Zum Hauptinhalt springen

Ein Wind weht aus Diyarbakir

Von Hülya Tektas

Politik
Ein Foto aus Kurdistan - oft der einzige Weg für Eltern, Kindern die ferne Heimat zu vermitteln.
© G. Tetik

Rund 40.000 Kurden aus aller Welt leben in Wien.


Wien. Dieser Tage steht Wien ganz im Zeichen des kurdischen Volkes. Bis Ende des Monats stellt das Weltmuseum Fotografien der Stadt Diyarbakir im Rahmen der Wiener "Diyarbakir Kulturtage" aus. Die Stadt im Südosten der türkischen Region Anatolien mit knapp 1,5 Millionen Einwohnern gilt als Hauptstadt der Kurden, jener Ethnie, der geschätzt weltweit 27 Millionen Personen angehören und von denen sich viele als "Volk ohne Land" bezeichnen.

In Österreich leben laut Schätzungen bis zu 100.000 Kurden. In Wien sind es rund 40.000 Männer und Frauen. Sie stammen aus der Türkei, dem Irak, dem Iran, Armenien und Syrien.

In Wien trifft Kurde auf Kurde, egal von woher. "Hier sind wir eins", erzählt Ali Can, "in unseren Heimatländern hatten wir keinen Kontakt zueinander, höchstens an den Grenzgebieten." Der Gastronom ist Pressesprecher von Feykom, einem Verband von rund 14 kurdischen Vereinen in Österreich. In der Fremde könne die Vision eines geeinten Kurdistans viel eher geträumt werden als in der Heimat. "In der Diaspora ist das möglich. Hier begegnen wir einander zum ersten Mal", erzählt der 41-Jährige.

Er selbst ist in den Achtzigerjahren im Zuge einer Familienzusammenführung nach Wien gekommen. "Österreich war immer sehr lieb zu uns Kurden", meint er und lacht. Bereits in Bruno Kreiskys Amtszeit kamen Kurden aus aller Welt nach Wien, um hier anfangs zu studieren, später folgten sie als Gastarbeiter und dann zunehmend als politische Flüchtlinge.

Mit den Diyarbakir Tagen hätten Kurden in Wien die Möglichkeit, die Sehnsucht nach ihrer Heimat zu stillen, meint Can, und vor allem hilft es ihnen, ihre Kinder für dieses ominöse "Kurdistan" zu sensibilisieren, das ihre Eltern immer wieder herbeibeschwören.

Die Kurden sind nicht mehr zu übersehen

"Es ist so, als ob in Wien ein Wind aus Diyarbakir wehen würde", sagt die aus Diyarbakir stammende Kurdin Cahide Okay-Miran während der Eröffnung der Diyarbakir Kulturtage im Wiener Rathaus, zu der unter anderen auch der Bürgermeister der kurdischen Stadt, Osman Baydemir, gekommen war. "Wien hat sich zu Diyarbakir verwandelt", meint Okay-Miran, da man "überall Kurdisch hört". Die Veranstaltungsreihe verbindet Diyarbakir, die Stadt, in der Okay-Miran auf die Welt kam und aufwuchs, mit Wien, der Stadt, in der die Sozialarbeiterin seit rund einem Jahr lebt.

Für Soma Ahmad, deren Eltern aus dem nordirakischen Kirkuk stammen, waren die Wiener "Diyarbakir Kulturtage" und die Rede von Osman Baydemir ein klares politisches Signal: "Die Kurden haben sich so weit entwickelt, dass sie nicht mehr zu übersehen sind. Sie finden auch in der europäischen Metropole Wien ein Podium." Ahmad flüchtete im Alter von fünf Jahren gemeinsam mit ihrer Familie aufgrund des ersten Golfkriegs 1991 nach Österreich. In ihrer neuen Heimat arbeitet sie für die Non-Profit-Organisation LeEZA (Liga für emanzipatorische Entwicklungszusammenarbeit) und unterstützt dabei auch Frauenprojekte in kurdischen Städten.

Mit Leid, Kampf und Unterdrückung verbunden

Faszinierend waren die Tage auch bisher für die grüne Politikerin Aygün Berivan Aslan. Ihre Vorfahren stammen aus Diyarbakir. Aslan, die seit ihrem fünften Lebensjahr in Tirol lebt, hat Diyarbakir noch nie besucht. Obwohl die Juristin eine große Sehnsucht nach Diyarbakir zieht, hat sie die Reise in ihre eigene Geschichte noch nicht gewagt. Da Diyarbakir "immer mit Leid, Kampf und Unterdrückung" verbunden wurde, freut sich die 31-Jährige umso mehr darüber, durch die Veranstaltung in Wien Diyarbakir als eine Stadt der "fruchtbaren Entwicklung" kennenzulernen, in der "Minderheiten nun frei atmen und sich entfalten können".

Osman Baydemir, Diyarbakirs Bürgermeister, betonte bei der Eröffnung der Ausstellung und der Kulturtage die Wichtigkeit der Beziehungen zwischen Wien und Diyarbakir. Die Zusammenarbeit zwischen Wien, "eine Kulturhauptstadt in Europa", und Diyarbakir, "ein Kulturzentrum in Mesopotamien", würde "eine Brücke zwischen Europa und dem Nahen Osten darstellen, die Menschen näher bringt." "Diyarbakir gehört zu den Wiegen der Menschheit. Wer eine Zeitreise machen will, braucht nur die Tore der Stadt Diyarbakir zu passieren. Jeder, der schon einmal in Diyarbakir war und die mystische Atmosphäre dort kennengelernt hat, interessiert sich für diese Stadt. Das Flair der Stadt lässt niemanden unberührt", schwärmt Osman Baydemir bei seiner Rede. Die Einzigartigkeit dieser mystischen Stadt gehöre jedoch geschützt. Beim Versuch der Aufnahme Diyarbakirs in die Liste des Unesco-
Weltkulturerbes zählt der Bürgermeister auf die Erfahrungen der Stadt Wien.

Neo-Wienerin Okay-Miran hat sich langsam an das Leben in Österreich gewöhnt. Bei den Diyarbakir Kulturtagen hat sie auch Gemeinsamkeiten zwischen Diyarbakir und Wien festgestellt: "Beide Städte sind wichtige Kulturzentren, beide blicken auf ein historisches Erbe zurück und das Flair der beiden Städte wirkt magisch auf die Menschen."