsamt alle sechs Monate genügte in der Praxis zur Verlängerung. Heute melden wir es dem Land automatisch, wenn jemand nicht mit uns kooperiert. Dann ist die Mindestsicherung zu kürzen.

Und passiert das auch?

Das müssen Sie die Länder fragen. Aber soviel ich weiß, veröffentlichen sie die Daten, in wie vielen Fällen Kürzungen oder Sperren verhängt werden, nicht.

Ist die Mindestsicherung von rund 800 Euro pro Monat zu hoch, um Leute zu "aktivieren", oder ist sie zu niedrig, wie die Grünen sagen?

Für den, der davon leben muss, ist es wohl zu wenig, aber: Die niedrigsten Gehälter für Vollzeitarbeit in Österreich liegen bei etwa 1000 Euro. Das sind 850 Euro netto, also nur knapp mehr. Das gibt es dann aber 14-mal und ist eben auch selbst verdient. Damit ist meines Erachtens Anreiz da, arbeiten zu gehen, statt Mindestsicherung zu beziehen. Im Sinne dieses finanziellen Abstandes war es wohl richtig, dass sich damals die Einsicht durchgesetzt hat, sie nur 12-mal und nicht 14-mal auszuzahlen.