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Die Lenau-Connection

Von Solmaz Khorsand

Politik
Von der Heimat bis nach Wien: Elena Wolf (l.), Sonia Palades (oben l.) und Neli Tranculov. Luiza Puiu

Immer mehr rumänische Eltern wollen, dass ihre Kinder Deutsch lernen.


Wien. Krass. Das ist Sonia Palades Lieblingswort. In zwei Jahren kann es die 17-Jährige jedem an den Kopf werfen, dem sie auf der Straße begegnet. Denn dann will die junge Rumänin nach Wien ziehen und Jus studieren. Hier kann sie es dann krassen lassen, so viel sie will. Doch bis dahin drückt sie die Schulbank in der deutschsprachigen Nikolaus Lenau Schule in der Gheorghe Lazar Straße in Timisoara, Rumäniens zweitgrößter Stadt nach Bukarest.

Die Studentenstadt im Westen des Landes mit seinen 300.000 Einwohnern sucht neuerdings das Rampenlicht. Man wirbt mit der Mehrsprachigkeit, der berühmten Stadttochter, der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller und der rumänischen Revolution, die im Dezember 1989 hier ihren Ausgang fand. Der Grund: Timisoara will 2021 Europäische Kulturhauptstadt werden. Zu diesem Zweck bläst die Stadt zur Charmeoffensive: Journalisten aus ganz Europa werden eingeladen, in Gourmetrestaurants gefüttert und durch die Straßen der Stadt getrieben, die gemeinhin Klein-Wien genannt wird. Die wenigsten machen Halt in der Lenau-Schule im Stadtzentrum.

Dabei gilt sie als Kaderschmiede für die Elite des Landes. Hier rekrutieren die deutschen und österreichischen Firmen, die ihren Sitz in Timisoara haben, ihr Personal. Doch in den vergangenen zehn Jahren hat die Schule immer mehr Absolventen für den "Export" produziert. Die Schüler zieht es ins Ausland. Mittlerweile kommt ein Fünftel der Absolventen nach Wien, studiert und fasst hier Fuß. Ein regelrechter Wien-Boom hat sich eingeschlichen unter den Lenau-Schülern. In manchen Jahrgängen sind es gar 20 von 30 Schülern einer Abschlussklasse, beobachtet Elena Wolf.

Die Physiklehrerin mit dem rollenden "R" in ihrer Aussprache ist seit zehn Jahren Direktorin der Schule. Sie selbst hat 1983 an der Schule ihren Abschluss gemacht. Damals herrschte noch ein anderes System. Man musste dem kommunistischen Diktator Nicolae Ceausescu seinen Tribut zollen. Doch in der Lenau-Schule tickten die Uhren ein bisschen anders. Nicht umsonst hängt am Hauseingang ein Gedicht des österreichischen Biedermeier-Dichters und Namensgebers der Schule Nikolaus Lenau:

Ihr kriegt mich nicht wieder,Ohnmächtige Tröpfe!Ich komme wieder und wieder,Und meine steigenden LiederWachsen begrabend euch überdie Köpfe.

Jeden Tag hat Wolf dieses Gedicht gesehen, wenn sie den Schuleingang passiert hat. Heute ist es die Inspiration für die Schulhymne. 1460 Mädchen und Burschen besuchen derzeit die Schule, von der Vorschule bis zur Maturaklasse. 15 Prozent gehören der deutschen Minderheit in Timisoara an, der Rest sind Sprösslinge ehrgeiziger Eltern, die ein besseres Leben für ihre Kinder erhoffen. "Zum Unterschied zu anderen Völkern sind die Rumänen germanophil", erklärt Wolf die Motivation der Eltern. Viele Mütter und Väter gehen einen Schritt weiter. Sie engagieren deutsche Kindermädchen und quälen sie durch Nachhilfestunden am Nachmittag, nur um den Nachwuchs für den deutschsprachigen Arbeitsmarkt zu rüsten.

Im Theresianum und bei den Sängerknaben

Seit drei Jahren beobachtet Wolf einen weiteren Trend. Viele Eltern schicken ihre Kinder bereits vor der Matura nach Wien, bevorzugt in das Internat des Theresianums im 4. Bezirk. "Sie glauben, dass dort alles besser ist", erzählt Wolf und lacht. Die 48-Jährige mit dem akkuraten Kurzhaarschnitt führt genau Buch, was aus ihren Schützlingen wurde und wohin es sie verschlagen hat. Wer unglücklich im Internat ist, wer es sich mit den Wiener Schnöseln arrangiert hat und welcher Bursche es gar zu den Wiener Sängerknaben geschafft hat.

2005 ist die erste Absolventin nach Wien gegangen und hat Archäologie studiert. Viele folgten ihrem Beispiel. Der Grund: Österreich hat im Gegensatz zu Deutschland keine Studiengebühren, keinen Numerus clausus - und ist näher zur Heimat. "Wien liegt näher an Timisoara als Bukarest. Nach Wien gibt es Autobahnen, nach Bukarest nicht", erzählt Wolf. Mit dem Auto fährt man sechs Stunden von Wien nach Timisoara.

Die Nähe war auch für Neli Tranculov der Grund nach Wien zu kommen. Die 27-Jährige ist frischgebackene Gastronomin. Seit sechs Monaten betreibt sie das Lokal "Nelke" am Volkertmark im 2. Bezirk. Es ist Samstagvormittag. Sie hetzt von Tisch zu Tisch. Das kleine Lokal ist brechend voll. Es gilt als Hipsteroase auf dem verschlafenen Markt. Tranculov gehört zu Wiens Lenau-Pionieren. Nach der Schule wollte sie immer Technische Chemie studieren. Sie hatte Angebote aus Deutschland und der Schweiz. Sie hat sich für Wien entschieden. Der Mama zuliebe. Das war 2004. Damals kannte sie hier keine Rumänen. Als ihre Schwester fünf Jahre später nachkam, ebenfalls eine Lenau-Jüngerin, war die Stadt plötzlich voll mit Lenau-Schülern.

"Ich fand Wien anfangs nicht so gut", gesteht Tranculov, "die Leute waren unfreundlich und kalt." Seit sie mit einem Österreicher liiert ist, hat sie sich auch mit Wien angefreundet. ".Jetzt gefällt es mir besser, ich kenne andere Ecken und mehr Wiener. Früher dachte ich mir, ich studiere hier und ziehe dann weiter." Doch sie ist geblieben. Und viele mehr tun es ihr gleich.