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Kein Wiedergutmachungs-Sound

Von Elisabeth Gamperl

Politik
Die Berliner Klezmer Band Shmaltz spielt am 24. November auf.
© Jesko Wrede

Jüdische Klezmer-Musik ist mittlerweile Mainstream geworden.


Wien. Die Violine und die Trompete sind im Geschwindigkeitsrausch. Das Publikum singt und klatscht, wiegt sich im fidelen Rhythmus. Eine Polonaise tanzt durch den gefüllten Saal. Spätestens nach dem jiddischen Lied "Ale Brider" ("Wir sind alle Brüder"), besser bekannt unter dem einfachen Refrain "Oi, oi, oi", würde man die schwarzen Stühle und Tische im Reigen im 14. Bezirk zu gern gegen Stehplätze tauschen.

Die Rolling Stones der Klezmer-Szene stehen auf der Bühne: die fünfköpfige New Yorker Band Klezmatics. Sie vereint traditionelles, jüdisches Klezmer mit bodenständigem Funk und Jazz.

Am anderen Ende des Reigen-Saals steht am Eingang Konzertveranstalter Friedl Preisl und bewegt sich im Rhythmus hin und her. Er kennt die Lieder und klatscht teilweise ab dem ersten Ton mit. Dazwischen schüttelt er Hände und plaudert mit den Gästen. Schließlich kennt man sich - die Klezmer-Szene in Wien ist klein, obwohl sie dank Preisl in den vergangenen zehn Jahren um einiges gewachsen ist.

Ab diesem Samstag steht Wien wieder im Zeichen der Klezmer-Musik. Bis 24. November spielen Bands aus der ganzen Welt beim "KlezMore-Festival", das heuer sein zehnjähriges Jubiläum feiert. Preisl holt seit 2004 jährlich insgesamt 83 Künstler aus aller Welt auf die Bühnen der Wiener Musikklubs, Theater und Kirchen. Rund 2500 Besucher kommen Jahr für Jahr etwa ins Porgy and Bess, den Ost Klub oder wie hier ins Reigen, um die Künstler zu bewundern. Wäre es nicht Zeit, zu wachsen und größere Spielstätten zu mieten? "Nein, wir wollen aus Prinzip nicht größer werden. Es soll ein Happening sein. Ich will, dass die Zuhörer mit den Musikern reden können. Mich frustrieren Konzerte über 1000 Besucher", sagt Friedl.

Außerdem sei etwas ganz anderes sein Ziel: Der 65-Jährige möchte die jüdische Musikrichtung einem breiten Publikum, also auch Nicht-Juden, zugänglich machen. "Ich selbst bin zwar auch nicht Jude, war aber schon immer fasziniert von den Melodien. In Wien spielten damals auf den jüdischen Festen immer nur dieselben Bands, das wollte ich ändern", sagt Preisl. "Ich wollte zwanglos zeigen, dass man Traditionelles und Modernes vermischen kann."

Eigentlich ist Klezmer eine Hochzeitsmusik des osteuropäischen Judentums, in der meist Hackbrett und Violine die Hauptrolle spielen. Sie hat sich über die Jahrhunderte entwickelt und enthält auch viele Elemente der Volksmusik Osteuropas. Früher bewegten sich die Leute in Kreistänzen dazu, heute hüpfen sie: Mittlerweile bedienen sich viele Musikgattungen, von Jazz, House bis HipHop, der Klezmer-Melodien.

Fokus auf Musik, nicht belastete Geschichte

Während des NS-Regimes war die Musikrichtung verboten. Jüdische Emigranten brachten die Musikrichtung in die USA, wo sie in den 1970er Jahren ein großes Revival feierte. Klezmer wurde plötzlich Weltmusik.

Ruth Schwarz ist Programmleiterin und Mitinitiatorin des Festivals und kann sich noch gut an diese Zeit erinnern. Sie selbst war damals Schülerin: "Für Menschen, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben, verfolgt wurden oder die Familienmitglieder im Konzentrationslager verloren haben, war es unglaublich, solch eine Musik zu spielen, ohne dass es zu Aufruhr kommt. Es war ein unglaubliches Gefühl, Klezmer-Schallplatten zu hören."

Dass die traditionelle Musik entfremdet und neu interpretiert wird, sieht Schwarz nicht als Problem. Auch nicht, dass viele junge Künstler vielleicht gar nicht mehr genau über die Geschichte dieses Genres Bescheid wissen. Wie Fabian Pollack, der als Jazzmusiker erst spät die kulturelle Bedeutung von Klezmer erkannte. "Bei uns zu Hause liefen immer Klezmer-Platten, etwa die von Théodore Bikell. Das hat sich in mir eingebrannt und ich begann, damit musikalisch zu experimentieren." Pollack ist Gitarrist bei der heimischen Band "Nifty’s" und hat zum diesjährigen Jubiläum mit anderen Musikern das "Vienna Klezmore Orchestra" gegründet. Das Orchester wird diesmal auch das Festival im Porgy and Bess eröffnen. "Ich habe erst spät erfahren, dass ich eine jüdische Großmutter habe. Das machte für mich die Musikgattung noch interessanter", erzählt Pollack. Für ihn steht aber trotzdem die Musik im Vordergrund und nicht die Geschichte. Mittlerweile sei Klezmer laut Pollack auch in Österreich kein Nischenprodukt mehr. "Die kulturelle Begierde der Jungen hat sich verändert. Heutzutage interessieren sich die Leute wieder für regionale Kultur und speziellen Sound. Das ging uns auch so."

Politische Ebene soll nicht ausgeschlachtet werden

Für den Kulturschaffenden Preisl ist KlezMore trotzdem ein jüdisches Festival, zielt aber bewusst nicht auf Gedenken und Betroffenheit. Aus Respekt werde aber etwa am Sabbat auf eine Veranstaltung verzichtet. Der Sabbat dauert von Freitagabend bis Samstagabend und wird bei den orthodoxen Juden als Ruhetag gefeiert. Dass die Eröffnung seines Festivals heuer auf den 75-jährigen Jahrestag der Reichskristallnacht fällt, ist laut Veranstalter Friedl jedoch ein Zufall. Ein Gedenken werde es an diesem Tag nicht geben.

Das Judentum werde im Rahmenprogramm des Festivals in Form von Vorträgen oder bei dem Besuch eines jüdischen Friedhofs thematisiert. Seit kurzem wird das Festival zudem noch durch live vertonte Stummfilm-Nachmittage abgerundet. "Wir wollen die politische Ebene nicht auf dem Festival ausschlachten. Es soll niemand mit einem unguten Gefühl oder gar schlechtem Gewissen hingehen. Das Thema Holocaust wollen wir aber auch nicht nach hinten schieben", sagt Friedl. Deshalb hieße das Festival auch KlezMore. Weil es mehr sei als Wiedergutmachungs-Sound.