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Schule, ein Grundrecht für alle

Von Iga Mazak

Politik
Büffeln in der Rahlgasse ist für diese Schüler ein Privileg.
© Iga Mazak

Der Verein "Prosa" organisiert Unterricht für Asylwerber, um den Pflichtschulabschluss nachzuholen.


Wien. AHS Rahlgasse, zweiter Stock, ganz hinten rechts. Fünf Burschen und vier Mädchen sitzen hier. Täglich treffen sie sich von 14 bis 19 Uhr und pauken gemeinsam. Eigentlich wirken sie wie eine ganz normale Schulklasse. Mit der Ausnahme vielleicht, dass sie eine Spur konzentrierter bei der Sache sind, aufmerksamer dem Lehrer zuhören, regelrecht dankbar wirken, dass sie die Schulbank drücken dürfen.

Was hier jeden Nachmittag in den Räumen des Gymnasiums im 6. Bezirk stattfindet, ist kein gewöhnlicher Nachmittagsunterricht: Es ist ein Unterricht für junge Asylwerber. Während für österreichische Kinder die Schulpflicht gilt, ist das bei Asylwerbern nicht der Fall, befindet die Republik.

Darum sitzen Leila und Hassan hier, bei "Prosa - Projekt Schule für Alle!". Seit Oktober 2012 organisiert der Verein Pflichtschulabschlüsse für Flüchtlinge und Asylwerber. Heute findet ein Workshop in politischer Bildung statt. Den vier Hauptbegriffen Politik, Soziales, Wirtschaft und Gesundheit ordnen die Jugendlichen selbst gewählte Begriffe an. Leila hat zu Politik die Worte Asyl, Pass, Heirat und Dokumente gewählt. In klarem Deutsch erklärt die junge Frau ihre Wahl. Seit Herbst 2012 ist sie dabei, ihre Deutschkenntnisse sind verblüffend gut. Seit sieben Jahren lebt die gebürtige Armenierin bereits in Österreich.

Vier Asylanträge hat die Prosa-Schülerin bereits gestellt - alle vier wurden negativ beschieden. Seit 2006 lebt die 25-Jährige nun illegal mit ihrem Mann in Österreich. Da sie zuerst nach Russland flüchtete und erst nach einigen Monaten nach Österreich kam, fühlt sich kein Land so wirklich für sie zuständig. Negative Asylanträge stellen sie und ihren Mann vor akute Abschiebegefahr - ein Grund, warum Leila ihren vollen Namen nicht nennen möchte und auch keine Fotos von sich selbst wünscht.

Aber lernen will sie. Lernen, die Matura machen und am liebsten Informatik und Psychologie studieren. Um ihrem Traum ein Stück näher zu kommen, hilft ihr Prosa.

Nur wer förderungswürdig ist, bekommt Bildung

Der Staat interessiert sich nicht für Leilas Ausbildung. Nur, wer in Österreich auch arbeiten darf, ist "förderungswürdig" und hat offiziell einen Anspruch auf die Grundschulausbildung. Sina Farahmandnia, Projektmitbegründer von Prosa, ist empört über diese Situation für Flüchtlinge: "Österreich verwehrt diesen Menschen ihr Grundrecht auf Bildung." Flüchtlinge gelten nicht als förderungswürdig, denn sie haben keine Arbeitserlaubnis. So können Jahre vergehen, in denen ein unsicherer Asylstatus die Mädchen und Burschen zum Nichtstun verdammt.

Was Leila große Schwierigkeiten bereitet, ist nicht etwa die Schule, sondern die Leere. Die beängstigende Leere, die vor und nach dem Unterricht herrscht und die sie - wie an die Wand genagelt - an ihre prekäre Lage erinnert. "Diesen Druck halte ich eigentlich nicht mehr aus. Ich habe auch versucht, das mit Tabletten in den Griff zu kriegen, aber es ist eine permanente Angst. Sobald jemand an die Tür klopft, kriege ich Panik, dass wir abgeschoben werden." Leila wird wie viele beim Projekt Prosa zusätzlich vom Verein Ute Bock betreut, der sich um ihre Unterkunft und ein wöchentliches Essensgeld von zehn Euro kümmert.

Prosa ist der einzige Fixpunkt in Leilas Leben, das derzeit aus Warten und Angst besteht. "Was ich hier vor allem durch meinen Deutschunterricht gelernt habe, ist, dass Papier lügt. Ich habe weit mehr notwendige Voraussetzungen für Asyl oder für die Rot-Weiß-Rot-Card erfüllt und trotzdem lebe ich illegal in Österreich", erzählt Leila.

Nachfrage ist zehnmal so groß wie Angebot

Zurzeit hat Prosa 46 Schüler. Sie sind aufgeteilt auf drei Klassen. Täglich kommen sie in den Unterricht in das Gymnasium in der Rahlgasse, dessen Leitung ihnen die Räumlichkeiten kostenlos zur Verfügung stellt. Fünf Stunden pauken sie dann Deutsch, Englisch, Mathematik, Geschichte, Politische Bildung, und eine Stunde haben sie Förderunterricht mit intensiver Einzelbetreuung. Am Ende haben die Teilnehmer ihren Pflichtschulabschluss in der Tasche. Die Nachfrage ist groß. Ginge es nach Bedarf, dann gäbe es etwa 30 weitere Klassen. Rund 250 junge Menschen haben sich mit 1. Oktober bei Prosa gemeldet. Doch nur jeder Fünfte bekommt einen Platz - für mehr reichen die ehrenamtlichen Kapazitäten der freiwilligen Kräfte einfach nicht aus. "Das Wichtigste ist den Schülern sowieso der Kontakt mit Österreichern - mit der Aufnahmegesellschaft", erklärt Farahmandnia.

Und selbst wenn sie einen Platz in der Grundausbildung ergattern, hören die Probleme nicht auf. Neben den formalen, juristischen Problemen wie der Förderungswürdigkeit gibt es weitere Probleme. "Wie soll jemand die Anfahrtskosten zum Kurs und die Kosten für Jausen und Schulmaterial bezahlen können, wenn von rund 310 Euro Grundversorgung bereits 150 Euro fürs Wohnen draufgehen?", fragt sich Farahmandnia. Hier versucht Prosa durch Spenden und Projektfinanzierungen einzuspringen.

Mittlerweile ist Prosa-Pause und alle drei Klassen treffen sich zur gemeinsamen Jause. Um das Problem mit der Finanzierung der Jause zu lösen, organisieren die Prosa-Lehrer Snacks, die wiederum von Bäckereien gespendet werden. Ein wildes Gemurmel füllt den Raum. Handys werden aus den Hosentaschen gezogen und Fotos herumgereicht. Zwischen schmatzenden Mündern und mehligen Lippen klackern die Tastaturen der Handys. Schnell, schnell, bevor die Klingel wieder zur Stunde läutet. Denn
eines gilt in allen Klassen des Gymnasiums in der Rahlgasse, egal ob im regulären Unterricht oder am speziellen Prosa-Nachmittag: Während des Unterrichts ist das Handy tabu.