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Bushido, mein Bruder?

Von Toumaj Khakpour

Politik
Kritisch betrachten die vier Jugendlichen Amin, Dario, Dzingiz und Boris den Rüpel-Rapper Bushido und sein Buch.
© Khakpour

Einerseits Sprachrohr junger Migranten, andererseits Kunstfigur.


Wien. "Anis Mohamed Youssef Ferchichi" steht in weißen, großen Lettern auf dem schwarzen Buchumschlag geschrieben. Das Buch heißt "Auch wir sind Deutschland". Es ist eine Kampfansage an "die da oben", die Integrationsbeauftragten, Spitzenpolitiker und Kritiker, die auf Bushido, den Skandal-Rapper zielen. Eineinhalb Jahre haben der Rapper und der Berliner Musikjournalist Marcus Staiger an dem Buch gearbeitet.

Ehemals umtriebiger Junge aus dem Berliner Tempelhof-Bezirk, ist der 35-jährige Bushido heute Millionär, Vater von drei Kindern, erfolgreicher Geschäftsmann - und dazwischen liegt manches im Dunkeln. Ein turbulentes Jahr war es für den Rapper: Das Magazin der "Stern" veröffentlichte ein Dokument, in dem Bushido die Nähe zu einer kriminellen Organisation nachgewiesen wird, in seiner Musik holt der Berliner zum Rundumschlag aus, es folgen sexistische Untergriffigkeiten und Morddrohungen an Politiker.

Parallelen zumeigenen Leben

Und mittendrin hat er ein Buch über Integration veröffentlicht. Schon früher wurde er als Integrationsguru gefeiert, 2011 gar mit den Medienpreis "Bambi" in der Kategorie Integration ausgezeichnet. Ist er, der Rüpel-Rapper, tatsächlich das Sprachrohr junger Migranten, die sich von der Mehrheitsgesellschaft im Stich gelassen fühlen? Und was sagen junge Migranten zu seinem Buch?

"Zwischen seinen Texten und meinem Leben gibt es viele Parallelen", meint Dzingiz, während er durch das Buch blättert. Zum Beispiel: Hip-Hop, die Außenseiterrolle und auch der Alltagsrassismus, mit dem der 21-Jährige immer wieder konfrontiert war und ist. Auf Seite 52 ist beispielsweise zu lesen, dass "all die Menschen, die auf den ersten Blick ausländisch aussehen, oder, was noch wichtiger ist, deren Nationalität hier in Deutschland als unerwünscht gilt", immer noch auf Vorurteile und Probleme stoßen würden.

Dzingiz hat serbisch-österreichische Wurzeln. Die Familie seiner Mutter kam in den 1960er Jahren aus Serbien nach Österreich. Dzingiz fühlt sich als Wiener. Eigentlich. Die Gesellschaft sieht das anders. Er hält deshalb viele von Bushidos Schlüssen für nachvollziehbar: "Man spürt auch in Österreich die Probleme mit dem Rassismus. Er ist oft schon in den Gehirnen verankert, und auch ich wurde schon einmal rassistisch angegriffen", erzählt der 21-Jährige.

Zwischen Kunstfigurund Realität

Bushido scheint immer noch - trotz seines Millionärslebens und der vielen Skandale - viele Jugendliche aus sozial schwachen Schichten anzusprechen. "Vor Bushido hat es nur deutsch-deutsche Rapper aus bürgerlichen Familien gegeben, die über die Freuden des Lebens gesprochen haben. Es ist aber so, dass die meisten Kids mit Migrationshintergrund nach wie vor aus Arbeiterfamilien stammen, und die hat er damit auf Anhieb erreicht", erklärt der 20-jährige Zivildiener Dario.

Boris kann ihm da nur beipflichten. "Man ist in einem fremden Land und sieht nur Deutsche rappen und fühlt sich ausgeschlossen. Dann kommt ein Bushido und zeigt, dass es doch geht", sagt der 22-jährige Versicherungsmakler. "Und es hat funktioniert, weil er damals der Einzige war", fügt Dario hinzu.

Bereit, die Ehre auch ohne Anwälte zu verteidigen

Der 19-jährige Amin, der eine AHS besucht und österreichisch-ägyptische Wurzeln hat, ortet in Bushidos Musik eine starke meinungsprägende Komponente, die oft außer Acht gelassen werde. Der Rapper sei für Hörer, die nicht differenzieren würden, "authentisch". Nur die wenigsten würden die Kunstfigur von der wahren Person unterscheiden.

"Wenn ein anderer Rapper, der ein Problem mit Bushido hat, auf einmal ernsthafte Morddrohungen erhält, weil er zuvor als Verräter bezeichnet wurde, dann merkt man, wie viel Meinungsmacht Bushido besitzt", gibt Amin zu bedenken. Dies reiche von diversen untergriffigen Beleidigungen und Rufschädigung in den sozialen Medien bis hin zu ernsthaften Handgreiflichkeiten.

Dzingiz, der selbst Raptexte schreibt, weiß darüber zu berichten: "Wir können dahinter blicken. Wenn du aber wenig Ahnung von dem Genre hast oder nicht differenzieren kannst, dann tappst du sicherlich schnell in die Klischeefalle." Eine Aussage Bushidos, die ihm ins Auge sticht, findet sich in der Mitte des Buchs: "Wir haben nicht viel, zumindest sind wir nicht mit sehr viel auf die Welt gekommen, aber wir haben Stolz und wir haben Ehre. (. . .) Da, wo ich herkomme, haben diese Begriffe eine bestimmte Bedeutung, und wir sind bereit, sie zu verteidigen. Ob mit teuren Anwälten oder in der direkten Konfrontation."

Moralapostel zwischen Rausch und Prostituierten

Die Begriffe "Ehre" und "Stolz" prägen auch viele Debatten um Integration, etwa wenn es um Gewalttaten in der Familie geht. Für Dzingiz halten solche aufgeladenen Begriffe das Konstrukt der Scheinwahrheit aufrecht: "Viele, die ‚Ehre‘ und ‚Stolz‘ predigen, sitzen den ganzen Tag im Kaffeehaus und trinken Raki, obwohl sie so gläubig sind, und gehen nachher noch zu einer Prostituierten."

Amin kennt fromme Religiosität aus dem ägyptischen Teil seiner Familie nur zu gut. "Die saufen wie jeder andere und rauchen sich ein. Die meisten essen zwar kein Schweinefleisch, aber auch nur deshalb, weil sie sich davor ekeln", erzählt er.

Und wo steht der Skandal-Rapper Bushido selbst? "Irgendwo zwischen Sein und Schein", sind sich die Burschen einig.