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Ein Mordsspaß

Von Maria Bassermann

Politik
Wie war das noch einmal mit der Familienehre?
© Anna Stöcher

Ein kurdischer Arzt aus Syrien macht Theater in Wien.


Wien. Zuerst trinkt man eine Tasse Tee, dann wird entschieden, wer die Ehebrecherin erschießen soll. Sechs Monate lang hat Mann nach ihr gesucht. Nachdem sie den Liebhaber zur Strecke gebracht haben, soll nun über das Schicksal der Ehebrecherin entschieden werden. Schließlich steht die Familienehre auf dem Spiel. Bloß: Wer soll die Sünderin umbringen? Der Vater, der Bruder, der Schwiegervater oder doch der hintergangene Ehemann? Die Männer reichen die Pistole von Hand zu Hand.

Zum Glück ist der Schauplatz des nächtlichen Treffens nicht irgendeine Wohnung, sondern die Bühne im Theater Nestroyhof in der Leopoldstadt. Diesen Freitag wird Ibrahim Amirs Komödie "Habe die Ehre" wiederaufgenommen werden. "Dort, wo ich herkomme, ist die Ehre ein Kapital. Hast du sie verloren, stehst du auf der Straße", erzählt Amir. Dort ist Syrien. Vor elf Jahren kam der Kurde nach Wien. Notgedrungen. Ursprünglich studierte er an der Universität in Aleppo, jener Stadt, die nun in Schutt und Asche liegt, Theater-, Film- und Medienwissenschaften. Mit seinen kurdischen Kommilitonen organisierte Amir damals in der Universität eine Gedenkminute für die Opfer des Giftgasangriffs von Halabdscha im Irak im Jahr 1988. Das syrische Regime erklärte die Aktion für gesetzeswidrig. Ibrahim wurde exmatrikuliert.

Ihm war klar, dass er nicht in Syrien bleiben konnte. Als er die Zulassung für ein Medizinstudium in Österreich erhält, verlässt er Aleppo und zieht nach Wien, wo sein Onkel lebte. Nach sieben Jahren schließt er das Medizinstudium ab und beginnt auf Deutsch zu schreiben. Deutsch habe er von Beginn an gemocht, erklärt Ibrahim. Die Sprache sei sowohl dem Arabischen als auch Kurdischen ähnlich. Kantig und hart, eine Maschinensprache, aber eben auch unglaublich literarisch. Außerdem ist Deutsch die Sprache, in der Ibrahim die Literatur für sich entdeckte. Im Bücherregal seiner Wohnung im 14. Bezirk, die er sich mit seiner Frau, der Sängerin Özlem Bulut teilt, stehen Werke Kafkas neben jenen Schnitzlers und Brechts.

Der schreibende Arzt

2009 gewinnt Amir für seine Geschichte "in jener Nacht schlief sie tief" den dritten Platz des Exilliteraturpreises. Hier wird Hans Escher, Mitbegründer der Wiener Wortstätten und Regisseur des Stückes "Habe die Ehre", auf den jungen Autor aufmerksam. Er schlägt ihm eine Zusammenarbeit vor. Im Jänner 2013 wird "Habe die Ehre" im Nestroyhof dann uraufgeführt. Im April 2014 soll das Stück dann auch in Deutschland erstmals inszeniert werden.

Warum wählte Amir das Thema Ehrenmord? Am Anfang des Schreibprozesses stand für ihn die Idee, "das Kapital" verschiedener Gesellschaften zu behandeln. In einer westlichen Industriegesellschaft ist es das Geld. In seiner Herkunftsgesellschaft ist die Ehre das Kapital. Der schwierigste Teil während des Schreibprozesses war es daher "das Thema nicht zu verspotten und gleichzeitig aus der Situation heraus die Komödie entstehen zu lassen" und am Ende kein Urteil über das Thema Ehrenmord zu fällen. Aufklären oder Belehren wollte er jedenfalls nicht. Natürlich sei Ehrenmord auch ein politisches Thema, aber im Vordergrund stand das Kunstwerk: "Ich wollte einfach Theater machen."

Amir arbeitet bereits an seinem nächsten Projekt. Gemeinsam mit der Regisseurin Tina Leisch bereitet er derzeit ein Stück über die Besetzung der Votivkirche durch Asylwerber vor.

Neben seiner Karriere als Schriftsteller möchte Amir aber auch als Arzt praktizieren und tritt daher bald eine Stelle als Turnus-Arzt an. "Ich bin vielleicht der Arzt, der gerne schreibt, oder umgekehrt der Autor, der gerne mal Arzt ist", sinniert er.