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Der neue Stil und seine Blüten

Von Clemens Neuhold

Politik

Es ist ein schmaler Grat zwischen Harmonie und Entpolitisierung.


Wien. Ein Minister gelobt "vor dem Heiligen Herz Jesu Christi". Aufregung. Ein paar Recherchen und Interviews später wissen wir: Wir haben es mit einem traditionsbewussten Tiroler zu tun, der aus seiner Religiosität keine Mördergrube macht. Das Wissenschaftsministerium soll aufgelassen und unter das Dach des Wirtschaftsministers wandern. Aufregung. Der Rektor der größten Uni kommt zum Befund, symbolisch sei schon viel gewonnen, wenn es künftig Ministerium für Wissenschaft & Wirtschaft heißt. Der neue Finanzminister stolpert ins neue Amt, weil er in Brüssel fehlt und vom deutschen Kollegen gescholten wird. Aufregung. Der deutsche Finanzminister will es nicht böse gemeint haben. Es geht uns gut - tu felix Austria - und morgen kommt das Christkind.

Die Selbstheilungskräfte dieses Landes sind beeindruckend. Noch vor einem Monat schien die ganze Republik in einem rot-schwarzen Budgetloch zu versinken, die ÖVP drohte der SPÖ mit einem Heiligen Weihnachtswunder, sollte sie ihre Totalblockade in den Regierungsverhandlungen nicht aufgeben. Dann wurde das Koalitionspackerl doch rechtzeitig zugestellt - und von den Kommentatoren und Analysten zerfetzt. Ambitionslos, mutlos, feige. Die letzte große Koalition, definitiv. Kanzler Strache 2018, so gut wie fix.

Und jetzt? Natürlich wird das "Arbeitsprogramm" der Regierung weiter kritisch analysiert, aber es wird ernst genommen - auf Punkt und Beistrich. Die Kritik steigt hinab von ihrem hohen Ross in die Mühen der Ebene; eine Ebene, die ÖVP und SPÖ trotz Wahlen und Regierungsbildung nie verlassen haben. Warum auch? Die Regierung blieb ja dieselbe und das Land auch.

Dem Klein-Klein im Regierungsprogramm wird nun große Bedeutung zugemessen, so wie die Arbeitsregierung sich das verdient. Die Gratiszahnspange: ein kleiner Schritt für das Land, ein großer für den kleinen Hansi und Ali. Stück für Stück, weiter so.

Ist das nur die Weihnachtsamnestie, die Kritiker anstatt über den Weltuntergang darüber berichten lässt, was zählt in einem Land, dass man nicht neu erfinden muss? War es gar nur die "veröffentlichte Meinung", die in ihrer miselsüchtigen Natur das Volk aufgehusst hat und nun wieder zur Vernunft kommt?

Oder greift gar der neue Stil, den die Regierung nicht vor dem Herzen Jesu, aber doch feierlich gelobt hat? Es ist zumindest Teil des neuen Stils, den Meinungsveröffentlichern nicht alles durchgehen zu lassen und auf zu kecke Fragen mit einem Bumerang zu antworten ("Journalisten verschweigen gerne . . ."). Der Ministerpräsident Bayerns und Medienmahner, Horst Seehofer, steht hier Pate. Doch das ist Österreich: Der Versuch, den Medien die Schuld zu geben, greift kurz in einem Land, in dem die Boulevard-Zeitungen der Kanzlerpartei wohlwollend gesonnen sind.

Der Versuch greift auch faktisch zu kurz. Beispiel "Budgetloch", das Politiker als Produkt der veröffentlichten Meinung darstellen. Es war - abgesehen von Milliarden, die tatsächlich im Staatssäckel fehlen - ein Produkt des Wahlkampfes. Die Zahl von 40 Milliarden Euro, die offenbar über Nacht in der Kasse fehlten, stammte aus dem Finanzministerium und wurde von einem koalitionspokernden ÖVP-Landeshauptmann zugespitzt veröffentlicht, um das Land aufs Sparen einzuschwören.

Die Berichte und der öffentliche Aufschrei, der folgte, versetzte die Regierung in Schockstarre und stärkte das Bekenntnis zum neuen Stil.

Doch der neue Stil zwischen ÖVP und SPÖ ist mehr als das gemeinsame "Seehofern" gegen die Medien. Es gibt ihn wirklich - erkennbar an einer seltenen Harmonie zwischen ÖVP und SPÖ, diesen Zwillingen, die sich eigentlich nicht mögen. Einwand: Nach Monaten des Streits kann es nicht wundern, wenn die Friedenspfeife noch nachwirkt. Aber: Dieser Stil könnte diesmal tatsächlich mehr als ein Lippenbekenntnis sein. Denn er ist personell abgesichert. Einerseits durch die passable Ministerriege, die großteils ohne Streithanseln auskommt; und noch viel stärker durch zwei Achsen, auf denen die Regierung Faymann II durch die nächsten Jahre fährt, der Achse Reinhold Lopatka - Andreas Schieder und Jochen Danninger - Josef Ostermayer. Die Klubobleute von ÖVP und SPÖ, Lopatka und Schieder, sind schon vom Charakter her ein Gegenstück zu ihren Vorgängern Karlheinz Kopf & Josef Cap alias "Hick&Hack". Wie Lopatka und Schieder im ORF-"Zentrum" miteinander umgingen, wirkte nicht wie ein politischer One-Night-Stand, sondern wie eine pragmatische Dauerbeziehung.

Noch wichtiger die Achse der beiden rechten Hände von Bundeskanzler Faymann und Vizekanzler Spindelegger: Finanzstaatssekretär Danninger und Kanzleramtsminister Ostermayer. Sie waren die Strategen des Koalitionspaktes und müssen schon alleine deswegen den neuen Stil leben - sonst sind sie gescheitert.

Noch ist der alte Regierungswagen mit seinen neuen Achsen nicht in zerklüftetes Gelände eingebogen. Erstmals holprig wird es vor den EU-Wahlen im Mai. Doch die SPÖ wird mehr mit der FPÖ und die ÖVP mehr mit den Neos zu kämpfen haben. Noch kein Grund, den neuen Stil zu ändern.

So richtig auf die Probe gestellt werden die koalitionären Stoßdämpfer 2015. Denn geht es um die wahren Machtzentren des Landes, die Länder. Einerseits wird gewählt - im Burgenland, in der Steiermark, in Oberösterreich und in Wien. Andererseits beginnt das Tauziehen um die Aufteilung der Steuermilliarden zwischen Bund und Ländern, genannt Steuerausgleich. Querschüsse aus den Ländern gegen den harmonischen Sparkurs werden auf der Tagesordnung stehen.

Auch diese Landpartie kann die Bundesregierung überstehen. Denn ein gemeinsamer Außenfeind schweißt zusammen. Ist es derzeit die "veröffentlichte Meinung", können es dann die ausgabenwütigen Länderfürsten sein, ohne dies freilich je offen auszusprechen.

Der wahre Feind des neuen Stils ist eine 1,6 Millionen starke Gruppe. So viele haben 2013 keiner Partei ihre Stimme gegeben. Der harmonische neue Stil ohne Ecken und Kanten, der für eine Politik der kleinen Schritte anstatt großer Würfe steht, droht diese Gruppe zu vergrößern. Der neue Stil ohne neue Projekte birgt die Gefahr einer Entpolitisierung und Demokratie-Lethargie.

Warum soll ein Nichtwähler, der früher ÖVP wählte, das nächste Mal in deren Schoß zurückkehren, wenn er keine ordentliche Pensionsreform oder Steuersenkung bekam? Warum soll ein Ex-SPÖler wieder rot werden, wenn er weder die im Wahlkampf versprochene Vermögenssteuer noch eine Gesamtschule bekam?

Der Kanzler sagte in einer Medienschelte, er habe die Millionärssteuer nie versprochen. Nun, er hat im Wahlkampf eine Erbschaftsteuer und eine Vermögenssteuer gefordert. Dass sich einer, der deswegen rot gewählt hat, zumindest eines von beiden als Versprechen deutet, ist eine zulässige Auslegung.

Nichtwähler sind keine homogene Gruppe. Sie bestehen aus den Faulen, die höchstens beim Sonntagsrätsel ein Kreuz machen, den Unentschlossenen, die sich von keiner Partei angesprochen fühlen, und den Frustrierten, denen die Politik bis oben steht.

Der neue Stil der alten, neuen Regierung kann argumentieren, dass er jene Frustrierten zurück ins Boot holt, die genug vom rot-schwarzen Hickhack hatten. Doch gleichzeitig riskiert er, diesen Frust zu verstärken. Denn Politik ist der Wettstreit von Ideen, Überzeugungen, Modellen und Ideologien. Politik braucht Leidenschaft und große Geschichten, damit sich die kleinen Geschichten - vom Pensionsautomatismus bis zur Zahnspange - einordnen lasen. Ohne diese Geschichten droht der neue Stil zur Stilblüte zu verkommen.