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Die abgesagte Reform

Von Marina Delcheva

Leitartikel
Marina Delcheva ist Leiterin des Ressorts "Wirtschaft" bei der "Wiener Zeitung".

Wie viel sollen Arbeitslose dazuverdienen dürfen?


Aus der angekündigten Reform des Arbeitslosengeldes wird also doch nichts. Grüne und ÖVP konnten sich nicht einigen, ob arbeitslose Menschen geringfügig dazuverdienen sollen oder nicht. Die Grünen sind dafür, die ÖVP dagegen. Nun kann man diese gescheiterte Reform aber ruhig zum Anlass nehmen, um zu überlegen, was da eigentlich reformiert werden soll.

Ziel ist und war, Menschen möglichst schnell in Beschäftigung zu bringen und folglich möglichst kurz in der Arbeitslosenversicherung zu halten. Sieht man sich die Arbeitszahlen an, dann haben wir aber kein Arbeitslosen-Problem. Ganz im Gegenteil, wir haben zu wenig Beschäftigte. Und der demografische Wandel wird dieses Problem noch weiter verschärfen.

Ende November waren in Österreich laut Arbeitsministerium 330.454 Personen arbeitslos oder in Schulung, um 33.040 Personen bzw. um 9,1 Prozent weniger als vor einem Jahr. Mehr noch: "Österreich hat mit 6,2 Prozent (gleicher Wert wie November 2007) die niedrigste November-Arbeitslosenquote in diesem Jahrtausend", twitterte der Chef des Arbeitsmarktservice (AMS), Johannes Kopf, stolz. Das AMS macht seinen Job derzeit außerordentlich gut. Fast schon zu gut. Eine Mitarbeiterin erzählt hinter vorgehaltener Hand: "Ich hatte noch nie so wenig zu tun wie jetzt. Der Arbeitsmarkt ist leer gefegt."

Und jene, die Monat für Monat beim AMS sitzen? Der sogenannte Missmatch am Arbeitsmarkt ist eklatant und daran ändert auch die abgesagte Reform vorerst wenig. Fast die Hälfte der Jobsuchenden hat höchstens einen Pflichtschulabschluss und ist damit für ganz viele offene Stellen nicht qualifiziert. Mehr als ein Viertel ist laut aktueller Arbeitslosenstatistik über 50, eine Gruppe, die tendenziell nur noch schwer einen neuen Job findet, und das unabhängig von der Qualifikation.

Sollen Jobsuchende nun nebenbei geringfügig arbeiten dürfen? Schwierig, vor allem bei der aktuellen Inflation. Jemand, der 55 Prozent von 3.000 Euro netto bezieht und eigentlich schon "etwas in Aussicht hat, aber die Arbeitslose noch mitnehmen will", bräuchte das Geld nicht. Eine Frau über 50, die gerade ihren 1.500-Euro-Reinigungsjob verloren hat, kommt ohne Zuverdienst aber nicht über die Runden. Dieses System ist zwar existenzsichernd, aber anfällig für Missbrauch. Und vielleicht bedarf es ja auch einfach mehr Kontrolle und strengerer Vorgaben als nur ein Ja oder Nein zum Zuverdienst. Vielleicht sollte man bei jenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern genauer hinschauen, die drei Monate bei der Sozialversicherung als geringfügig gemeldet sich, um just am Tag nach dem Ende der Anspruchsfrist vom gleichen Arbeitgeber in Vollzeit angestellt werden.