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Außenintegrator im Stress

Von Clemens Neuhold und Katharina Schmidt

Politik
Von der Balkanstraße auf den Balkan: Sein erster Besuch führt Kurz nach Kroatien und damit auf gewohntes Terrain
© fotolia

Sebastian Kurz jettet als Außenminister um die Welt - war’s das mit Integrationspolitik neu?


"Hab heute Otalia Sacko kennengelernt" . . . "Herzliche Gratulation zum einjährigen Bestehen des Sprachportals" . . . "Als Mentor für MigrantInnen unterwegs" . . .  "hatte die Ehre, den Patriarchen von Konstantinopel zu treffen" . . . "Diskussion über Integration in Herzogenburg." Der dichte Terminplan des Staatssekretärs für Integration war vom ersten Tag an gut dokumentiert – natürlich auf Facebook, wie es sich für einen Politiker von 24 Jahren gehört.
Jetzt ist er 27 und Außenminister: "Swearing-in and handing-over ceremony – now the work can start", schrieb er am Montag auf Facebook – auf Englisch, denn nun liest die Welt mit.

Kurz fusioniert das vor 2,5 Jahren als große Innovation der heimischen Politik gefeierte Staatssekretariat für Integration in das Außenministerium. Jetzt fragt man sich: Geht sich der Schulbesuch in der Favoritner Problemschule mit 90 Prozent Migrantenanteil noch aus, wenn Termine in drei Zeitzonen anstehen? Wenn Kurz sich als Mitglied des EU-Rates, Vorsitzender des Europarates und eines UNO-Ablegers sowie als Gastgeber zahlreicher Staatsbesuche profilieren muss?

Noch wenig beachtet: Im Mai steht die EU-Wahl an. Selbst wenn der Spitzenkandidat seiner "Europa"-Partei ÖVP Othmar Karas heißt: Der junge Kurz wird sich für diese wichtige Richtungswahl in die Schlacht werfen müssen, um die jungen und nach Eigendefinition "europageilen" Neos in Schach zu halten.

Hat sich der ÖVP-Shootingstar mit seiner Doppelrolle übernommen und gefährdet nun die eigene Aufbauarbeit im Bereich Integration?

First Stop: Croatia!

Natürlich nicht, heißt es aus seinem Kabinett. "Die Integrationsagenden wie etwa die Umsetzung des zweiten verpflichtenden Kindergartenjahres seien sicher keine Anhängsel. "Die Integration ist dort angekommen, wo sie hingehört – im Außenamt. Die beiden Themen sind absolut vereinbar, weil wir einen schönen Integrationsbogen spannen von Botschaften im Ausland bis zur Integration in Österreich. Es wird zahlreiche terminliche Überschneidungen geben."

Herceg Novi wird Herzogenburg. Ganz nahe werden die beiden thematischen Stühle schon in Kürze zusammenrücken. Wie die "Wiener Zeitung" erfuhr, führt sein erster Staatsbesuch den Außenminister nach Kroatien. Die Kroaten sind eine wichtige Migrantengruppe.

"Das war’s wieder?"

Das Staatssekretariat für Integration verschwindet jedenfalls, dafür wandert die Sektion ins Außenministerium – und wird dort, unkt die Integrationssprecherin der Grünen, Alev Korun, zum "Fremdkörper" und "Wurmfortsatz". "Damals haben wir die Einrichtung eines eigenen Staatssekretariats – eine alte Forderung von NGOs und Grünen – ausdrücklich begrüßt. Und jetzt kommt die Regierung und sagt: ,So, das war’s, das brauchen wir nicht mehr. Das fusionieren wir ins Außenministerium.‘" Korun hätte sich eine Debatte gewünscht, ob das Staatssekretariat nicht ins Bundeskanzleramt oder ins Arbeitsministerium wandern hätte können – die hohe Arbeitslosigkeit unter Migranten ist ein Hauptproblem bei der Integration.

Der Soziologe Kenan Güngör, Mitglied im unabhängigen Expertenrat der Regierung, ist gespalten. Formal werde das Thema Integration aufgewertet, vom Staatssekretariat in den Rang eines Ministeriums. Andererseits fragt er sich, ob Kurz seine "Treiberfunktion" aufrechterhalten kann. "Der Großteil des Stillstandes in der Integrationspolitik erklärte sich dadurch, dass die anderen Ministerien und Behörden das Thema auf der Prioritätenstufe 25 hatten." Kurz habe Dynamik reingebracht und dafür gesorgt, dass Integration dort neu gewichtet wird. "Dafür braucht es aber Leidenschaft, Aufmerksamkeit, Fokus – und 100-prozentige Aufmerksamkeit."

Expertenrat gefragt

Der Chef des Expertenrates ist Heinz Fassmann. Dass Kurz das Thema Integration mit ins Außenministerium nimmt, ist für ihn ein logischer Schritt: "Kurz wollte das, womit er sich profiliert hat, nicht aufgeben." Sachlich ist die Fusion für ihn "mit einigermaßen Phantasie nur schwach begründbar". Zum Beispiel könne man sagen, dass die Suche nach den besten Köpfen mit einer guten Selbstdarstellung Österreichs im Ausland beginne. Allerdings sei klar, dass der Hauptteil der Integrationsarbeit das Inland betreffe.

Fassmann glaubt, dass die Arbeit in der Integration nun noch mehr als bisher dem Expertenrat zufallen wird. "Kurz war der politische Mediator in der ganzen Angelegenheit, es könnte nun sein, dass das schwieriger wird."

Doch welche Arbeit muss Kurz hinter dem Schlagwort Integration weiterführen? "Ich schreibe Kurz ins Stammbuch, dass er das Thema Ausländer in einem Land mit so hoher Fremdenfeindlichkeit entkrampft hat. Er hat die Themenführerschaft der FPÖ gebrochen. Das war eine große Leistung, die ich nicht erwartet hätte", sagt Güngör.

Geborene Ausländer

In einer zweiten Phase müsse nun aber viel grundlegender angesetzt werden. "Es ist ein Unding, dass man Kinder, die hier geboren sind, behandelt, als wären sie gerade zugewandert." Die Lösung für Güngör: eine doppelte Staatsbürgerschaft wie in Deutschland. Außerdem plädiert er für eine Willkommenskultur. Denn auf dem Weg zur Staatsbürgerschaft würden tausende Euro an Gebühren und etliche Behördenwege den Menschen das Signal geben: Wir wollen euch nicht. Güngör nennt das "ausladende Einbürgerung".

Korun kritisiert, dass ein Handwerker, der nach Österreich komme, es noch immer "wahnsinnig schwer" habe, dass sein Beruf anerkannt wird. Fassmann sieht außerdem Reformbedarf bei der Rot-Weiß-Rot-Karte, die qualifizierte Menschen anlocken sollte.

Und das Regierungsprogramm? Darin sieht Fassmann sichergestellt, dass das Thema Integration nicht in der Versenkung verschwindet. Immerhin.