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Alles für die Familie

Von Elisabeth Gamperl

Politik
Spende für die Heimat: Radl sammelt für Taifun-Opfer.
© privat

Taifun "Haiyan" hat Community enger zusammengeschweißt.


Wien. Vor den toten Bäumen fürchtete sie sich am meisten. Ihre ältere Schwester hatte Virgina Radl davon erzählt. In Wien tragen die Äste keine Blätter, alles sei grau. Das klang für die damals Zwanzigjährige so wie in einem Horrorfilm. "Da bekam ich schon ein bisschen Angst", sagt sie. Trotzdem folgte Radl ihrer Schwester vor 35 Jahren über den Indischen Ozean nach Österreich.

In ihrer Heimat, den Philippinnen, waren damals wie heute die Arbeitsplätze rar. Währenddessen hieß der Bürgermeister philippinische Krankenschwestern höchstpersönlich am Flughafen Wien willkommen. Händeringend wurde hier nach Pflegekräften gesucht. "Das war meine Chance", sagte Radl. Sie war eine der vielen diplomierten Krankenschwestern aus dem Inselstaat, die in den Siebziger Jahren nach Österreich geholt wurden und hier blieben.

Heute sitzt sie in ihrem Büro im 20. Bezirk in weißem Kittel, trägt Brille und hat langes schwarzes Haar. Sie ist mittlerweile Hygienebeauftragte des Wiener Krankenanstaltenverbundes. Mittlerweile fürchtet sie sich nicht mehr vor kahlen Bäumen.

In Österreich sind Filipinos eine Minderheit. 11.000 Filipinos leben laut Innenministerium hier. Die philippinische Botschaft schätzt die Community auf rund 30.000 Personen, schließlich seien viele bereits so wie Radl eingebürgert worden beziehungsweise hier zur Welt gekommen. Die meisten Filipinos sind noch eng mit ihrem Heimatland verbunden, auch wenn sie oft schon Jahrzehnte in Österreich leben.

Wichtigstes Exportgut

Armando Santos etwa stammt aus einer Großfamilie: Der Mittfünfziger hat 14 Geschwister. Sie leben quer über den Erdball verstreut, beispielsweise im Iran oder auf Hawaii. "Als Filipino ist es im Gegensatz zu Österreichern normal, die Heimat zu verlassen. Es ist sogar unser großes Ziel", sagt er. Abschied zu nehmen mache einem nicht traurig, vielmehr wird man in der Gemeinschaft im anderen Land aufgefangen. Er selbst lebt seit zehn Jahren im 21. Bezirk und ist mit einer Wienerin verheiratet. Davor war er Musiker auf den Philippinen, spielte Gitarre und sang dazu. Heute schlägt er sich mit Aushilfsjobs durch und spielt nur noch selten.

In Wien trifft man sich vor allem in der Kirche, nach der Messe. Es gibt zwei Kirchen, in denen philippinische Pfarrer predigen. Anschließend wird gegessen. Auch gefeiert wird oft. Geburtstagsfeste sind hier bis zu 100 Gäste groß. Der 18. Geburtstag hat einen hohen Stellenwert, der wird wie eine Hochzeit gefeiert. Mit Ballkleidern und Rahmenprogramm. Ein Kind oder ein Hochzeitspaar hat bis zu acht Taufpaten beziehungsweise Trauzeugen.

Die Philippinen sind ein Land der Auswanderer. 10 Prozent der Filipinos verlassen ihre Heimat, um im Ausland Geld für ihre Familie zu verdienen. Auch Santos finanzierte jahrelang seine Familie. Die Rücküberweisungen des Lohns der Auslandsfilipinos machen rund elf Prozent des gesamten BIP aus.

Auch Radl schickte jahrelang mehr als die Hälfte ihres Einkommens in die Heimat, um ihre Geschwister zu unterstützen. "Bei uns gibt es einen Kodex: Das ältere Geschwisterteil unterstützt das jüngere, bis dieses die Schule absolviert hat." Kinder sind für die Eltern eine Altersvorsorge.

Wie stark der Zusammenhalt in der Community ist, zeigte sich auch durch den Wirbelsturm. Vor knapp einem Monat hat der Taifun "Haiyan" die philippinischen Visaya-Inseln getroffen und ganze Gebiete dem Erdboden gleichgemacht. Laut den Vereinten Nationen sind Hunderttausende von den Folgen des Taifuns betroffen, mehr als 4400 Menschen kamen ums Leben. Santos Familie kommt aus der Region. Sie sind nicht zu Schaden gekommen, "aber es ist eine Katastrophe. Den Menschen wird nicht geholfen. Man selbst kann nur zusehen." Täglich sitze er am Computer und verfolge die Nachrichten.

Seit dem Taifun werden wieder eifrig Päckchen mit Kleidung verschickt und Geld in die Heimat gesandt. Auch Radl sammelt zusammen mit ihren Kollegen vom Verband philippinischer diplomierter Gesundheits- und Krankenpflegender Österreichs und dem Roten Kreuz Geld. "Ich kann so viel Leid nicht akzeptieren", sagt Radl. Sie unterstützt als Obfrau des Verbandes ihre Landsleute, in dem sie Schulungen anbietet und Filipinos Auskunft gibt. Sie arbeitet eng mit dem Krankenpflegerverband ihres Geburtslandes zusammen.

Während in den Siebzigern in Österreich ein Mangel an Pflegekräften herrschte, sind die freien Arbeitsplätze derzeit rar. "Ich kann mich noch gut erinnern: Ich kam im März 1978 an und hatte im Mai meine Arbeitsstelle im damaligen Krankenhaus Hietzing. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen." Trotz sprachlicher Schwierigkeiten wurde sie sofort eingesetzt. "Am Anfang war ich oft verzagt, etwa wenn ich etwas falsch verstanden hatte. Die Leute waren hier viel ernster und ungeduldiger als auf den Philippinnen. "

Mittlerweile liebt sie die kahlen Bäume und den Schnee. Zusammen mit ihrem Partner und ihrer Tochter ist sie im Winter am liebsten auf Skipisten unterwegs. Ihre Tochter ist stark mit den Philippinen verbunden, auch wenn die Zwanzigjährige das Land nur aus Urlauben kennt. Radl hofft, dass ihre Tochter nur die guten Seiten ihrer Landsleute vererbt bekommen hat. Also die Gelassenheit der Filipinos und nicht die hohe Aufopferungsbereitschaft für die Gemeinschaft.