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Mein Sohn, der Salafist

Von Mona El Khalaf

Politik

Einrichtung einer Ombudsstelle in Österreich für 2014 geplant.


Wien. Wenn Ahmad Mansours Telefon klingelt, geht es um alles: Andreas isst plötzlich kein Schweinefleisch mehr. Er will auch nicht mehr Weihnachten feiern, Alkohol trinken oder seinen weiblichen Verwandten die Hand geben. Seinen deutschen Vornamen hat er abgelegt, ebenso wie seine Jeans, die er durch eine lange Baumwollhose ersetzt hat.

"Meistens rufen mich die Mütter an. Die Väter spielen zu diesem Zeitpunkt meistens schon keine Rolle mehr in der Familie", sagt Mansour. Der israelisch-palästinensische Psychologe arbeitet bei der Berliner Beratungsstelle "Hayat". Es ist die letzte Anlaufstelle für Eltern, deren Kinder Gefahr laufen, in den Salafismus abzugleiten - oder bereits abgeglitten sind.

Eltern fühlen sich von ihren Kindern gekränkt

Der Salafismus ist eine radikale Strömung innerhalb des Islams. Seine Anhänger berufen sich auf die Zeit des Propheten Mohammed, interpretieren den Koran wortwörtlich und nehmen ihn als Leitfaden für alle Lebensbereiche. Sie streben einen Gottesstaat an, in dem ein islamisches Rechtssystem, gilt - und sie lehnen jegliche Lebensweise ab, die dem Westen zugeschrieben wird.

So viel zur Theorie. Mansour kennt die Praxis. Wer mit ihm spricht, der kann viel lernen über die Radikalisierungsprozesse - und wie sie in den Familien Betroffener ablaufen. Seit zwei Jahren gibt es die Beratungsstelle "Hayat" (arabisch für "Leben"). Eltern, die sich bei "Hayat" melden, haben nicht nur Angst um ihre Kinder. In der Regel fühlen sie sich tief von ihnen gekränkt, weil sie von ihren eigenen Kindern abgelehnt werden. Sie reagieren darauf, indem sie den neuen Glauben ihrer Kinder abwerten, drohen sogar mit dem Abbruch der Beziehung. Die Kinder wiederum sind meist seit Jahren unglücklich und frustriert, sie kämpfen um gesellschaftliche Anerkennung und Zuwendung und vermissen oftmals eine Vaterfigur. All dies finden sie in der schwarz-weiß gestrickten Welt der Salafisten. Übrigens betrifft das nicht nur die Söhne der verängstigten und wütenden Eltern, sagt Mansour, dessen Beratungsstelle mit dem deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zusammenarbeitet: In rund einem Drittel der Fälle sind auch Töchter betroffen.

Die Beratungstätigkeit von Hayat gliedert sich in zwei Teile: in die psychosoziale Betreuung der Eltern und in den Deradikalisierungsprozess ihrer Kinder. Bei ihnen wird laut Mansour eine indirekte Strategie verfolgt: Man versucht über die Mutter an die gefährdete Person heranzukommen. Der Aufbau eines stabilen Vertrauensverhältnisses, in dem der Lebenswandel des Kindes auf Verständnis anstatt auf Abwertung stößt, sei der erste Schritt.

"Deshalb ist die Rolle der Mutter sehr wichtig", erklärt Mansour: "Wenn das Kind konvertiert und kein Weihnachten mehr feiert, fünf Mal am Tag beten oder kein Schweinefleisch mehr essen möchte, sollte das respektiert werden", erklärt Mansour. "Die Mütter müssen wieder eine Vertrauensperson für das Kind werden und das erreichen sie nicht durch Abwertung. Unter Zwang wird sich der Jugendliche noch mehr von ihnen entfernen."

Lediglich konvertiert oder radikalisiert?

Erst wenn eine Gesprächsbasis zwischen Mutter und Kind existiert, kann die eigentliche Deradikalisierungsarbeit beginnen: Die Bedürfnisse des Kindes und die Gründe für die Anziehungskraft der radikalen Szene müssen geklärt werden. Über Fragen gilt es herauszufinden, in welche Moschee das Kind geht, mit welchen anderen Jugendlichen es um die Häuser zieht oder welcher Facebook-Gruppe es angehört. "Dadurch können wir feststellen, ob der Jugendliche tatsächlich in die Radikalisierung abgleitet oder einfach nur zum Islam konvertiert ist und sich einer gemäßigten Gruppe angeschlossen hat", sagt Mansour. Liegt tatsächlich der Fall einer Radikalisierung vor, wird im nächsten Schritt versucht, durch alternative Angebote die Bedeutung der radikalen Gruppe für den Jugendlichen abzuschwächen und den kritischen Geist des Sohnes oder der Tochter zu wecken: "Etwa wenn der Sohn ins Ausland reisen möchte, in ein Ausbildungslager oder in den bewaffneten Jihad, kann die Mutter ihn dazu motivieren, das infrage zu stellen", erklärt Mansour. "In extremen Fällen legen wir den Betroffenen auch einen Wohnortwechsel nahe, um das Kind so aus seinem Netz zu lösen."

Insgesamt dauere eine Deradikalisierung sehr lange, in manchen Fällen über ein Jahr. Neben der Herstellung eines stabilen Umfeldes bindet man möglichst alle sozialen Strukturen des Kindes in die Arbeit mit ein: Freunde, Sozialarbeiter, die Schule und den Imam der vom Kind besuchten Moschee - falls es eine besucht. "Man macht sehr kleine Schritte in diesem Prozess: Wenn ein Kind beispielsweise von selbst wieder den Kontakt zu den Eltern sucht, ist das ein Fortschritt", erklärt Mansour. Ein Abbrechen der Mutter-Kind- oder Eltern-Kind-Beziehung käme jedenfalls dem Wegwerfen eines Schlüssels gleich - und mache eine Deradikalisierungsarbeit damit beinahe unmöglich.

Beratungsstelle in Österreich notwendig

Eine Beratungsstelle wie "Hayat" wird auch in Österreich von Experten seit Jahren gefordert: "Da sich in den vergangenen Jahren immer mehr Angehörige mit mir in Verbindung gesetzt haben, versuche ich selbst immer wieder ehrenamtlich zu beraten", sagt der Politikwissenschafter Thomas Schmidinger, der zahlreiche Werke zum Thema "Politischer Islam" geschrieben hat. "Ich versuche, die Angehörigen zumindest für eine Selbsthilfegruppe zu vernetzen. Das kann aber keine professionelle Beratungsstelle ersetzen", sagt er.

Im Innenministerium (BMI) ist die Einrichtung einer Ombudsstelle für Betroffene in Österreich bereits seit Monaten im Gespräch. Die Vorbereitungen laufen und in diesem Jahr soll die Einrichtung mit bundesweit tätigen Präventionsbeamten in Betrieb genommen werden - das sagt Innenministeriums-Sprecher Karl-Heinz Grundböck im Gespräch mit der "Wiener Zeitung."

So soll die Stelle in der dem BMI unterstellten Generaldirektion für Öffentliche Sicherheit angesiedelt werden. Experten wie Schmidinger oder der deutsche Experte Mansour warnen aber genau davor. Sicherheitsbehörden und Deradikalisierungsarbeit müssten in voneinander getrennten Strukturen stattfinden.

Experten müssen von Politik unabhängig sein

"Wenn man so etwas macht, dann benötigt man nicht nur Profis, sondern eine möglichst große Unabhängigkeit von Politik und islamischer Glaubensgemeinschaft", sagt Schmidinger. Beides sei angesichts der aktuellen Pläne des BMI nicht gewährleistet. Sein Vorschlag zur Einrichtung einer Beratungsstelle ähnelt dem Konzept der Berliner Beratungsstelle "Hayat": Neben einer ausreichenden Finanzierung von staatlicher Seite brauche das Team einerseits eine Expertise zu radikalisierten Strömungen des Politischen Islam, andererseits aber auch mehrsprachige psychologisch und sozial geschulte Beratung.

Mansours Erfahrung zeigt, dass die Verschränkung von Beratungsstelle und Sicherheitsbehörden nicht zielführend ist: "Eine Beratungsstelle für Aussteiger namens 'Hatif' war beim Verfassungsschutz angesiedelt. Damals gab es kaum Anrufe", erzählt er. Die sicherheitsbehördliche Anbindung habe viele der verängstigten oder beschämten Eltern davon abgehalten, sich frühzeitig zu erkundigen. "Seit wir mit Hayat im deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angesiedelt sind, klingelt viel öfter das Telefon."

Der Salafismus ist eine ultrakonservative Strömung innerhalb des Islams. Seine Anhänger möchten eine Gesellschaft errichten, die der islamischen Urgemeinde zur Zeit des Propheten Mohammed entsprechen soll.

Sie interpretieren den Koran wortwörtlich und streben einen Gottesstaat an, in dem das islamische Rechtssystem gelten soll. Experten unterscheiden zwischen puristischem Salafismus, der sich ausschließlich auf den privaten Lebensbereich beschränkt, und politischen Salafismus, der darüber hinausgeht. Außerdem gibt es auch noch den jihadistischen Salafismus, der auch den "Heiligen Krieg" gegen Ungläubige legitimiert. In seiner aktuellen Studie zum Thema "Politischer Islam in Österreich" beschreibt der Politologe Thomas Schmidinger, dass salafistische Gruppen in Österreich ein relativ junges Phänomen sind. Seit knapp vier Jahren finden immer mehr junge Männer, aber auch Frauen hierzulande Gefallen an der salafistischen Ideologie.