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"Leblose Orte" in Rot

Von Brigitte Pechar

Politik

Seit Franz Vranitzky hat die Sozialdemokratie keine programmatische Debatte mehr geführt.


Wien. "Ich sehe keine Alternative als eine Neuauflage und Neugestaltung(!) der Koalition mit der ÖVP, jedenfalls von uns aus. Aber umso mehr muss sich die Partei programmatisch und personell erneuern. Weder an der Spitze noch an der Basis kann oder soll das abrupt gehen. Aber ein längerfristiger und durchgehender Erneuerungsprozess wird notwendig sein, um dem Abwärtstrend Einhalt zu gebieten." Das schreibt Hannes Swoboda, Fraktionsführer der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, in seinem Blog nach der Nationalratswahl.

Erneuerung also. Aber wie und wer soll das vollbringen? Und wann ist ein solcher Erneuerungsprozess in der SPÖ zuletzt eingeleitet worden - abgesehen natürlich von jenem unter Bruno Kreisky. Der ließ gleich nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden 1967 als Oppositionsführer ein umfassendes Reformprogramm unter dem Namen "Für ein modernes Österreich" ausarbeiten, bekannter als "Kampagne der 1400 Experten". In ihm wurden die Grundlinien der Wirtschafts-, Sozial-, Rechts- und Bildungspolitik festgeschrieben, die später die Anfangsjahre von Kreiskys Kanzlerschaft prägen sollten.

So geht das also. Jahrelang denken Experten nach, wie das Land zukunftsfit gemacht werden soll. Und was geschah seither? Unter Franz Vranitzky folgten Programmdiskussionen mit einer Neufassung des Parteiprogramms. Aus den Sozialisten wurden Sozialdemokraten. Und ansonsten war Vranitzky damit beschäftigt, die Genossen europafit zu machen.

Viktor Klima versuchte es Ende der 1990er Jahre in Anlehnung an Tony Blair in Großbritannien und Gerhard Schröder in Deutschland mit dem "Dritten Weg". Ziel war, den Sozialstaat zu erhalten durch eine Liberalisierung der Gesellschaft von links. Mit der Niederlage Viktor Klimas 1999 (die SPÖ gewann zwar die Nationalratswahl mit 33 Prozent, ÖVP und FPÖ bildeten mit je 27 Prozent der Stimmen gemeinsam die Regierung) war der Dritte Weg auch schon wieder zu Ende.

Alfred Gusenbauer, der im April 2000 den SPÖ-Vorsitz übernahm, ist mit der Vision einer "solidarischen Hochleistungsgesellschaft" angetreten - und gescheitert. "Wer glaubt, sich von der Leistungsgesellschaft verabschieden zu wollen, dem muss klar sein, dass er sich vom Wohlstand verabschiedet", sagte er. Die Sozialdemokratie hatte von Beginn an Schwierigkeiten mit diesem Begriff. Gusenbauer frönte keinem Leistungsbegriff per se, sondern verband diesen mit dem Bestreben, möglichst wenige "der Lethargie der Armut" zu überlassen. Jeder müsse nach seinem Leistungsvermögen seinen Beitrag zum Funktionieren des Sozialstaats leisten. Der Sozial- und Wohlfahrtsstaat benötige aber auch die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände und deren Kompromisse, sagte Gusenbauer im Dezember 2001. Die Rolle der Spitzengewerkschafter allerdings sah er nicht als Mandatare im Nationalrat. Die Bawag-Krise nutzte Gusenbauer im Juni 2006 dazu, um einen SPÖ-Präsidiumsbeschluss herbeizuführen, der besagte, dass künftig weder der ÖGB-Präsident noch ein Vorsitzender einer Teilgewerkschaft im Parlamentsklub vertreten sein soll. Mittlerweile ist sowohl Gusenbauer als auch dieser Beschluss Geschichte.

Für die Sozialdemokratie war Gusenbauers Suche nach einem neuen Weg für eine Partei der Mitte mit starkem Blick auf sozialen Ausgleich zu anrüchig, zu weit rechts. Allerdings hat Gusenbauer in den acht Jahren seiner Parteiführung nur seinen Visionen und seinen Zielvorgaben vertraut, eine Programmdebatte gab es nicht.

Und auch Werner Faymann, der seit 2008 der Sozialdemokratie vorsitzt, hat bisher keine Reformdebatte angestoßen. Sieht man vom SPÖ-Zukunftsprojekt "Österreich 2020" ab, das unter Aufsicht von Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas nichts Nennenswertes ans Licht brachte.

So ist es nicht verwunderlich, dass nun allerorten solche Reformen - auch im Umgang miteinander - eingemahnt werden. Die Frage des Partners für eine Regierungszusammenarbeit wollten einige SPÖ-Funktionäre breiter diskutieren und abstimmen lassen, worauf Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos verlauten ließ: "Das ist nicht sinnvoll und praktikabel." Die Bewertung eines allfälligen Koalitionsabkommens sei die "ureigenste Aufgabe" von Bundesparteivorstand und Bundesparteipräsidium. Die dort getroffenen Beschlüsse spiegelten die ganze Breite der Partei wider: "Es ist das daher die mit Abstand beste Lösung, die sich auch über Jahrzehnte bewährt hat."

Klaus Baumgartner, der als Schülervertreter 2008 und 2009 Mitglied eben dieser Gremien war, benennt diese in einem Blog so: "Es sind politisch leblose Orte. Zusammenkünfte, in denen weder diskutiert noch eine Entscheidung getroffen wird. Klingt komisch, ist aber so. Es gibt keine Entscheidung, die nicht schon ein kleiner Kreis im Vorfeld getroffen hat."

Reformideen gibt es in der großen Sozialdemokratie zuhauf. Eine sichere Bank dafür ist die "Sektion 8". Nikolaus Kowall ist einer der Gründer der Sektion 8, die sich strategisch und konzeptionell als Hybrid aus traditionellen Parteistrukturen und einer NGO-Kultur begreift. Sie wurde als kritische Kraft gegenüber der Parteiführung gegründet. Noch ist die Sektion 8 in der SPÖ und verhindert, dass ihre 270 Mitglieder eine linke Neos-Truppe gründen.