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Kein Leben lang Aischa spielen

Von Lea Luna Holzinger

Politik
Zeynep Buyrac ist dort daheim, wo es ihr gut geht, unter anderem auf der Bühne.
© Yasmina Haddad

Die türkischstämmige Schauspielerin Zeynep Buyrac brilliert derzeit mit zwei Stücken in der Garage X. Nur türkisch sein allein ist keine Rollenbeschreibung für Buyrac.


Wien. Sie steht auf der Bühne, ein weißer Raum mit wenigen Requisiten. Zeynep Buyrac trägt eine lange, lilafarbene Robe. Langsam steigt sie die Besuchertribüne nach oben. Mit ihrer tiefen Stimme schwingt sie eine lautstarke Rede über den Kapitalismus. Musik dröhnt aus den Boxen an der Decke des Raumes. Die größte Schwierigkeit bei dem Stück "Wetterleuchten auf der Zungenspitze" sei die Sprache, sagt Zeynep Buyrac im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Während die 31-Jährige in ihrer Robe auf der Bühne hin und her schreitet, sagt sie Monologe auf, deren Sätze keinen Zusammenhang zu haben scheinen. So spielt sie sich mit Leidenschaft durch "Wetterleuchten auf der Zungenspitze", wird mit dem Kopf in einen Eimer Wasser getaucht und mit ihrer Robe an die Wand getackert. Regisseur Gerhard Fresacher stellte für das Theater "Garage X" eine Collage der Romane "Der Leibeigene" und "Leichnam, seine Familie belauernd" des Kärntner Autors Josef Winkler zusammen. Buyrac spielt in diesem Stück die Muse eines Malers. "Man darf sich keinen Theaterabend im traditionellen Sinn erwarten", sagt sie. Eine zusammenhängende Geschichte ist "Wetterleuchten auf der Zungenspitze" nicht. Die Texte sind chaotisch. Buyrac sieht sie als Herausforderung.

Ebenfalls in der Garage X zu sehen ist Buyrac momentan in dem Stück "Gegen die Wand", basierend auf dem gleichnamigen Film von Fatih Akin. In dem Stück spielt Buyrac die Hauptrolle, die junge Türkin Sibel, die eine Scheinehe eingeht, um der Strenge ihres traditionellen Elternhauses zu entfliehen. Buyrac selbst ist in Istanbul aufgewachsen und stammt aus einer westlich orientierten Familie der Mittelschicht. Ihre Eltern waren tolerant und unterstützten sie, als sie beschloss, am Wiener Konservatorium Schauspiel zu studieren. Verhältnisse wie in "Gegen die Wand" kennt sie nicht. Aber, wie sie sagt "wenn man einen Mörder spielt, muss man ja vorher keinen umgebracht haben".

Um sich auf die Rolle vorzubereiten, habe sie sich in die Situation der jungen Sibel hineinversetzt. In die Situation einer jungen Frau, die sich für die Freiheit entscheidet und diesen Weg konsequent durchsetzt. Am gleichnamigen Film habe sie sich nicht orientiert. Es sei auch nie das Ziel der Produktion gewesen, den Film zu ersetzen. "Das geht auch gar nicht, was im Kino funktioniert, kann im Theater gar nicht funktionieren", sagt Buyrac. Obwohl sich das Stück um eine Türkin dreht, sei die Thematik auf die gesamte Gesellschaft anwendbar. Dieser Punkt ist ihr wichtig. Sie möchte Rollen spielen, deren Probleme die ganze Gesellschaft betreffen. "Ich sage immer, ich mache kein Migrantentheater. Schließlich gibt es ja auch kein Männertheater oder Österreichertheater."

Kann mit dem Wort Migrant wenig anfangen

Mit dieser Einstellung ging Buyrac aus der Theaterschule und schaffte es, verschiedenste Rollen zu spielen. So war sie als Eliza Doolittle in "Pygmalion", als Katharina in "Der Widerspenstigen Zähmung" und als Marina in "Perikles" zu sehen. Dass sie diese Rollen spielen durfte, sei auch Glück gewesen, meint sie. Ihr sei allerdings die Tendenz bewusst, Schauspielern mit Migrationshintergrund nur dementsprechende Rollen zu geben. "Da besteht die Gefahr, dass man sein Leben lang einen Ali und eine Aischa spielen muss. Das sind aber keine Hauptrollen." Sie könne mit dem Wort "Migrant" insgesamt wenig anfangen. "Bei einem schwedischen Kollegen würde auch niemand von Migrationshintergrund sprechen." Mit dem Begriff seien also nur bestimmte Menschen gemeint. Diese Selektion hält Buyrac für kontraproduktiv.

Sie ist froh, vielfältige Rollen spielen zu dürfen. Türkin allein ist für Buyrac keine Rollenbeschreibung. "Sagt man einem Österreicher, er soll einen Österreicher spielen, dann ist das für ihn ja auch total unbefriedigend."

Sie sei allerdings die Letzte, die sagen würde, sie spiele keine Türkin. Nur türkisch sein allein sei keine Rollenbeschreibung für sie. In Stücken wie "Gegen die Wand" oder "Verrücktes Blut" spielt Buyrac zwar eine Türkin, allerdings gehe es um viel mehr. Ihr ist wichtig, ob die Figur sie interessiert. Die ethnische Herkunft der Figur ist für sie zweitrangig.

Wenn Buyrac auf der Bühne steht, passiert es ihr, dass die Zuschauer sie nicht für eine Türkin halten. Als sie am Linzer Landestheater in dem Stück "Verrücktes Blut" Sätze auf Türkisch sprach, waren viele im Publikum überzeugt, sie hätte die Sätze auswendig gelernt. Beim Fernsehen habe sie sogar schon Absagen erhalten, weil es hieß, sie sei nicht türkisch genug. "Ich sage immer, ich könnte mich morgen Anna nennen und kein Mensch würde draufkommen, dass ich Zeynep bin." Sie kenne das Gefühl gar nicht, in Österreich, in Wien als Exotin behandelt zu werden.

Insgesamt sei die Stadt immer sehr nett zu ihr gewesen. Seit dreizehn Jahren lebt Buyrac bereits in Wien. Sie fühlt sich hier zu Hause. "Solange ich die Menschen, die mir etwas bedeuten um mich habe, bin ich zu Hause." So sieht sie Wien und Istanbul als ihre Heimat. Sie ist dort daheim, wo es ihr gut geht, wo sie auf die Straße geht und nicht fremd ist. Sie hat das Gefühl, in Wien angekommen zu sein. Sieht man Buyrac auf der Bühne, würde man ihr ein ganz anderes Zuhause zuschreiben: die Bühne.