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Die Kirche hört ins Volk hinein

Von Wolfgang Zaunbauer

Politik

Rund 20.000 haben die päpstlichen Fragebögen bereits ausgefüllt.


Wien. Noch unter Papst Benedikt war klar, dass aus Sicht der Kirche "die wahre Gestalt der Familie aus Vater, Mutter, Kind" besteht. Mit der Lebenswirklichkeit vieler Familien hat das allerdings nicht mehr viel zu tun. Immer mehr Paare bleiben kinderlos, mehr als 100.000 Personen in Österreich erziehen ihre Kinder alleine, die Zahl der sogenannten Patchwork-Familien nimmt zu und auch das Recht Homosexueller auf ein Familienleben wird immer mehr zum Common Sense. Diesen Herausforderungen will sich die Kirche bei einer Sondersynode der Bischöfe im Oktober 2014 stellen - und vorab die Meinung des Kirchenvolkes einholen.

Es ist durchaus üblich, dass der Vatikan die Bischöfe zu bestimmten Themen befragt. Diesmal waren es 39 Fragen zu acht Fragekomplexen zum Thema Familie. Ein begleitendes Schreiben skizziert die "zahlreichen neuen Situationen", denen sich die Kirche gegenüber sieht, etwa wiederverheiratete Geschiedene (diese sind von kirchlichen Sakramenten ausgeschlossen), gleichgeschlechtliche Paare, Adoption und Leihmutterschaft, interreligiöse Ehen, arrangierte Hochzeiten oder Polygamie - ein für die hiesige Ortskirche eher untergeordnetes Problem, aber die Fragen sind halt weltkirchlich angelegt.

Diesmal haben nun zahlreiche Bischöfe und Bischofskonferenzen beschlossen, die Fragen auch gleich dem Kirchenvolk vorzulegen. Zumindest in Österreich ist das Interesse durchaus groß: Einen Monat nach Veröffentlichung wurden bereits rund 20.000 Fragebögen ausgefüllt - allerdings nicht die gleichen.

Während Wien, St. Pölten, Salzburg und Eisenstadt die Originalfragen veröffentlichten und online stellten, setzen die übrigen Bistümer auf vereinfachte Online-Befragungen. Mit gutem Grund: Die Fragen des Vatikans sind dezidiert an die Ortskirchen gerichtet, und in ihrer Formulierung für Laien oft nur schwer verständlich.

So fragt der Vatikan: "Ist das Zusammenleben ,ad experimentum‘ in der Ortskirche eine relevante pastorale Wirklichkeit?" Das Bistum Feldkirch gibt die Frage so weiter: "Wie stehen Sie zum Zusammenleben vor der Eheschließung?"

Die Umfragen finden sich unter www.katholisch.at/fragebogen. Auch die Katholische Jugend und die Katholische Aktion haben jeweils vereinfachte Fragebögen online gestellt. Die Befragungen stehen bis Ende Dezember übrigens jedem offen, nicht nur den jeweiligen Kirchenmitgliedern.

Rückkehr des Paulinismus

Dass sich die Bischöfe nicht auf eine einheitliche Befragungsmethode einigen konnten, ist für Beobachter nicht überraschend. Das zeige die Polarisierung in der Bischofskonferenz, was die strittigen Fragen angeht. Spannend wird auch sein, wie die Bischöfe mit den Ergebnissen umgehen. Im Jänner werden sie dem Vatikan übergeben. Allerdings dürfe es nicht nur um ein Abliefern gehen, sondern darum, dass auch bei der Synode im Herbst 2014 die Vertreter - voraussichtlich Kardinal Christoph Schönborn und Familienbischof Klaus Küng - den Willen der Gläubigen dort zu vertreten.

Insgesamt stehen Kirchenkenner aber durchaus positiv zur päpstlichen Meinungserhebung. Pastoraltheologe Paul Zulehner spricht von einer "Rückkehr der Paulinischen Theologie", in der gelte: "Kirche sind alle, nicht nur die Amtsträger."

Auch für Kirchenexperte Hubert Feichtlbauer ist erfreulich, dass Rom den "Sensus fidelium" erforschen will. Zwar gehe es nicht unbedingt um Änderungsabsichten, aber es werde die Stimmung erkundet - "das ist jahrhundertelang nicht geschehen". Dass es kein gemeinsames Vorgehen der Bischöfe gibt, stört ihn nicht. Schließlich gehe es nicht um eine wissenschaftliche Ergebung, sondern darum, "ins Volk hineinzuhören".

Streit um die Geschiedenen

Aus Feichtlbauers Sicht ist die entscheidende Frage: "Wie steht es um die Familie?" Zwar rechnet er nicht damit, dass der Vatikan das traditionelle Bild der idealen Vater-Mutter-Kind-Familie aufgibt, aber doch damit, dass die Seelsorge darauf Bedacht nehmen wird, dass dieses Ideal vielerorts eben nicht mehr die Norm ist.

Für Zulehner wird die entscheidende Frage der Synode jene der Wiederverheirateten sein. Hier machen vor allem die deutschen Bischöfe Druck. So erklärte der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch unlängst bezüglich wiederverheirateter Katholiken: "Sie gehören zur Kirche!" Zuletzt gab es diesbezüglich heftige Wortgefechte mit dem Präfekten der Glaubenskongregation, dem früheren Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller, der eine Rücknahme einer Empfehlung zur Kommunion für Wiederverheiratete gefordert hatte.

Eine Möglichkeit wäre, das kirchliche Prozedere der Nichtigkeitserklärung von Ehen zu vereinfachen: wo keine Ehe, da keine Scheidung, so die einfache Rechnung. Das wird von vielen Betroffenen aber abgelehnt. Sie wollen nicht einen Teil ihres Lebens einfach nicht existent machen. Man könnte sich aber auch ein Vorbild an der Orthodoxen Kirche nehmen. Dort gilt zwar auch die Heiligkeit der Ehe, doch nach einer Bußzeit ist eine zweite und sogar dritte Eheschließung möglich.