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Schule Ungleichheit

Von Simon Rosner

Politik

In Österreich wird Bildung nach wie vor viel stärker vererbt als anderswo.


Wien. Das Erben hat in Österreich einen besonders hohen Stellenwert, als eines von nur wenigen Ländern verzichtet man ja hierzulande auch bekanntlich auf eine Erbschaftssteuer. Vererbt wird in Österreich aber nicht nur Vermögen, sondern auch die Bildung, und zwar im Guten wie im Schlechten.

Die Pisa-Studie 2012 offenbarte, dass in Österreich der soziale Hintergrund und die Bildung der Eltern nach wie vor die Leistungen der Kinder stark beeinflussen. So erzielten Akademikerkinder beim Haupttestgebiet Mathematik im Durchschnitt 545 Punkte, während Kinder von Eltern mit maximal Pflichtschulabschluss nur 441 Punkte erreichten. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich, wenn nicht nur die Bildung der Eltern, sondern auch deren Einkommen herangezogen werden.

Im Vergleich mit 15 ausgewählten Ländern (die zehn reichsten EU-Staaten und die restlichen Nachbarländer Österreichs) liegt Österreich beim Zusammenhang zwischen Leistung und sozioökonomischem Status in etwa im Mittelfeld.

Der Blick in den Osten weist auf besonders ungleiche Bildungssysteme - Ungarn, Slowakei -, im Westen aber erstrahlt regelrecht die Schweiz, die von der OECD gar zu einem "Idealstaat" erhoben wird. Wie auch Finnland kombiniert die Schweiz hohe Pisa-Gesamtergebnisse mit einer hohen Chancengerechtigkeit. Was also macht die Schweiz so gut, dass es scheinbar egal ist, ob die Eltern hoch, wenig oder gar nicht qualifiziert sind?

Veränderte Migration

Bei einschlägigen Experten in der Schweiz begegnet man der Adelung der OECD eher mit Verwunderung. Beim zweiten Pisa-Test vor zehn Jahren kam noch das Gegenteil heraus, vor allem bei Migranten. Umfassende Reformen oder gar, wie in Finnland, die Installierung der Gesamtschule, sind seither nicht passiert. "Was sich aber geändert hat, ist die Struktur der in die Schweiz emigrierenden Personen", sagt Judith Hollenweger von der Pädagogischen Hochschule Zürich.

Vor elf Jahren trat das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU in Kraft, seither kommen vor allem viele akademisch gebildete Deutsche samt Kinder. Da immer nur ein Jahrgang bei Pisa getestet wird, geht auch der Schweizer Pisa-Chef Urs Moser davon aus, dass hier ein wesentlicher Zusammenhang besteht.

Allerdings hat schon der Pisa-Test im Jahr 2009 der Schweiz bei der sozialen Inklusion deutlich bessere Werte beschert als Österreich. Während sich Österreich hier nicht verbessert hat, konnte die Schweiz einen weiteren Sprung nach oben machen.

So ganz traut man in der Schweiz der Pisa-Studie aber nicht über den Weg, die Erfahrungen sind durchaus andere. Die Gesamtschule ist auch in der Schweiz ein Thema, doch die ist nur in der Primarschule, dem Äquivalent zur Volksschule, Realität. Allerdings dauert diese sechs Jahre.

In der Sekundarschule wird getrennt - wie in Österreich. "Man glaubt weiter an die Segregation", sagt Hollenweger. Auch die Durchlässigkeit der verschiedenen Bildungswege sei ein Problem in der Schweiz, erklärt sie, was auf Österreich ebenfalls zutrifft. Neun von zehn Schülern, die hierzulande ein Gymnasium besuchen, besuchen dann auch eine Oberstufe, von der Hauptschule wechselt landesweit nur ein Drittel in eine Schule mit Matura.

In der Schweiz folgt die Trennung mit zwölf Jahren, was auch in Österreich diskutiert wurde, aber in den Koalitionsverhandlungen offenbar schon wieder vom Tisch sein soll. Und anders als in Österreich gibt es in der differenzierten Sekundarstufe I (3- bis 4-Jährig) auch nicht immer eine räumliche Trennung und teilweise das selbe Lehrpersonal.

Christoph Heeb vom "Forum Bildung" in Winterthur war selbst einmal Lehrer und unterrichtete in einer Schule mit unterschiedlichen Leistungstypen. "Für die Kinder ist das traumatisierend", sagt er. "Die wissen, dass sie eingeschränkte Chancen haben." Die Schweiz als "Idealstaat", wie sie die OECD bezeichnet, sieht er nicht. Für ihn ist das Finnland - mit Gesamtschule: "Da wird kein Kind ausgeschlossen."