Zum Hauptinhalt springen

Weiterreise ohne Umsteigen

Von Simon Rosner

Politik

Die Grünen freuen sich nun doch über das Wahlergebnis, vielleicht auch zu Recht.


Wien. Eva Glawischnig war am Freitag zu Gast in der Hofburg, Bundespräsident Heinz Fischer hatte, wie das die Tradition gebietet, zum Gespräch geladen. Wenn Fischer in ein paar Wochen (oder Monaten) an selber Stelle die neue Regierung angelobt, wird Glawischnig aller Voraussicht nach nicht dabei sein. "Wir werden weitermachen müssen als gute Oppositionspartei", sagte die grüne Spitzenkandidatin bereits am Wahlabend.

Was in fünf von neun Bundesländern bereits gelungen ist, nämlich eine Regierungsbeteiligung, ist auf Bundesebene bei dieser Nationalratswahl in noch etwas größere Entfernung gerückt. Die Grünen gewannen zwar vier Mandate dazu, allerdings verloren die Sozialdemokraten fünf. Gemeinsam hat Rot-Grün 76 Mandate, eine Mehrheit gibt es aber erst ab 92 Sitzen.

Zweimal ging sich diese Farbkombination recht knapp nicht aus, 1990 kamen SPÖ und Grüne gemeinsam auf 90, im Jahr 2006 auf 89 Mandate. Mit der ÖVP gab es sogar einmal, im Jahr 2002, eine rechnerische Mehrheit, doch die Koalitionsverhandlungen zwischen Wolfgang Schüssel und Alexander Van der Bellen verliefen ergebnislos. Seither ist ein Mitregieren der Grüner im Bund in einer Zweierkoalition keine Option mehr gewesen, was natürlich vor allem an den beiden Großparteien lag, die seit 2002 zusammen 49 Mandate verloren.

Plus 7 Mandate seit 2002

Doch ein bisschen liegt es eben auch an den Grünen, deren Parlamentsklub zwar gewachsen ist, allerdings nur um sieben Sitze in den vergangenen elf Jahren. Dass es auch diesmal ein bisserl mehr hätte sein dürfen, war in den Gesichtern vieler Grünen auf dem Wahlfest im Museumsquartier abzulesen. Es hat schon rauschendere Partys gegeben als dieses.

Die Auszählung aller Wahlkarten ließ das Ergebnis dann immerhin noch um einen ganzen Prozentpunkt nach oben klettern, was Bundesgeschäftsführer Stefan Wallner die Vermutung äußern lässt, dass sich unmittelbar vor der Wahl ein Momentum ergab, von dem sowohl Neos als auch BZÖ profitieren konnten, nämlich die reale Chance, eine Mandatsmehrheit von Rot und Schwarz zu verhindern. Für das BZÖ reichte es dann knapp nicht.

Doch wieder einmal waren die Grünen in der eher kuriosen Situation, wie etwa 2002, einen nicht unbeträchtlichen Gewinn schönreden zu müssen. Während Politiker von SPÖ und ÖVP schon darin geübt sind, Stimmenverluste in wohlklingende Euphemismen zu kleiden, müssen das die Grünen bei Zugewinnen, die eben nicht ganz den verheißungsvollen Umfragen entsprochen haben.

Wallner sagt: "Wir haben eine klare Erweiterungsstrategie gefahren, und trotz neuer Parteien ist diese Erweiterung gelungen." Volker Plass, Bundessprecher der Grünen Wirtschaft, der sich vergeblich um einen Listenplatz an wählbarer Stelle beworben hatte, analysierte das Ergebnis auf seiner Facebook-Seite ein wenig differenzierter: "Das Wahlergebnis ist mau. Da gibt es nichts zu beschönigen." Plass lobte zwar Wahlkampf und Kandidaten, zudem sei der Zeitpunkt - Stichwort Korruptionsthema - ideal gewesen, und so folgert er: "Also kann es nur am Produkt selbst liegen."

Schon vor fünf Jahren, als die Grünen zwar marginal, aber eben doch Stimmenanteile verloren, wurde die These breit diskutiert, dass es grünen Wahlerfolgen abträglich sei, dass Umweltschutz mittlerweile eine hohe Akzeptanz bei sämtlichen Parteien genießt. "Alle hängen sich das grüne Mäntelchen um, und es ist extrem schwierig, den Nachweis zu bringen, dass dem nicht zu ist", sagt der Wiener Gemeinderat Martin Margulies.

Soziales im Hintergrund

In diesem Wahlkampf fiel den Grünen ein zweites Kernthema - Kontrolle, Anti-Korruption - geradezu in den Schoß. Gemeinsam mit dem Thema Umwelt war es auch das zentrale Wahlmotiv bei den Wählern. Doch was passiert in fünf Jahren, wenn nicht alle paar Wochen ein Korruptionsfall publik wird? "Das Thema wird uns begleiten, es ist noch nicht alles fertig abgearbeitet. Und es geht auch darum, zu zeigen, wie man eine Regierung auch führen kann", sagt Wallner. Er verweist auf Salzburg, wo die Grünen einige Aufsichtsratsposten für Betriebe im öffentlichen Eigentum oder teilweise Eigentum ausgeschrieben haben: "Dort sind Leute zum Zug gekommen, die gar nicht aus dem grünen Umfeld kommen."

Doch reicht das? Reicht es für jene Sprünge, die den Grünen in Umfragen regelmäßig prophezeit werden, die bisher aber nur auf Landesebene da und dort gelangen? Auch Volker Plass stellte sich diese Fragen: "Für viele Menschen ist das, was wir Grüne bieten, offenbar nicht (mehr) ausreichend. In der grünen Sozialpolitik herrscht seit Jahren Tiefschlaf", schrieb er. Margulies hätte sich zwar auch gewünscht, dass die Themen Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit im Wahlkampf prominenter präsentiert worden wären, "aber das war vielleicht ein kleiner Fehler, kein großer", sagt er. Grundsätzlichen Änderungsbedarf an der Ausrichtung der Grünen sieht er nicht. Und vielleicht stimmt das ja auch. Die Grünen haben heuer fünf Wahlen bestritten und stets zugelegt, von 1,2 bis 12,8 Prozent; in Kärnten, Salzburg und Tirol regieren sie nun mit. In keinem anderen Land Europas sind die Grünen so stark wie in Österreich.

Es ist wohl auch eine Frage des Anspruchs, der eng verknüpft ist mit dem Selbstbewusstsein der Grünen. Während sich Rot und Schwarz auf das Verwalten konzentrieren und sich die FPÖ als oppositioneller Kassandrarufer etabliert hat, versuchen die Grünen ihre Visionen zu bewerben: Österreich als energieautarkes Land, als Land mit direkter Demokratie, als Land mit Gesamtschule, ökologischer Nachhaltigkeit und Gesundheit. Doch ist eine Krisenzeit auch eine Zeit für Visionen und Veränderung oder eher für Bewahrung und Absicherung?

"Es kann schon sein, dass da eher konservativ gewählt wird. Die Grünen haben in letzter Zeit, wenn man international schaut, bittere Niederlagen erlitten, etwa in Deutschland. Aber wir haben es geschafft, auch in der Phase eine Vision zu geben", sagt Wallner.

Dass mit den Neos nun ein weiterer Mitbewerber im Parlament sitzt, der die Grünen laut Wählerstromanalyse 57.000 Stimmen gekostet hat, lässt weder Wallner noch Margulies erschaudern. "Da ist noch sehr viel Projektionsfläche dabei", sagt der Bundesgeschäftsführer. Die Neos sind eben neu und das können die Grünen nach 27 Jahren im Parlament nicht mehr sein. Neu ist man eben nur einmal.

Völlig verändern könnte sich die Situation der Grünen, wenn es aber tatsächlich zu einer Annäherung zwischen SPÖ und FPÖ kommt. "Es ist schon längere Zeit spürbar, dass diese klare Grenzziehung zur FPÖ zu bröckeln beginnt", sagt Wallner. "Ich halte es für fatal, der FPÖ darf man keine Regierungsverantwortung überlassen. Eine Reihe von Leuten in der SPÖ würde das zum Anlass nehmen, zu uns zu wechseln. Die Frage für die SPÖ wird sein: Verliert sie mehr an die FPÖ durch Nicht-Kooperation oder mehr an uns mit einer Kooperation."