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Die Grenzen der Energiewende

Von Clemens Neuhold

Politik
Wasser auf die Mühlen der Kraftwerksgegner sind die steigenden Preise für die neue Wasserkraft.
© fotolia

Wenn Projekte wie das Mur-Kraftwerk scheitern, woher kommt neuer Ökostrom?


Wien. "Energiewende." Was den Grad der Emotionalisierung betrifft, steht "Energiewende" im deutschen Wahlkampf auf einer Stufe mit "Mindestlohn" oder "Pkw-Maut". Führende Politiker beklagen sich in Talkshows bitterlich über die hohen sozialen Kosten des Ökostroms und versprechen für die Zeit nach der Wahl bereits die "Wende von der Energiewende". Und Österreich? Hier wird in unzähligen TV-Duellen und Wahlarenen null Energie auf dieses Thema verwendet.

Das liegt in erster Linie daran, dass es in Österreich - das Land ohne Atomkraftwerke, aber mit importiertem Atomstrom - keinen Fukushima-Effekt gab. In Deutschland hat der Unfall im japanischen Atomkraftwerk 2011 eine radikale Energiewende eingeläutet und zu einem bis dahin unvorstellbaren Ausstiegsplan aus der Atomkraft bis 2022 geführt. Nun muss anfangs teurer Ersatz für die vergleichsweise billige Atomkraft her.

Bei Energie noch lange nicht "glückliches Österreich"

Obwohl der Anteil der Erneuerbaren Energie am gesamten Energieverbrauch in Österreich - Wasserkraft sei Dank - mit 32 Prozent fast doppelt so hoch wie in Deutschland ist, betrifft die Energiewende Österreich genauso stark wie Deutschland. Die Alpenrepublik hat sich genauso fixen Klimazielen verschrieben. So soll der Anteil der Erneuerbaren Energie bis 2030 auf 45 Prozent steigen; und auch Österreich steht vor riesigen Herausforderungen, diese Ziele zu erreichen. Denn der Energiewende sind Grenzen gesetzt.

Beispiel 1: Mur-Kraftwerk. Das Projekt vier Kilometer von Graz entfernt ist ökologisch wie wirtschaftlich höchst umstritten (siehe unten). Die größten Gegner des Mur-Kraftwerks im Schatten des Uhrturms sind die Grünen, also ausgerechnet jene Partei, die am liebsten 100 Prozent der Energie aus Ökostrom hätte - so steht es im Parteiprogramm. 42 Wasserkraftprojekte sind österreichweit in Planung oder harren der Genehmigung. Die Mur ist überall, Widerstand von Grünen und NGOs gegen Eingriffe in die Natur sind garantiert. Woher soll dann aber der nötige Strom für die grüne Energiewende kommen, wenn nicht aus neuer Wasserkraft?

Gegenwind für alle alternativen Energieformen

"In der Steiermark ist die Wasserkraft schon sehr weit ausgebaut, da sind wir am Limit. Deswegen müssen wir andere Energieformen stärker ausbauen", sagt die Klubobfrau der steirischen Grünen, Sabine Jungwirth. Also Wind statt Wasser?

Beispiel 2: Burgenland. Dank seiner rund 300 Windkraftanlagen erzeugt das Burgenland übers Jahr gerechnet bereits 100 Prozent des Stroms aus erneuerbarer Energie. "Beim Strom haben wir die Energiewende geschafft", sagt Landeshauptmann Hans Niessl zur "Wiener Zeitung". Selbst beim viel höheren Gesamt-Energieverbrauch des Burgenlandes will Niessl bis 2020 die Hälfte aus der Windkraft abdecken. Das Burgenland als "Wind-Dorado" für ganz Österreich? Eher nein. "In zwei Jahren ist der Ausbau der Windkraft wegen der Verbotszonen ausgereizt", sagt Niessl.

Also Biomasse? Beispiel 3: Der burgenländische Ort Güssing wird noch lange zitiert werden, um die Grenzen der Biomasse vor Augen zu führen. Nach dem Förderungen gekürzt wurden, ging das einstige Vorzeigeprojekt spektakulär Pleite.

Der Energieexperte Stefan Schleicher sieht das größte Potenzial in der Photovoltaik (Sonne). Da man die Solarpanele auf Dächer oder Fassaden von Wohnhäusern und Betriebsgebäuden montieren kann, seien dem Ausbau "keine Grenzen gesetzt". Die Grenzen liegen beim Preis. Solarenergie wird gefördert -und das treibt die Preise für alle Verbraucher. Hier sieht Schleicher das Licht am Ende des Fördertunnels: "Die Photovoltaik ist preislich sehr attraktiv geworden und kann ohne Förderungen auskommen." Grund sei unter anderem der Preiskampf zwischen Deutschland und China bei der Produktion von Panelen. "Wenn dieser Strom selbst verbraucht wird, ist er bereits billiger als zugekaufter Strom." Unternehmen würden sich bereits Photovoltaik-Anlagen ohne Förderung installieren. Teurer sei der Öko-Strom nur noch, wenn er ins Netz eingespeist wird. Dann dient der Großhandelspreis am Strommarkt als Referenz. Der beträgt ein Drittel des Verbraucherpreises. Aber auch Strom aus neuer Wasserkraft ist teurer als dieser aktuelle Marktpreis. Das ist aus Sicht Schleichers der Grund, warum Projekte wie das Mur-Kraftwerk derzeit nicht gebaut werden.

"Weltweit explodiert die Sonnenergie", sagt Schleicher. Das könnte zu weiter sinkenden Preisen führen. Doch ein Blick auf die Sonnenseite des Energiemixes in Österreich ernüchtert: Derzeit machen Wind und Sonne nur zwei Prozent der Erneuerbaren Energie aus, Ziel sind 11 Prozent bis 2030. Die Wasserkraft liegt derzeit bei 33 Prozent. Bei der Windkraft sieht Schleicher noch Potenzial außerhalb des Burgenlands, doch 2020 sei die Grenze erreicht. Dann werde die Energie aus Sonne die treibende Kraft spielen.

Die wahre Wende istdie Wende im Kopf

Den wahren Schlüssel zur Energiewende sehen Schleicher und die Grüne Jungwirth weder im Wind, in der Sonne, der Biomasse oder der Wasserkraft. Für beide steht und fällt die Energiewende mit dem Energiesparen und der effizienteren Nutzung. "Es ist billiger, Energie einzusparen, als verzweifelt nach neuen Quellen zu suchen", sagt Schleicher. Auch die Deutschen hätten zu stark darauf gesetzt, wie sie Ersatz für die Atomkraft auftreiben können, anstatt Maßnahmen für Energiesparen zu setzen. Aus den Fehlern der deutschen Energiewende müsse man lernen. "Wenn wir von Energiewende sprechen, ist auch in Österreich daran zu denken, dass Energiewende nie nur das Aufkommen betreffen darf, sondern auch die effizientere Verwendung."

Jungwirth drängt darauf, den Verbrauch bis 2050 zwischen 30 und 50 Prozent zu reduzieren - durch die Sanierung bestehender Kraftwerke, sparsame Geräte im Haushalt, sanierte Gebäude und Fernwärme statt Strom.