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Die teilautonome Schule kommt

Von Brigitte Pechar und Bettina Figl

Master für alle? Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek will mit den Kindergartenpädagoginnen ausloten, ob künftig alle Elementarpädagoginnen einen Master haben müssen.
© Andreas Urban

Unterrichtsministerin Heinisch-Hosek präzisiert Programm, Direktoren erhalten nur Mitspracherecht bei Lehrerwahl.


"Wiener Zeitung": Frau Ministerin, Sie haben am Montag das Unterrichtsministerium übernommen. Wann war für Sie klar, dass Sie am Minoritenplatz einige Häuser weiterziehen - beim Koalitionspartner ÖVP sind einige solcher Entscheidungen ja sehr kurzfristig getroffen worden?Gabriele Heinisch-Hosek: Ich habe ja schon in den Koalitionsgesprächen das Bildungskapitel betreut und war auch als Beamtenministerin in die Lehrerdienstrechtsverhandlungen eingebunden - insofern ist mir das Ressort nicht ganz neu. Definitiv gefragt, on ich das Ministerium übernehmen möchte, wurde ich erst am Wochenende vor dem Abschluss.

Sie waren ja selbst Lehrerin. Haben Sie schon Rückmeldungen von Ihren früheren Kolleginnen?

Ja, einige haben sich schon gemeldet. Ich selbst freue mich natürlich über jede positive Reaktion.

Eine der größten bildungspolitischen Herausforderungen des Landes ist, dass Bildung vererbt wird. Was genau planen Sie dagegen zu tun?

Wir haben im Regierungsprogramm genau darauf abgestellt. 750 Millionen Euro sind für die kommenden fünf Jahre für die Kleinsten und den Ausbau der Ganztagsbetreuung an den Schulen vorgesehen. Wir müssen die Kinder möglichst früh in das Bildungssystem hereinholen, damit wir solche sozioökonomischen Benachteiligungen ausgleichen können und diese nicht mitgeschleppt werden.

Ab wann wird das zweite Kindergartenjahr verpflichtend sein?

Einen fixen Zeitplan dafür traue ich mich noch nicht zu nennen. Aber ein zweites Gratiskindergartenjahr für die, die es brauchen, ist vorgesehen. Da müssen wir gemeinsam mit den Ländern vorgehen, weil Kindergärten ja Sache der Länder und Gemeinden sind. Jedes Land wird selbst entscheiden, welches Kind ein zweites Kindergartenjahr gratis braucht. In Vorarlberg ist man da schon sehr weit.

Sie nennen als eine Möglichkeit zum Ausgleich von Bildungsdefiziten eine Volksschulreform. Wie soll die aussehen?

Das wird eine große Volksschulreform werden. Der Übergang vom letzten Kindergartenjahr in die ersten beiden Volksschuljahre wird neu gestaltet. Für die Kinder ist die Schule eine völlig neue Umgebung mit neuen Bezugspersonen. In Zukunft sollen die Kindergartenpädagoginnen die Kinder an die Schulen begleiten - das heißt, dass es ein Übergangsmanagement geben soll. Die Lehrer kennen die Kinder nicht, die Kindergartenpädagoginnen können da Mentoring leisten. Und zum besseren Schnittstellenmanagement sollen die Kinder aus dem Kindergarten ein Portfolio mitbringen - einen Kompetenzenkatalog. Damit wird es für die Lehrerin einfacher, sich auf die Kinder einzustellen. Ich möchte auch, dass das ohne viel bürokratischen Aufwand gemacht wird. Einfach tun.

Sie wollen die Lehrer künftig nicht mehr über die Einrichtung einer verschränkten Ganztagsschulklasse mitbestimmen lassen. Warum nicht, Lehrer haben ja auch eine Lebensplanung.

Im Regierungsprogramm steht, dass an jedem Schulstandort eine verschränkte Ganztagsschulklasse anzubieten ist, wenn 12 bis 15 Eltern das wollen. Dabei wechseln Unterricht und Erholungsphasen, Kreativ-Einheiten oder Sport. Ob das gewollt wird, bestimmen also alleine die Eltern und nicht der Schulgemeinschaftsausschuss.

Ich denke aber, da das ja nicht alle Klassen einer Schule betreffen wird, dass das in Absprache mit den Lehrern machbar ist. Diese verschränkte Form wird von der 1. bis zur 9. Schulstufe angeboten.

Bleibt die andere Form der Ganztagsschule erhalten und dürfen die Lehrer darüber weiter entscheiden?

Es gibt bei den Ganztagsformen die Angebote: Unterricht mit Hort; Unterricht mit Lehrerstunden am Nachmittag und neu die verschränkte Form der Ganztagsschule. Bei den bereits bestehenden Formen bleibt alles, wie es ist: Der Schulgemeinschaftsausschuss stimmt darüber ab. Für den Ausbau aller drei Formen stehen für die nächsten fünf Jahre insgesamt 400 (von den genannten 750, Anm.) Millionen Euro zur Verfügung.

Heißt das, dass sich die SPÖ nach fast 100 Jahren - Stichwort Otto Glöckel - endgültig von der Gesamtschule verabschiedet hat?

Die Volksschule ist eine gemeinsame Schule und die Neue Mittelschule (NMS) ist so etwas wie eine gemeinsame Schule. Dort sollen ja Volksschul- und AHS-Pädagogen verschränkt wirken. Leider sind derzeit nur elf AHS eine NMS geworden, die AHS sind da noch zu zögerlich. Ich werde mich sehr dafür einsetzen, vermehrt AHS-Unterstufen für die NMS zu gewinnen.

Damit wird den Kindern auch viel mehr ermöglicht: Es gibt mehr Pädagogen, es gibt Teamteaching, der Unterricht wird individueller. Je individueller die Kinder betreut sind, desto besser. Wichtig ist, dass die Kinder mit 14 fit genug sind, um über ihren weiteren Weg zu entscheiden: Lehre, AHS, BMS oder BHS.

Wird es eine mittlere Reife geben?

Nein. Was es aber schon ab der 5. bis zur 8. Schulstufe geben wird, ist eine Bildungswegorientierung. Jede Schule kann autonom darüber entscheiden, ob das im Rahmen einer Projektwoche oder in einer wöchentlichen Stunde gemacht werden soll.

Apropos autonom. Wie autonom werden die Schulen, dürfen Direktoren ihre Lehrer künftig aussuchen?

Schulleiter sollen mitreden können, aber eine ganz freie Wahl wird es nicht geben. Wenn sich etwa 80 Lehrer bewerben, aber nur drei genommen werden, soll der Schulleiter ein Mitspracherecht haben. Also Mitsprache ja, aber im Rahmen der Gegebenheiten. Den Rahmen geben wir vor, aber innerhalb dieses Rahmens kann sich Schule frei bewegen. Wo Schulen aber autonom sind, ist bei der Definition von Schulzielen, bei Stundenkontingenten, sie können auch die 50-Minuten-Stunden abschaffen und eigene Fächer kreieren.

Diese Auflösung der 50-Minuten-Stunden und der neue Unterricht fordern - wie viele Bildungsforscher sagen - auch ein anderes Dienstrecht, nämlich ein Jahresarbeitszeitmodell. Wobei aber nicht jenes gemeint ist, das Pflichtschullehrer derzeit haben. Warum wurde das Lehrerdienstrecht jetzt so rasch durchgepeitscht und gibt es noch Änderungsmöglichkeiten?

Alle wollten, dass diese unendliche Geschichte eine endliche wird. Bereits 2001 hat Elisabeth Gehrer die Verhandlungen darüber begonnen, diese aber 2003/04 wieder abgebrochen. Alle wollten ein neues Beamtendienstrecht, aber das wäre finanziell nicht machbar gewesen. Jetzt haben wir für die größte Gruppe im öffentlichen Dienst - die 120.000 Lehrer - ein neues Dienstrecht. Ich freue mich über den Beschluss, gemeinsam mit der neuen Lehrerausbildung ist das ein Systemwechsel.

Was planen Sie in der Frauenpolitik?

Die Frage ist, wie können wir Frauen auf dem Arbeitsmarkt so gut stellen, dass sie ein eigenständiges Leben führen können. Das betrifft die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber wir haben auch 50 Prozent des AMS-Budgets für Frauen reserviert. Arbeitnehmerinnen in Teilzeit müssen über Vollzeit-Jobs informiert werden, wenn diese frei werden.

Wir wollen die Transparenz beim Gehalt weiterentwickeln. Da werde mich mit den Sozialpartnern zusammensetzen, damit auch Unternehmen, die weniger als 150.000 Mitarbeiter beschäftigen, die Gehälter offen legen müssen. Und: Nicht nur die Betriebsräte sollen Gehälter einsehen können.

Aber auch Gesundheit und Sexismus in der Werbung sind Themen, und Unterhalt: Hier wollen wir den Regelbedarf erhöhen und sicherstellen, dass regelmäßig gezahlt wird.



Aus der Abschaffung des Frauenministeriums könnte man schließen, es brauche keine Frauenpolitik mehr.

Das Frauenministerium war nie eigenständig, sondern im Bundeskanzleramt. Ich habe dieselben Kompetenzen wie vorher. Ich halte die Kombination Bildung und Frauen für hervorragend. Bildung ist ein Zukunftsressort, die Verbindung mit der Frauenpolitik ist eine Traumkombination.



Was sagen Sie dazu, dass die Wissenschaft jetzt im Wirtschaftsministerium angesiedelt ist?

Es ist machbar, weil es schon machbar war. Wenn Reinhold Mitterlehner sagt, er nennt sein Ressort Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, ist das eine Ansage.

Zur Person

Gabriele Heinisch-Hosek

ist Haupt- und Sonderschullehrerin. Bis zuletzt war sie Beamten- und Frauenministerin, nun übernimmt sie zusätzlich zu den Frauenagenden das Unterrichtsministerium. Seit 1999 ist sie Nationalratsabgeordnete, in die Bundesregierung holte sie aber nicht ihr Förderer Alfred Gusenbauer, sondern Werner Faymann. Sie ist mit Walter Heinisch verheiratet, der Amtsleiter in ihrem Geburts- und Wohnort Guntramsdorf ist.