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Kronzeugen als Auslaufmodell?

Von Sophia Freynschlag

Politik

Für die Aufdeckung von Kartellen hat sich die Kronzeugenregelung bewährt.


Wien. Während die Kronzeugenregelung im Strafrecht im Telekom-Prozess soeben ihre Feuertaufe bestanden hat, werden Kartelle seit Jahren durch Kronzeugen aufgedeckt. Der ehemalige Telekom-Manager Gernot Schieszler hat seit Einführung der Kronzeugenregelung 2011 als erster und bisher einziger Österreicher diesen Status erhalten, durch den er einer Anklage entgangen ist. Im Kartellrecht, wo seit 2006 an Absprachen beteiligte Unternehmen als Kronzeugen auftreten können, ist die Liste deutlich länger: 40 Kartellverfahren gehen auf Informationen von Kronzeugen zurück, elf weitere Verfahren laufen derzeit.

"Die Kronzeugenregelung hat sich für die Aufdeckung von Kartellen sehr bewährt", sagt Theodor Thanner, Generaldirektor der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB). Bisher wurden 80 Millionen Euro Bußgeld nach Hinweisen von Kronzeugen beantragt, 45 weitere Millionen Euro Strafe sind beim Kartellgericht beantragt. Quer über alle Bereiche haben sich laut Thanner am Kartell beteiligte Unternehmen gemeldet: von Aufzugherstellern über Spediteure bis zu Betrieben im Einzelhandel. In den aktuellen BWB-Ermittlungen wegen des Verdachts auf Absprachen zwischen Lebensmittelhändlern und Lieferanten ist allerdings kein Kronzeuge bekannt: Zu groß scheint die Angst der Hersteller vor einer Auslistung ihrer Produkte aus dem Supermarktregal zu sein.

75,4 Millionen Kartellstrafe nach Hinweis von Beteiligten

Die höchste in Österreich verhängte Kartellstrafe geht auf Kronzeugen zurück: Insgesamt 75,4 Millionen Euro mussten Otis, Kone, Schindler, Haushahn und Doppelmayr 2008 zahlen. ThyssenKrupp hatte die Ermittlungen rund um Absprachen über die Zuteilung von Projekten und über Preise zwischen Aufzugs- und Fahrtreppenherstellern in Gang gesetzt und kam im Gegenzug ohne Geldstrafe davon. Dem zweiten Kronzeugen, Otis, wurde die Hälfte des Bußgeldes nachgelassen. Ebenso wurde das Druckchemikalien-Kartell 2010 durch beteiligte Unternehmen aufgedeckt.

Waren vor einigen Jahren noch bis zu 90 Prozent der Kartelle auf Kronzeugen zurückzuführen, so wird die BWB nun zunehmend von sich aus aktiv: "Die BWB ermittelt verstärkt investigativ und generiert ihre Fälle selbst", sagt Thanner.

"Kronzeugen brauchen Klarheit und Sicherheit"

Obwohl der erste Kronzeuge keine Geldbuße zahlen muss, droht ein zivilrechtliches Verfahren wegen Schadenersatz. Im Aufzugskartell ist jedoch bis heute der Schaden noch nicht beziffert.

Für Ex-Telekom-Manager Schieszler steht das Ausmaß des Schadenersatzes hingegen schon fest: Er muss 300.000 Euro zahlen und 120 Stunden gemeinnützige Arbeit erbringen. Dass die Kronzeugenregelung im Strafrecht bisher erst einmal angewandt wurde, ist für Rechtsanwälte ein Beweis dafür, dass sie "kein Renner ist": "Die Statistik spricht dafür, dass etwas nicht so läuft, wie es vom Gesetzgeber geplant war", sagt Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages. Theoretisch könnte jeder Bankraub oder Einbruch von Kronzeugen aufgeklärt werden. Laut Wolff sollte die derzeitige Regelung schleunigst überprüft werden: "Man müsste potenziellen Kronzeugen Klarheit und Sicherheit geben." Bei Schieszler habe es lange gedauert, bis sein Status anerkannt wurde.

Im Justizministerium sieht man keinen akuten Handlungsbedarf bei der Regelung, die befristet bis Ende 2016 gilt. Bis dahin werde es genug praktische Erfahrung mit Kronzeugen geben, die rechtzeitig vor dem Auslaufen evaluiert werden soll, ist man überzeugt. "Das neue Instrument greift, weil es Beteiligte motiviert, aktiv an der Klärung eines Sachverhalts mitzuwirken", sagt eine Sprecherin. Der Telekom-Prozess und die Whistleblower-Plattform der Staatsanwaltschaft würden dazu beitragen, dass Straftätern die Angst vor dem Auffliegen im Hinterkopf sitzt.

Wissen: Kronzeugenregelung

Im Strafrecht ist die Kronzeugenregelung mit 1. Jänner 2011 in Kraft getreten. Gemäß §209a Strafprozessordnung ("Rücktritt von der Verfolgung wegen Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft") ist ein Strafverfahren dann einzustellen, wenn ein Kronzeuge freiwillig sein Wissen über Tatsachen offenbart, die noch nicht Gegenstand eines gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens sind und deren Kenntnis wesentlich zur Klärung einer oder mehrerer Straftaten beigetragen haben. Im der Causa Telekom ist die Gesetzesbestimmung zum ersten Mal angewendet worden: Die Justiz hat dem ehemaligen Telekom-Manager Gernot Schieszler gegen dessen Zusicherung, weiter mit den Behörden zu kooperieren, die Kronzeugen-Regelung zugestanden und ihm eine Diversion angeboten.

Im Kartellrecht wurde die Kronzeugenregelung ("Leniency Program", § 36 Kartellgesetz) mit 2006 eingeführt. Informiert ein beteiligtes Unternehmen die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) über ein Kartell, bevor diese vom Sachverhalt erfährt, entgeht es einer Geldstrafe. Nachfolgende Kronzeugen erhalten eine reduzierte Geldbuße, aber keine Straffreiheit.