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Nichtwähler wider Willen

Von Katharina Schmidt

Politik

"Pass egal"-Wahl und "Wahlwexel" machen auf die 835.000 Migranten ohne Wahlrecht aufmerksam.


"I haaß Kolaric, du haaßt Kolaric. Warum sogns’ zu dir Tschusch?" Mit einer modernen Variante des legendären Plakats wirbt SOS Mitmensch für die "Pass egal"-Wahl.
© SOS Mitmensch/Daniel Dutkowski

Wien. Kein Wahlkampf kommt ohne das Thema aus. Doch das war nicht immer so. Es gab Zeiten, in denen die berühmt-berüchtigte "Ausländerthematik" in den Wahlprogrammen der Parteien eine untergeordnete bis kaum vorhandene Rolle spielte. Und das, obwohl etwa in den 1970er Jahren bereits mehr als 200.000 Gastarbeiter in Österreich lebten.

Der Kommunikationswissenschafter Oliver Gruber hat die Wahlprogramme der Parteien über die Jahrzehnte miteinander verglichen - und kommt wenig überraschend zu dem Schluss, dass das Thema erst mit dem Einzug der Grünen ins Parlament und den stetigen Stimmenzuwächsen der Freiheitlichen zu Beginn der 1990er Jahre eine zunehmende Rolle in Wahlkämpfen spielt. Gruber, der im Jänner eine aktualisierte Fassung der Studie herausgibt, wurde von der Medienservice Stelle Neue Österreicher zum aktuellen Wahlkampf befragt. Da fällt auf, dass etwa das BZÖ, das mit einem liberaleren Ansatz um seine parlamentarische Existenz kämpft, das Thema Migration im Wahlprogramm überhaupt nicht mehr erwähnt.

ÖVP fährt "zweigleisig"

Auch die Grünen, die heuer vor allem auf Anti-Korruption setzen und ansonsten ihre Bio-Schiene wiederentdeckt haben, könnten sich leisten, das Thema Migration beiseite zu lassen. Die ÖVP fahre "zweigleisig": Während sich die Schwarzen früher eher den Freiheitlichen angenähert hätten, würden sie mit dem Integrationsstaatssekretariat einen pragmatischeren Weg gehen, so Gruber, der bei den anderen Parteien keine Veränderungen feststellt.

Schon bei vergangenen Urnengängen haben die Parteien die Migranten als Zielgruppe entdeckt. Zuletzt warf FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im TV-Duell Kanzler Werner Faymann vor, die SPÖ werbe auf Türkisch. Wie sich später herausstellte, hatte ein Kandidat tatsächlich türkische Plakate erstellt. Strache wirbt indes offensiver um die Serben - neben eigens zugeschnittenen Anzeigen trägt er die Brojanica, ein serbisch-orthodoxes Gebetsband. Auf den "Nächstenliebe"-Plakaten beispielsweise perfekt inszeniert auf jeweils dem Handgelenk, das gerade von der Kamera erfasst wird. Ins selbe Horn bläst ein Werbevideo von FPÖ TV, das im Internet kursiert. Darin erklären gebürtige Serben werbewirksam, warum sie FPÖ wählen.

Mit dabei ein WU-Student, der erklärt, dass er zwar keine Staatsbürgerschaft besitze und daher nicht wählen dürfe - "trotzdem setze ich mich für die FPÖ sein".

Demokratie vs. Pass

Ausgerechnet in einem FPÖ-Video wird also auf den Kern der Demokratiekritik vieler Nichtregierungsorganisationen hingewiesen: 835.000 in Österreich lebende Menschen im Wahlalter sind nicht wahlberechtigt, weil sie keine österreichische Staatsbürgerschaft haben. Während EU-Bürger zumindest auf kommunaler Ebene wählen dürfen, sind Drittstaatsangehörige generell vom Wahlrecht ausgeschlossen. "Die Staatsbürgerschaft sollte aber kein Instrument sein, die Menschen von der Demokratie auszuschließen", sagt Alexander Pollak von SOS Mitmensch. Die NGO hält am Dienstag die "Pass egal"-Wahl ab: Nicht-Staatsbürger sind dazu aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Damit soll auf die Situation der Nichtwähler wider Willen hingewiesen werden. Andererseits hofft Pollak auch auf eine möglichst hohe "Wahlbeteiligung", um erstmals repräsentative Zahlen darüber zu bekommen, wie Menschen ohne Wahlrecht in Österreich abstimmen würden.

Umstrittener ist eine andere Initiative: Im Rahmen von "Wahlwexel" werden am Mittwoch im WUK Menschen mit Wahlkarten erwartet, die ihr Stimmrecht jemandem ohne geben. Kritisiert wird die Aktion von Verfassungsexperten vor allem deswegen, weil sie den Grundsatz des freien, geheimen und persönlichen Wahlrechts einschränkt.

Demokratiepolitisch problematisch ist aber auch die Tatsache, dass 20 Prozent der in Wien Gemeldeten über 16 Jahre nicht wahlberechtigt sind, in manchen Bezirken sind es laut Pollak ein Drittel der Bewohner. Zwar gibt es weltweit nur sehr wenige Länder, die Nicht-Staatsbürgern den uneingeschränkten Zugang zum Wahlrecht ermöglichen (etwa Neuseeland), aber in Österreich sei man in einer "Doppelmühle" gefangen, so Pollak: Neben dem restriktiven Wahlrecht verweist er auf den schwierigen Zugang zur Staatsbürgerschaft.

Das sieht auch Susanne Reitmair vom Demokratiezentrum Wien so. Österreich habe eines der restriktivsten Staatsbürgerschaftsgesetze - "es ist ein Problem für ein demokratisches System, wenn eine große Kluft zwischen Wahlberechtigten und jenen, die den Gesetzen unterworfen sind, besteht." Sie fände eine Debatte über das Wahlsystem sinnvoll. Zumindest könnten Elemente der direkten Demokratie wie die Bürgerräte in Vorarlberg auch für Nicht-Staatsbürger geöffnet werden.