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"Bildungs-Navi" für neue Regierung

Von Reinhard Göweil

Politik

Warnung an Politik: "Stellungskrieg überwinden, nicht verlängern."


Wien. "In drei Jahren werden erstmals mehr Menschen aus dem Berufsleben ausscheiden als Junge nachkommen. Das ist eine Zeitenwende", sagte der Präsident der Wirtschaftskammer, Christoph Leitl, beim diesjährigen Sozialpartner-Gipfel in Bad Ischl. "Und darauf müssen wir reagieren, daher legen wir bildungspolitische Leitlinien fest."

Die vier Sozialpartner-Präsidenten waren sich einig: "Österreich steht vor einer Wahl, und wir wollen, dass unsere Wünsche an die kommende Regierung in den kommenden fünf Jahren in Erfüllung gehen." Ihr Credo: Jeder Jugendliche solle mit 19 eine Ausbildung haben, die sowohl Berufs- als auch Bildungsmöglichkeiten eröffnet - also etwas, das heute Matura und Lehrabschluss gleichkommt. Denn 8000 Jugendliche gehen jährlich ab, ohne Schul- und Berufsabschluss. "Eine unglaubliche menschliche und wirtschaftliche Verschwendung von Ressourcen", so Leitl. In so einem System laufe zuviel falsch.

Verpflichtendes zweites Kindergartenjahr gefordert

Reizwörter wie "Gesamtschule" oder gemeinsame Schule fehlen im Katalog der Sozialpartner. Allerdings sind die Bildungs-Ziele so formuliert, dass diese Art der Schul-Organisation fast zwangsläufig herauskommt. Schul-Autonomie inklusive individueller Unterrichtsgestaltung; soziale Durchlässigkeit; die Kombination bisher getrennter Ausbildungswege sowie lebenslanger Zugang zu Bildungseinrichtungen - so schaut der Themen-Mix von Arbeiter-, Landwirtschafts-, Wirtschaftskammer sowie des Gewerkschaftsbundes aus.

Das Kleeblatt bildet die Sozialpartnerschaft in Österreich, und auch wenn sich die vier Präsidenten, die ja ihrerseits in SPÖ und ÖVP Funktionen innehaben, mit Kritik an der Regierung zurückhielten, war der Ärger über viele verlorene Jahre in der Bildungspolitik deutlich zu hören.

ÖBG-Vizepräsidentin Sabine Oberhauser formulierte die Forderung nach einem verpflichtenden zweiten Kindergartenjahr. "Und wir brauchen da einen bundesweiten Rahmen, bisher wird das in den Ländern sehr unterschiedlich gemacht." Die Forderung griff später Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner auf. "Ich sehe das positiv, aber 74 Prozent der Kinder gehen jetzt schon mindestens zwei Jahre in den Kindergarten. Wir brauchen auch Bildungsziele im Kindergarten. Das ist aber Sache der Länder."

Was niemand will ist ein von Oberhauser zitiertes Beispiel aus der Salzburger Gemeinde Berndorf. Diese zahlt 110 Euro an Eltern aus, wenn sie ihre Kinder zu Hause behalten - die Gemeinde erspart sich den Bau einer Kinderbetreuungseinrichtung. "Herdprämie" nennt Oberhauser das.

Landwirtschaftskammer-Präsident Gerhard Wlodkowski betonte die Notwendigkeit, im ländlichen Raum Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. "Immer mehr Bauern arbeiten im Zu- oder Nebenerwerb. Wir wollen Abwanderung verhindern, dafür sind Jobs in der Nähe Voraussetzung." Bis 2020 soll jeder Hofübernehmer zudem eine Meister-Ausbildung haben.

Mittelzuteilungen an soziale Kriterien knüpfen

Arbeiterkammer-Präsident Rudolf Kaske äußerte sich kritisch über den Schulbetrieb. "In der dualen Ausbildung haben wir bei Berufsschülern eine Zufriedenheit von 70 Prozent, das wird im Schulbetrieb nicht erreicht." Auch er sagte, dass Bildung "nicht von der Brieftasche der Eltern abhängen darf". Und will zudem Mittelzuteilung an die Schulen an soziale Kriterien knüpfen, ein System aus den Niederlanden. Wohnen soll leistbar sein, Junge müssen es sich leisten können, sich "abzunabeln". Kaske: "Geht es den Arbeitnehmern gut, geht es auch der Wirtschaft gut." Leitl kann sich hier im großflächigen Wohnbau eine Sonder-Flächenwidmung vorstellen, ohne die es keine Baubewilligung geben würde.

Die bildungspolitische Navigationshilfe für die kommende Regierung (die Sozialpartner-Spitzen rechnen mit einer Fortsetzung der großen Koalition) ging in keinem Punkt auf die dafür notwendigen Strukturänderungen in der Verwaltung ein. Kindergärten, Pflichtschulen, Höhere Schulen, Lehr- und Universitätsabschlüsse unterliegen unterschiedlichen Körperschaften, unterschiedlichen Dienstrechten und unterschiedlichen Ministerien.

"Wir setzen ein Zeichen, dass ein Konsens möglich ist", sagte Leitl. Und alle vier sind der Überzeugung, dass in der Bildung der parteipolitische "Stellungskrieg" überwunden werden müsse. Aber wenn, dann wohl erst nach dem 29. September.