Zum Hauptinhalt springen

Neda und die Spaghetti-Mädchen

Von Momcilo Nikolic

Politik

Mit Torten für homosexuelle Paare gegen Klischees und Rollenbilder.


Wien. Der windige Frühabend im Innenhof des Wiener WUK stellt einen kleinen Gegensatz zur stillen Ausstrahlung dar, die von Neda Nikolic ausgeht. Mit beinahe verletzlicher Stimme erzählt die 26-Jährige von ihren Projekten. Eines davon ist "Spaghetti-Girl". Es ist eine 24 Meter lange Papierkette, geschnitten in der Form von kleinen Mädchenkörpern, die an der Wand hängen und trockene Nudeln halten. Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs "Spaghetti-Girls" bezieht sich auf Mädchen, die von ihrer Bisexualität nichts ahnen, bis sie die gleichgeschlechtliche Zweisamkeit mit einer Partnerin ausprobieren, erklärt Nikolic. Sie will mit ihrer Kunst Akzente setzen gegen diverse Geschlechterrollen. "Das übliche Bild ist, dass Mädchen kochen und über Jungs reden. Sie sind fragil, verändern sich aber wie Spaghetti beim Kochen. Sie können mehr als nur Ernährerinnen sein", erklärt die Künstlerin ihre Idee.

Torten mit Männernund Ablaufdatum

Nahrung spielte bereits in ihren Werken in Serbien eine große Rolle. "Ich habe damals viele Bilder mit einem Hochzeitsbezug gemalt. Es waren Hochzeitstorten in erster Linie, mit zwei Ehemännern oder zwei Ehefrauen oben drauf. In Serbien haben homosexuelle Menschen sehr wenig Rechte und sie dürfen nicht heiraten. Ich wollte zeigen, dass es bei diesem Thema auch andere Ansichten gibt", sagt Nikolic und fügt hinzu: "Torten haben ein Ablaufdatum, sie verändern sich mit der Zeit und können auseinanderfallen. Wie eine wunderschöne Ehe."

Eines von Nikolic gewagtesten Kunstprojekten war "Last Call" in der Kunstzelle im Innenhof des WUK in der Währinger Straße. Die Kunstzelle ist eine ehemalige Telefonhütte, die unter der Leitung von Christine Baumann als Ausstellungsraum genutzt wird. Die Zelle war für "Last Call", eines der Siegerprojekte im Wettbewerb der Klasse "TransArts" an der Universität für Angewandte Kunst, ganz in Schwarz gehalten. Innen fand der Besucher einen intimen und lichten Ort vor. Wassertropfen fielen zu Boden und symbolisierten so die ablaufende Zeit eines Menschenlebens. Auf einem Aushang stand geschrieben: "Facebook will miss you".

"Ja, wenn du das soziale Netzwerk verlässt, ist es so, als ob du aufhörst zu existieren. Insgesamt ging es aber darum, dass die Leute anrufen und ihre letzten Gedanken, wie vor einem Selbstmord, loswerden", erklärt Nikolic ihr Projekt.

Psychologische Erlösung durch Telefonate

Im Mai 2013 konnten Besucher der Zelle jeden Freitag zwischen sieben und acht Uhr das installierte Mobiltelefon in die Hand nehmen und direkt mit der Künstlerin auf der anderen Seite der Leitung reden. Da die Themenwahl ganz dem Anrufer oblag, wurde jenem ein gewisses Verantwortungsgefühl überlassen, den Weg des Gesprächs zu bestimmen, aber vor allem im größeren Rahmen, dem Projekt "Last Call" durch sein Verhalten eine Bedeutung zu geben. "Ich wollte, dass sie sich wohlfühlen und darüber reden, wie es ihnen geht", erläutert die junge Künstlerin die Bedeutung der schwarzen Zelle. Die Erfahrungen von "Last Call" waren sehr positiv. Die Anrufer, die ohne es zu wissen aus dem Innenhof des WUK direkt mit Nikolic im WUK-Büro sprachen, waren ehrlich und erzählten darüber, wie sie sich fühlten. Andere wiederum waren einfach an der Künstlerin selbst interessiert oder belebten das Telefonat durch deren humorvolle Art.

"Die meisten waren wirklich sehr offen, aber das passiert mir öfters. Ich glaube, das ist meine Attitüde. So wirke ich auf fremde Menschen", sagt Nikolic über sich selbst und gibt zugleich zu, erleichtert gewesen zu sein: "Diese Reaktionen darauf waren wie eine kleine psychologische Erlösung. Ich habe mir natürlich überlegt, dass etwas schiefgehen könnte, aber es hat sich als grundlegend positiv erwiesen."

Der rote Glasschuh, den Nikolic zuletzt erschaffen hat, erzählt wiederum von einer etwas anderen Geschichte Aschenputtels. Die berühmte Mädchenfigur, erschaffen von den Gebrüdern Grimm, wird von Nikolic als promiskuitiv gesehen. Sie ist kein Mauerblümchen und denkt nur ans Geld und an Männer. Nikolic kritisiert in dieser Allegorie hierbei die Gruppe von Mädchen, die nach Wien kommen und darauf hoffen, einen reichen Mann zu finden, und somit eine Frauenrolle bedienen, die laut der Künstlerin nicht mehr zeitgemäß ist.

Babyfiguren aus Keramik frei zum Abschuss

Sie selbst kam vor rund eineinhalb Jahren nach Wien und mochte es nicht. "Es war grau und kalt. Ich hatte lange Zeit auch nur einen einzigen Freund", schildert die 26-jährige Serbin ihre ersten Wochen hier. "Es war anfangs wie ein Schock. Hier war alles so offen, während ich selbst es nicht wahr. Ich habe aber bald realisiert, dass ich auch ein Teil der Gesellschaft sein kann, wie die anderen Studenten auf der Angewandten es auch sind", reflektiert Nikolic. Die Leute seien in Österreich introvertierte als in ihrer Heimat, was ein Mitgrund gewesen sein könnte, dass sie anfangs Schwierigkeiten hatte, Freunde zu finden. "Hier sind alle Dinge ernster, dafür kann man sich aber auch mehr auf die Leute verlassen. Sie halten ihre Versprechen", fasst sie ihre bisherigen Eindrücke zusammen.

Nach der ersten Eingewöhnungsphase fasste sie aber schnell in der heimischen Szene Fuß und empfindet Wien nun als eine Stadt der Kunst: "Jeden Tag passiert etwas. Es gibt Happenings und man kann sagen, dass Wien eine gute Stadt für die Jugend ist. Es steht für mich repräsentativ für Europa."

Ihre nächsten Werke sollen ebenfalls einen öffentlichen Raum bekommen und irgendwo in der Stadt ausgestellt werden. Nikolic erzählt von Babyfiguren aus Keramik, die sich mechanisch so bewegen wie die Enten, die man auf einem Karneval mit einem Gewehr abschießen kann. Die Bedeutung dieses Projekts bleibt dem Betrachter überlassen, gewiss scheint aber, dass die Werke und Gedanken von Neda Nikolic selten eindimensional sind. Wo genau diese Installation stehen soll, weiß sie noch nicht, kann sich aber den Vergnügungspark Prater als passenden Standort vorstellen.

Der Autor dieses Artikels ist nicht mit der Künstlerin verwandt.

Zur Person



Neda Nikolic, geboren in Leskovac, absolvierte in Belgrad ihr Studium an der Fakultät der Feinen Künste und studiert derzeit an der Akademie der Angewandten Künste in Wien.