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Ökonomische Ressource: Frau

Von Momcilo Nikolic

Politik

Auch männliche Role Models werden in den Projekten eingesetzt - mit Erfolg.


Wien. Zu Jahresbeginn hat die Volkshilfe Österreich, gemeinsam mit der Austrian Development Agency (ADA), ein dreijähriges Ausbildungs- und Beschäftigungsprogramm in Serbien, Albanien und im Kosovo namens "Seed" gestartet. Nina Hechenberger, zuständig für die Internationale Zusammenarbeit, berichtet im Gespräch über ihre bisherigen Erfahrungen und über gravierende Probleme für Jugendliche und Frauen am Westbalkan.

Gemeinsam mit "Novi Sad Humanitarian ski Centar" (NSHC) in Serbien, "Syri i Vizionit" (SiV) im Kosovo und dem "Community Development Center Today for the Future" (CDC-TFF) in Albanien arbeitet die Volkshilfe an Ausbildungsmaßnahmen für Frauen und Jugendliche.

Eines der Ziele ist es, ein Bewusstsein für Frauenrechte zu schaffen. So dominieren vielerorts rollenspezifische Klischees, die ein ökonomisches Vorankommen dieser Staaten lähmen. Ein Beispiel: "Während in Österreich der Tourismusbereich weiblich ist, sitzen in der Tourismusschule in Dukagjin im Kosovo 295 Schüler, davon sind nur fünf weiblich. Auf Nachfrage haben mir die Partner vor Ort die Gründe dafür genannt. Im Kosovo wird eine Frau, die hinter der Bar steht, als Prostituierte gesehen. Dabei wäre die Tourismusbranche gerade für Frauen wegen der flexibleren Zeiteinteilung ein guter Bereich um zu arbeiten", meint Hechenberger.

Länder sollten das Gender-Einmaleins können

"Vor dem Gesetz sind Männer und Frauen in diesen Ländern gleich, de facto sieht es aber anders aus. Es beginnt schon beim Erben, bei dem der Sohn Haus und Grund bekommt und die Töchter ,freiwillig‘ darauf verzichten müssen. Sie unterschreiben dann die offizielle Verzichtserklärung. Weigern sie sich das zu tun, sind sie bei der Familie unten durch", erklärt Hechenberger. Dadurch fällt es den Frauen auch schwerer Kredite aufzunehmen, da sie ohne Erbschaft nichts haben, was sie belasten könnten. "So können sie kaum etwas aufbauen, geschweige denn ein eigenes Unternehmen gründen. Das steigert die Abhängigkeit vom Einkommen des Mannes, der dann aber auch ganz alleine dem Druck, das Überleben zu sichern, ausgeliefert ist. Meist müssen sich Alleinversorger eine zweite Beschäftigung suchen", berichtet Hechenberger. Und hier will "Seed" ansetzen: beim simplen Gender-Einmaleins.

Theoretisch müssten die betroffenen Länder dieses Einmaleins beherrschen. Die albanische Regierung hat im Juli 2012 einen Beschluss verabschiedet, den Staatshaushalt nach den Prinzipien des "Gender-Budgeting" (Vereinigung von Gender-Zielen mit Finanzplänen) zu gestalten. Serbien hat im Dezember 2009 das Gleichstellungsgesetz beschlossen. Im Zuge des EU-Erweiterungsprozesses führen beide Länder ein "Gender-Budgeting" - in der Theorie, realpolitische Aktionen bleiben hingegen aus. Was benötigt wird, wird nicht gefragt. Frauen in den Arbeitsmarkt stärker einzubinden, erfordert unter anderem die Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen und mobiler Krankenpflege, meint Hechenberger. "All das funktioniert nur, wenn man mit lokalen Behörden zusammenarbeitet. Leider haben die Bürgermeister, mit denen wir kooperieren, oft nicht das nötige Budget, um unsere Vorschläge zu entwickeln. In Serbien beispielsweise sitzt das wahre Geldmanagement in Belgrad. Da dienen wir oft als Steigbügelhalter, damit die betroffenen Regionen in der Verwaltung Gehör finden. Und das soll auch so sein", erklärt Hechenberger.

Auch der Kampf gegen Gewalt an Frauen spielt bei "Seed" eine tragende Rolle. Ein Beispiel aus der Volkshilfe zeigt, welche Form die Abhängigkeit vom Partner annehmen kann: Ardita ist 35 Jahre alt. Ihr Leben in Albanien war die meiste Zeit von häuslicher Gewalt geprägt, sodass sie beinahe den Willen zu Leben verloren hätte. Die Schläge begannen im zweiten Ehejahr. Sowohl die Eifersucht des Ehemannes, sein niedriges Gehalt als auch schwere wirtschaftliche Zeiten führten dazu, dass Ardita keinen Job fand und bald das Haus nicht mehr verlassen durfte. "Ich habe die Gewalt meines Mannes sehr lange ausgehalten. Er hat mich erniedrigt und mich mit allem, was er so greifen konnte, geschlagen. Es war ein nie endenwollender Alptraum", sagt Ardita. Mit Hilfe des Volkshilfe-Programms "CDC" (Community Development Center), das in fünf Gemeinden im Norden Albaniens und in der Kleinstadt Puka etabliert wurde, konnte die mittlerweile geschiedene Ardita der Gewalt entkommen. Nach einer Ausbildung zur Friseurin ist die 35-Jährige nun in einem Schönheitssalon tätig und hat eine einjährige Therapie hinter sich, die sie langsam die Qualen ihrer Ehe vergessen lässt. Arditas Geschichte ist aber nur eine von vielen aktuellen, in denen Frauen ohne eigenes Einkommen und Chancen auf Arbeit, der Gewaltspirale des Partners ausgesetzt sind.

Je mehr sich die Frau in die Abhängigkeit des Mannes begibt, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass sie als Opfer von Gewalt dagegen vorgeht, meint Hechenberger: "All unsere Mühen funktionieren nur, wenn man Männer mit an Bord nimmt", sagt Hechenberger und erinnert sich hierbei an ein früheres Projekt der Volkshilfe. Damals hat man mit männlichen Role Models gearbeitet, die den Frauen ein anderes Männerbild zeigen und vorleben: "Wo Frauen in den Haushalt des Mannes kommen, ist es teilweise ganz normal, verprügelt zu werden. Gewalt, egal ob vom Vater, Ehemann oder der Schwiegermutter, hat dazugehört. Die Frau wird als Arbeitsmittel gesehen und je jünger sie ist, desto niedriger ist auch der Brautpreis, weil sie schlechter arbeiten kann. So ist das Bild. Die männlichen Role Models mussten den Opfern erst klarmachen, dass ihr Körper ihnen gehört und sie zu bestimmen haben, wer ihn berühren darf."

"Wenn du deine Frau nicht schlägst..."

Auch das Gespräch mit jenen Männern, die ihre Frauen schlugen, wurde von den Role Models übernommen. "So seltsam es klingt, aber den Tätern die Vorteile aufzuzählen, die sie hätten, wenn sie ihre Frauen nicht schlagen würden, hat Erfolg gehabt. Es war eine ganz einfache Sache. Die männlichen Vorbilder haben gesagt, wenn du deine Frau nicht schlägst, dann kann sie 15 Meter mehr Boden bearbeiten, weil sie keine Schmerzen hat. Sie wird freundlicher zu dir sein und auch deine Beziehung wird besser werden. Das hat gewirkt", erzählt Hechenberger und verweist noch einmal auf die Wichtigkeit Partnerorganisationen vor Ort und besonders Männer in die Arbeit einzugliedern. "Wenn Männer anderen Männern so etwas erklären, wirkt es gleich anders, als wenn wir mit erhobenem Zeigefinger kommen."

Die Entwickler von "Seed" arbeiten auch mit österreichischen Firmen in den jeweiligen Ländern, denn Österreich zählt zu den Top-Investoren am Balkan (Kosovo: 144 Millionen Euro 2012, Albanien: 288 Millionen Euro im Jahr 2011, Serbien seit dem Jahr 2000 beinahe drei Milliarden Euro).

Inwieweit das mit 950.000 Euro von ADA und 237.500 Euro von der Volkshilfe finanzierte Projekt "Seed", erste Ergebnisse bringe, werde man erst in einem Jahr feststellen können, sagt Hechenberger und fügt hinzu: " Klischees und Rollenbilder aufzubrechen, braucht seine Zeit. Wir wollen aber so bald wie möglich dafür sorgen, dass Jugendliche und Frauen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben."

Die Volkshilfe Österreich wurde als parteiunabhängige und gemeinnützige Wohlfahrtsvereinigung im März 1947 in Wien gegründet.

Heute ist die Volkshilfe in allen österreichischen Bundesländern vertreten und hat rund 9200 Mitarbeiter und weitere 3000 Personen, die ehrenamtlich arbeiten.

Die Austrian Development Agency ist die Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA). Sie ist für die Umsetzung bilateraler Programme und Projekte in den Partnerländern verantwortlich und verwaltet das dafür vorgesehene Budget. Gegründet wurde ADA 2004 und beschäftigt rund 140 Mitarbeiter.