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"Es geht um die Basisbildung"

Von Bettina Figl

Politik

Für Demografie-Experten Lutz spielt Bildung große Rolle bei Problemlösung.


"Wiener Zeitung": Welche Rolle spielt Bildung bei demografischen Entwicklungen?Wolfgang Lutz: In Entwicklungsländern führt die Alphabetisierung junger Frauen dazu, dass sie sich weniger Kinder wünschen und auch besser Zugang zu Familienplanung finden. Damit sinkt in der Regel die Kindersterblichkeit deutlich. Bei uns in Europa zeigt sich auch, dass Personen mit höherer Bildung eine höhere Lebenserwartung haben. Es werden also sowohl die Geburtenraten und die Sterberaten stark von Bildung beeinflusst.

Welche Rolle spielt Bildung beim Kampf gegen Überbevölkerung, Wirtschaftskrisen und Klimawandel?

Die Menschen müssen unterstützt werden, sich selbst und anderen zu helfen. Dabei spielt Bildung die ganz zentrale Rolle. Aber natürlich gehören auch Gesundheit oder soziale Netzwerke dazu. Bei der Bildung geht es in erster Linie um universelle Basisbildung. Jeder junge Mensch sollte zumindest bis 15 oder besser bis 18 Jahre eine Schule besuchen und dann kompetent lesen, schreiben und rechnen können und auch etwas über die Welt wissen. Auch in Österreich sind wir da noch nicht angekommen. Der Pisa-Test zeigt, dass rund jeder vierte junge Mann nicht sinnerfassend lesen kann.

Ausbildung verringert Armut, aber stärkt sie auch die Demokratie?

Ich halte nicht viel von dieser künstlichen Unterscheidung zwischen Bildung und Ausbildung. In beiden Fällen geht es um das Erwerben von mentalen Kompetenzen, die dazu befähigen, einen guten Job zu bekommen, gesund zu leben, die persönlichen Beziehungen besser zu gestalten und natürlich auch kritisch die politischen Verhältnisse zu betrachten. Unsere Studien zeigen ganz klar, dass in Ländern, in denen mehr Menschen Matura haben, die Wahrscheinlichkeit von echten Demokratien zunimmt. Es braucht für eine moderne Demokratie eine kritische Masse gebildeter Menschen.

Inwiefern geht ein höherer Bildungsgrad mit höherem Schadstoffausstoß oder Fleischkonsum einher?

Bildung ist einer der wichtigsten Faktoren, um der Armut zu entkommen, er führt auch bei uns in der Regel zu einem höheren Einkommen. Das ist ja erwünscht. Gleichzeitig führt aber höheres Einkommen auch zu mehr Konsum. Und wer mehr konsumiert, trägt in der Regel auch mehr zu den Umweltproblemen bei. Aber das muss nicht notwendigerweise so sein. Wenn sich gleichzeitig die Präferenzen ändern, dann wird vielleicht umweltfreundlicher konsumiert.

Wächst mit dem Bildungsstatus auch das Umweltbewusstsein oder ist das kulturell bedingt?

Es gibt tatsächliche etliche Studien, die zeigen, dass besser gebildete Menschen geistig flexibler sind und eher bereit sind, ihre Konsummuster zu ändern. Das gilt etwa für die Bereitschaft, auf Öffis umzusteigen. Gleichzeitig können wir nicht erwarten, dass dieser Wertewandel von heute auf morgen passiert. Gerade in den Ländern Ostasiens, die noch vor einigen Jahrzehnten sehr arm waren und wo die meisten Menschen sich kein Fleisch leisten konnten, gilt dies gerade deshalb als Zeichen von Wohlstand und Erfolg. Und wenn sie dann reicher werden, dann wächst natürlich der Fleischkonsum rapide.

Wie viele Einwohner wird Österreich 2030 haben?

Dank Zuwanderung nimmt die Bevölkerung weiter zu, von derzeit 8,4 Millionen auf vermutlich rund 9 Millionen im Jahr 2030. Es hängt davon ab, wie sich die Wanderung weiterentwickelt. Wien zeigt den stärksten Zuwachs und wird 2030 voraussichtlich zwei Millionen Einwohner haben.

Jedes zweite Kind, das in Wien geboren wird, hat migrantischen Hintergrund. Wie geht das weiter?

Migranten aus weniger entwickelten und daher weniger gebildeten Regionen hatten schon immer höhere Geburtenraten. Das war schon in der Monarchie so. Die zweite Generation ist in ihrem Verhalten dann schon deutlich weniger unterschiedlich. Und in der dritten Generation sind die Geburtenraten dann oft schon ganz gleich. Momentan sind die meisten Zuwanderer Deutsche.

Was kann man gegen die großen weltweiten Unterschiede bei der Geburtenrate tun?

Diese sind Folge dessen, dass die Gesellschaften in unterschiedlichen Phasen des sogenannten demografischen Übergangs sind. Zuerst sinken die Sterberaten und dann mit einer Verzögerung die Geburtenraten. Bei uns lief dieser Prozess im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ab; in Ostasien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und Afrika ist mitten drin. Der Rückgang der Geburtenraten kann durch Bildung der Mädchen in Kombinaten mit
(rein freiwilliger) Familienplanung deutlich beschleunigt werden.

Besser gebildete Frauen haben weniger Kinder, als sie es sich eigentlich wünschen - warum?

Weil Beruf und Familie nicht gut vereinbar sind. Daraus ergibt sich eine ganz klare Forderung an die Politik, die auch die Männer miteinbeziehen muss. Der Blick nach Nordeuropa zeigt klar, dass bessere Vereinbarkeit und mehr Einbindung der Männer es jungen Paaren besser ermöglicht, ihren Kinderwunsch zu erfüllen.

Wolfgang Lutz

Jahrgang 1956, ist Demografie-Experte des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse, Direktor des Instituts für Demografie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Professor für Sozialstatistik an der Wirtschaftsuniversität Wien und Wittgenstein-Preisträger.