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Die etwas andere Steuerreform

Von Brigitte Pechar

Politik

ÖGB für Streichung der Sozialversicherungsbeiträge für Geringverdiener und Erhöhung für Besserverdiener.


Wien. Jeder redet davon, wenige wissen, was dahinter steht: die Lohnnebenkosten. Diese sind in Österreich bekanntlich relativ hoch, was den Faktor Arbeit erheblich verteuert. Entsprechend steht eine diesbezügliche Entlastung ganz oben auf der Wunschliste von Arbeitgebern und Arbeitnehmern an die neue Regierung. Zu einer der virtuellen Wunderwaffen am Arbeitsmarkt zählt seit Jahrzehnten die Forderung nach niedrigeren Lohnnebenkosten.

Bisher wurde das vor allem von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung ins Treffen geführt. Nun wirft sich auch der ÖGB dafür ins Zeug. Allerdings ist für den Gewerkschaftsbund der eigene Leitspruch "Mehr Netto vom Brutto" maßgeblich, weshalb dessen Modell einer Lohnnebenkostensenkung vor allem Umverteilungscharakter besitzt.

"Wir regen an, darüber nachzudenken, die Sozialversicherungsbeiträge für Geringverdiener zu streichen und dafür die Höchstbeitragsgrundlage anzuheben", erklärt der Leitende Sekretär des ÖGB, Bernd Achitz, der "Wiener Zeitung". Steuererleichterungen, so der ÖGB, bringen Geringverdienern nichts, während sie von steigenden Lebenshaltungskosten voll getroffen werden.

Gleichzeitig sieht Achitz auch Vorteile für Unternehmen: Niedrigere Arbeitskosten im unteren Lohnsegment nutzen Branchen mit hohen Beschäftigtenzahlen in diesem Bereich, etwa im Handel, Tourismus sowie in Reinigungsdiensten. Dies würde wiederum die Beschäftigungschancen von ungenügend qualifizierten Personen erhöhen, die zu den größten Sorgenkindern am Arbeitsmarkt zählen.

Aus all diesen Gründen will Achitz "dieses Modell intensiv diskutieren". Konkret schlägt der ÖGB vor, Geringverdiener von den Sozialversicherungsbeiträgen zu befreien - sowohl den Arbeitgeberbeitrag in Höhe von 21,83 Prozent der Höchstbeitragsgrundlage als auch den Arbeitnehmerbeitrag über 18,07 Prozent - und gleichzeitig die Höchstbeitragsgrundlage anzuheben.

400.000 Arbeitnehmer verdienen derzeit mehr als die Höchstbeitragsgrundlage, die derzeit bei 4440 Euro pro Monat liegt (über dieser Summe werden keine Beiträge eingehoben). 1,4 Millionen Arbeitnehmer verdienen derzeit bis zu 1190 Euro brutto. Sie hätten nach dem ÖGB-Modell mehr als 200 Euro monatlich netto in ihrer Geldbörse.

"Entlastung im unteren Bereich wäre günstig"

Helmut Mahringer, Arbeitsmarktexperte am Wirtschaftsforschungsinstitut, sieht in dem ÖGB-Vorschlag positive Auswirkungen: "Wenn man im untersten Einkommensbereich entlasten will, ohne eine Negativsteuer einzuführen, stehen nur die Sozialversicherungsbeiträge als Steuerungsinstrument zur Verfügung." Dies wäre insbesondere für geringfügig Beschäftigte ein Vorteil: Wer zum Beispiel nur 20 Euro über der Geringfügigkeitsgrenze von 386,80 Euro monatlich liegt, muss für die gesamte Summe die Sozialversicherung berappen. Mahringer warnt aber auch vor möglichen negativen Folgen der ÖGB-Pläne, wie einer zusätzlichen Attraktivierung von Teilzeitjobs.

Auswirkungen auf die Krankenversicherung sind nicht zu befürchten. Bei Pensions- und Arbeitslosenversicherung ist allerdings zu bedenken, dass jede Erhöhung der Beiträge auch eine Erhöhung der Ansprüche zur Folge hätte. Eine Studie des Sozialministeriums rechnet vor, dass eine 50-prozentige Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage das Aufkommen der Sozialversicherungsbeiträge um 1,9 Milliarden Euro erhöhen würde; davon entfallen 360 Millionen Euro auf die Krankenversicherung, 1,1 Milliarden auf die Pensionsversicherung und 288 Millionen auf die Arbeitslosenversicherung.

Die Ansprüche der Arbeitnehmer bei Pensions- und Arbeitslosenversicherung würden nicht steigen, wenn nur die Beiträge der Dienstgeber erhöht würden. So kennt das schwedische Pensionssystem keine Höchstbeitragsgrundlage für den Arbeitgeberbeitrag. Damit bliebe der Versicherungsanspruch unverändert. Das ist jedoch explizit nicht Teil der ÖGB-Ideen.

Sozialsystem darf nicht geschwächt werden

Der ÖGB schlägt bewusst ein aufkommensneutrales Modell vor, eine reine Senkung der Lohnnebenkosten hätte enorme Auswirkungen auf das Sozialsystem: Die Krankenkassen erholen sich zwar gerade von ihren tiefroten Zahlen, aber geringere Beiträge müssten wohl aus dem Budget ausgeglichen werden. Auch die Pensionsbeiträge können angesichts der demografischen Entwicklung und der prognostizierten steigenden Zuschüssen aus dem Haushalt nicht verringert werden.

Ein Spielball, der aufgrund der sinkenden Arbeitsunfälle von der Wirtschaftskammer immer wieder ins Treffen geführt wird, ist der Beitrag von 1,4 Prozent der Beitragsgrundlage zur Unfallversicherung (AUVA).

Für Kammer und Industrie stellen die Lohnnebenkosten einen Wettbewerbsnachteil dar. Und das, obwohl Österreich im EU-Vergleich mit 37 Prozent nur an neunter Stelle liegt. (Die Differenz von den rund 31 Prozent Lohnnebenkosten in der Grafik zu den 37 Prozent ergibt sich durch eine Reihe anderer Nebenkosten wie Lohn für Urlaube, Feiertage, Entgeltfortzahlung bei Krankheit; Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Abfertigung alt.) Verschwiegen wird, dass für die Wettbewerbsfähigkeit nicht die Nebenkosten allein, sondern die Gesamtarbeitskosten und im Besonderen die Stückkosten entscheidend sind.

Beispiel

Angestellter mit 1800 Euro brutto

Ein Angestellter wird mit einem Bruttomonatsbezug von 1800 Euro eingestellt. Der Dienstgeberanteil zur Sozialversicherung für diesen Angestellten beträgt derzeit 392,94 Euro (21,83 Prozent von 1800 Euro). Zudem muss der Dienstgeber einen Beitrag zur Mitarbeitervorsorgekasse leisten, welcher 27,54 Euro ausmacht (1,53 Prozent von 1800 Euro).

Außerdem sind noch der Dienstgeberbeitrag zum Familienlastenausgleichsfonds, der Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag und die Kommunalsteuer zu bezahlen. Dies schlägt noch einmal mit 142,20 Euro beziehungsweise
7,9 Prozent vom Bruttobezug zu Buche (in Niederösterreich). Demnach muss der Arbeitgeber für einen Angestellten mit einem Bruttobezug von 1800 Euro 2362,68 Euro zahlen.

Das Ganze 14 Mal - bei Urlaubs- und Weihnachtsgeld kommt es zu einer um 0,5 Prozent geringeren Lohnnebenkostenbelastung - weshalb es zu einer jährlichen Gesamtbelastung für diesen Angestellten von 33.059,52 Euro kommt.

Beispiel aus gruendungswissen.at