"Wiener Zeitung": Kardinal Christoph Schönborn bezeichnet Sie als "zäh, hochintelligent und sehr menschlich" - wie würden Sie sich selbst charakterisieren?

Michael Landau: Ich glaube, dass ich beharrlich bin, ungeduldig sein kann - mich aber auch freuen kann.

Beharrlichkeit und Ungeduld - genau das, was man in Ihrer Position braucht?

Das ist manchmal notwendig. Dort, wo Menschen durch Menschen Unrecht geschieht, mit Beharrlichkeit darauf hinzuweisen und dort, wo etwas änderbar ist, Änderung einzufordern. Das gehört zu den Caritas-Aufgaben.

Sie sind promovierter Biochemiker. Wie findet man gerade als Naturwissenschafter den Weg zum Glauben - und zwar so sehr, dass man beschließt, Priester zu werden?

Die Frage, ob ich Priester werden soll, wurde mir im Laufe meines Studiums deutlicher. Anfangs dachte ich: blöde Idee. Irgendwann fragt man sich dann: Warum eigentlich nicht? Im Zuge des darüber Nachdenkens habe ich begonnen, Theologie zu studieren - zunächst mit der Voreingenommenheit eines Naturwissenschafters, dass das Theologiestudium eigentlich kein richtiges Studium ist. Wider Erwarten war es interessant und spannend. So bin ich nach Abschluss meines Doktorates in Biochemie ins Wiener Priesterseminar eingetreten.

War es für Sie von Anfang an klar, dass es der Weg der Caritas werden würde?

Nein, das war unerwartet. Eine spannende Überraschung. Heute bin ich darüber froh und dankbar.

Im November haben Sie das Amt von Franz Küberl übernommen. Worin unterscheiden Sie sich von ihm - und worin wollen Sie sich nicht unterscheiden?

Ich glaube, dass uns der Kernauftrag verbindet: die konkrete Hilfe für konkrete Menschen, die Aufmerksamkeit an den Rändern der Gesellschaft und an den Rändern des Lebens. Caritas heißt ja: Not sehen und handeln. In einem zusammenwachsenden Europa, in einer kleiner werdenden Welt stellen sich da auch manche Fragen in einer neuen Dringlichkeit.

Welche zum Beispiel?

Die Frage der Entwicklungszusammenarbeit braucht in Österreich mehr Aufmerksamkeit. Ich bin froh, dass das neue Regierungsprogramm hier das Ziel der 0,7 Prozent des BIP bekräftigt und dass es einen entsprechend dotierten Auslandskatastrophenfonds geben soll. Entscheidend wird aber sein, ob die Dinge das Papier wert sind, auf dem sie stehen.

Das Regierungsprogramm lohnt einen zweiten Blick und ist besser als sein Ruf. Aber aus unserer Sicht ist der Finanzierungsvorbehalt, der über allem schwebt, ein problematischer Punkt. Die Budgets 2014 und 2015 werden der Elchtest dafür sein, ob es der Regierung mit ihren Zielen ernst ist. Wollen wir im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit aus Gründen der internationalen Solidarität Akzente setzen oder wird Österreich bei der Entwicklungszusammenarbeit mit wenigen anderen Ländern weiter um die rote Laterne in der EU rittern?

Mit Sebastian Kurz ist ein sehr junger Minister dafür zuständig. Ist das ein Vorteil oder ein Nachteil?

Zunächst interessiert uns nicht das Alter eines Regierungsmitglieds, sondern was er tut und wofür er einsteht. Älter wird er von alleine. Aus meiner Sicht hat er als Integrationsstaatssekretär gute Arbeit geleistet, aber zählen wird die Praxis. Aber mit den bisherigen Erfahrungen bin ich positiv voreingenommen.

Der neue Papst predigt die Armut der Kirche und eine Kirche der Armen. Erleichtert das die Arbeit der Caritas?

Wer sich das letzte päpstliche Rundschreiben "Evangelium Gaudii" durchliest, erkennt hier eine neue und sehr mutige Handschrift. Ein Bild einer Kirche, das ganz tief im Evangelium verwurzelt ist. Die Kirche gehört an die Seite der Armen. Hier deckt sich das Wort auch mit dem praktischen Tun, wenn etwa Papst Franziskus nach Lampedusa reist und daran erinnert, dass es eine Schande für Europa ist, wenn hier Jahr für Jahr Menschen vor den Toren Europas ertrinken. Er äußert sich auch erstaunlich kritisch zu einer Wirtschaft, die den Menschen aus dem Blick verloren hat.

Und wie wirkt sich das aus?

Ich sehe, dass sich die öffentliche Diskussion hier um ein Stück in einer guten Weise verschoben hat. Es wurde deutlicher, dass Glaube und Leben zusammengehören. Die Achtsamkeit, die wir einander erweisen, die Behutsamkeit, wie wir miteinander umgehen - das sind die Dinge, die am Ende zählen. Nicht das Bankkonto oder die gesellschaftlichen Titel.

Österreich ist laut neuesten Zahlen das zweitreichste Land der EU. Man könnte glauben, als Armutsbekämpfer hält sich die Arbeit da in Grenzen. Wohl ein Trugschluss.

Ich freue mich, dass Österreich gut da steht. Aber genau deshalb dürfen wir uns nicht damit abfinden, dass es in unserem Land mehr als eine Million Menschen gibt, die armutsgefährdet sind, und 300.000 in Wohnungen leben, die sie nicht angemessen warmhalten können. Eben weil es uns gut geht, haben wir Verantwortung für die, denen es nicht so gut geht. Wir können Armut und Ausgrenzung wirksam begrenzen, wenn wir wirklich wollen.

An welchen Schrauben muss gedreht werden? Müsste da etwa die Gemeinde Wien als Eigentümerin der Wien Energie tätig werden?