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"Integration endet nicht mit Tod"

Von Christina Aumayr

Politik
Politik darf sich nicht wegducken , sagt Bilkay Öney.
© PR

Baden-Württembergs Ministerin für Integration, Bilkay Öney, im Interview.


Wien. Bilkay Öney, 43, ist eine deutsche Politikerin türkischer Abstammung und seit Mai 2011 Ministerin für Integration in der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg. Während das Thema Integration in Österreich heftig umstritten ist, herrscht in Baden-Württemberg zu Themen wie der gezielten Zuwanderung parteiübergreifender Konsens. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erklärt sie, was sie an Sebastian Kurz schätzt und wie man sich den nötigen Handlungsspielraum verschafft.

"Wiener Zeitung": Braucht es einen Migrationshintergrund, um ein Integrationsministerium glaubwürdig zu führen?

Bilkay Öney: Nein. Entscheidend ist, welche Anliegen man hat und welchen Ton man trifft. Ich finde es gut, dass gerade ein Konservativer wie Sebastian Kurz das Thema Integration in die Gesellschaft trägt. Soviel ich gehört habe, besucht er auch Stammtische, um mitzudiskutieren. Das ist wichtig, denn darin liegt unsere Aufgabe: Politik darf sich nicht wegducken, sondern muss diese Debatten führen.

Mit welchem Vorurteil waren Sie selbst konfrontiert?

Dass es keine Bündelung der Integrationspolitik und daher auch kein Integrationsministerium braucht. Das stimmt natürlich nicht. Aber klar ist, ein Integrationsministerium braucht gesetzgeberische Kompetenzen, dann macht es Sinn.

Ihr integrationspolitischer Ansatz wird als fordernder beschrieben.

Ich glaube, dass man in einem Gesetz verbindlichere Regeln und Ziele definieren muss. Das ist auch im Alltag hilfreich. Ein Beispiel ist hier die Feiertagsregelung. Wenn wir zum Beispiel ein Gesetz hätten, das Mitarbeitern einen Urlaubsanspruch einräumt, um den in ihrer Religion zentralen Feiertag zu begehen, hätten wir eine klare und dennoch individuelle Regelung. Es ist hilfreich, die Menschen zur Integration zu motivieren und Integration zu belohnen. Das ist ja, soweit ich weiß, auch der Ansatz von Sebastian Kurz. Wenn Menschen den Eindruck haben, dass sie zwar leisten, leisten, leisten, aber dennoch nicht akzeptiert werden, weil sie trotzdem keinen Arbeitsplatz oder keine Wohnung bekommen, wird es schwierig. Dann besteht die Gefahr, dass sich Menschen in Parallelwelten zurückziehen. Wir müssen den Rahmen so zu gestalten, dass eine Teilhabe möglich ist.

Und wenn die Integration trotz politischer Rahmenbedingungen nicht gelingt?

Müssen wir zuerst einmal sehen, wo wir noch keine oder die falschen Regeln haben. Und zum Stichwort Sanktionen, hier gibt es ja auf Bundesebene bereits Möglichkeiten, Leistungen zu kürzen, wenn zum Beispiel der geforderte Integrationskurs nicht besucht wird.

Sie kritisieren die defizitorientierte Haltung der Politik. Was stört Sie?

Wir sehen oft nicht die Potenziale der Integration. Wir haben viele Migranten, die mit guten Abschlüssen zu uns kommen, aber in ihren Berufen nicht arbeiten dürfen, weil ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden. Wir haben ein Landesanerkennungsgesetz vorgelegt, das bei den 260 Berufen, die auf Landesebene zu regeln sind, eine bessere Anerkennung ermöglicht.

Gab es politischen Widerstand?

Nein, wir haben einen parteiübergreifenden Konsens darüber, dass wir in den Mangelberufen bessere Regeln brauchen.

Null Personal und knappe Finanzmittel standen zu Beginn Ihrer Amtszeit. Wie lässt sich Ihr Amt dennoch wirkungsvoll gestalten?

Das Ministerium für Integration hat die Kompetenz, Gesetzesvorhaben einzubringen, und diesen Spielraum nützen wir aus. Wir haben jetzt drei wichtige Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht: ein von uns eingebrachtes Änderungsgesetz zum Staatsangehörigkeitsgesetz, um die Zulassung der doppelten Staatsangehörigkeit in Deutschland anzustreben. Auf Landesebene haben wir ein neues Flüchtlingsaufnahmegesetz und das Landesanerkennungsgesetz eingebracht.

Was hat die Reform zum Staatsangehörigkeitsrecht gebracht?

Wir haben Hürden bei der Einbürgerung abgebaut. Damit konnten wir die Zahl der Einbürgerungen im Jahr 2012 um 15 Prozent steigern. Früher war Baden-Württemberg Schlusslicht, heute sind wir Spitzenreiter bei der Steigerung der Einbürgerungsrate.

Ein Großteil Ihres Budgets fließt in die Flüchtlingsunterbringung. Das neue Flüchtlingsaufnahmegesetz schraubte die Kosten jetzt weiter in die Höhe.

Unsere Flüchtlingspolitik ist keine Schönwetterpolitik, deshalb zielt das neue Flüchtlingsaufnahmegesetz auf mehr Humanität ab. In Baden-Württemberg hatten die Flüchtlinge bisher nur 4,5 Quadratmeter an Wohn- und Schlaffläche pro Person zur Verfügung. Für einen mittelgroßen Hund sind laut Tierschutzverordnung sechs Quadratmeter vorgesehen. Wir können die Flüchtlinge nicht schlechter behandeln als unsere Tiere. Wir wollen pro Person sieben Quadratmeter, und das ist mit mehr Kosten verbunden. Die Bootskatastrophe vor Lampedusa zeigt ja einmal mehr, dass sich die Länder noch viel stärker für die Bekämpfung von Fluchtursachen einsetzen müssen.

Mannheim und Freiburg sind mit einer Armutszuwanderung aus Südosteuropa konfrontiert. Dort wurden die Anlaufstellen finanziell aufgewertet. Reicht das?

Ich hoffe, aber dieses Thema muss man differenzierter betrachten. Die Caritas hat ein Faktenpapier erstellt, in dem darauf hingewiesen wird, dass vier von fünf Zuwanderern aus Bulgarien und Rumänien einer Arbeit nachgehen, rund 40 Prozent sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt und ein Drittel hat einen akademischen Abschluss. Aber es gibt Minderheiten, die aufgrund von Diskriminierungserfahrungen ihre Heimat verlassen haben. Die Anlaufstellen weisen diese Menschen auf ihre Rechte hin, denn viele wurden von Schlepperbanden falsch informiert und zu Wucherzinsen in Mietwohnungen untergebracht.

Sie haben mit dem Runden Tisch Islam ein neues Gremium eingeführt, mit welchem Ergebnis?

Die strittigsten Fragen der Integration drehen sich ja fast immer um den Islam. Denken Sie etwa an die Beschneidungs-Debatte. Die Politik muss sich mit diesen hochemotionalen Themen befassen. Ich wollte daher ein Gremium schaffen, wo wir gemeinsam mit den Muslimen an einer Lösung arbeiten.

Zuletzt gab es ja eine Öffnung des Bestattungsrechts für islamische Riten.

Wichtige islamische Riten, etwa rituelle Waschungen, eine Bestattung ohne Sarg im Leintuch und eine Bestattung innerhalb von 48 Stunden, werden künftig ermöglicht. Natürlich gelten alle Hygienerichtlinien auch für muslimische Bestattungen. Aber die Menschen leben ja nicht nur bei uns, sie sterben auch bei uns. Integration endet nicht mit dem Tod.