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Warnung vor einer "Pflicht zu leben"

Von Clemens Neuhold

Sterbehilfe
Weitere drei Jahre bleibt die Wiener Juristin Christiane Druml die Vorsitzende der Bioethikkommission.
© Stanislav Jenis

Die wiederbestellte Chefin der Bioethikkommission über Sterbehilfe, schwule Adoptiveltern und Hendln ohne Gene.


"Wiener Zeitung": Der Bundeskanzler hat gesagt, er sei persönlich gegen ein Sterbehilfeverbot in der Verfassung. Trotzdem soll die Bioethikkommission die Frage prüfen. Ist die Kommission ein Verschubbahnhof für Wahlkampfideen?Christiane Druml: Ich sehe uns nicht instrumentalisiert. Das Thema ist geradezu geschaffen für die Bioethikkommission. Wir haben ein Manko an Diskussion über das Thema Sterben, im privaten wie im öffentlichen Bereich. Sterbehilfe oder Euthanasie sind Begriffe, wo jeder auch aus historischen Gründen zurückschreckt.

Muss Österreich bei diesem Thema historisch sensibler sein?

Andere Länder müssen genauso achtsam sein.

Ihrer Empfehlung für die embryonale Stammzellenforschung wurde nicht entsprochen. Gibt es Beispiele, wo die Kommission etwas bewirkt hat?

Nachdem Wissenschaftsminister Hahn nach Brüssel ging, hat sich die Sache mit der Stammzellenforschung nicht weiterentwickelt. Als großen Erfolg sehe ich, dass unsere Stellungnahme zu den gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und dem Kinderwunsch vom Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung seitenweise zitiert wurde.

Waren Sie froh über den Vorstoß von Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP) für ein Recht auf Kinderadoption durch Homosexuelle?

Natürlich ist es wichtig, wenn so ein Thema publikumswirksam angestoßen wird. Für männliche Homosexuelle sollte es das Recht auf Adoption geben. Für die eindeutige Mehrheit der Kommission war es wesentlich, dass das Kind in einer geborgenen Umgebung aufwächst, und die können zwei Männer genauso bieten.

Der Einwand dagegen war, das sei durch Langzeitstudien noch nicht belegt.

Wir haben die Studien, die das belegen, ausreichend gefunden.

Zurück zur Sterbehilfe: Auch Sie sind ganz klar gegen eine Verfassungsregelung. Noch einmal: Wozu die Mühe?

Die Diskussionen sind ergebnisoffen. Ich bin schon der Meinung, dass man die Verpflichtung hat, die Debatte für die Bevölkerung anzubieten. Ich als Juristin halte unabhängig von meiner Weltanschauung eine Verfassungsregelung für nicht sinnvoll. Wir haben strengere Regelungen als in Deutschland, dort ist die Tötung auf Verlangen strafbar, nicht aber die Beihilfe zum Suizid. Ein Verfassungsverbot der Sterbehilfe könnte als eine Pflicht zu leben ausgelegt werden und das kann es nicht sein. Denn wir haben immerhin die Möglichkeit der Patientenverfügung.

Die kaum jemand nutzt ...

Weil wir den Tod wegschieben. Sie gehört aber auch besser beworben.

Kann auch eine Empfehlung pro Verfassungsverbot rauskommen?

Schwer vorstellbar, aber die Gefahr ist gegeben.

Wie politisch ist die Kommission?

Wir sind ein Beratungsgremium des Bundeskanzlers und von ihm ausgewählt. Wir sind aber nicht aus politischen Erwägungen zusammengesetzt, sondern entscheiden entlang bioethischer Prinzipien.

Sind Sie ein religiöser Mensch?

Ich bin Mitglied der katholischen Kirche, kirchlich verheiratet, meine Kinder sind getauft. Ich habe aber natürlich meine eigene Meinung zu gewissen Themen.

Welche Rolle darf Religion in ethischen Fragen spielen?

Ich würde nicht sagen, dass Religion und Ethik eine Einheit bilden, aber auch nicht, dass sie total voneinander getrennt sind. Aber feststeht: Wir sind ein säkularer Staat.

Ich frage deswegen, weil die Forderung nach einem Sterbehilfeverbot eine religiöse Komponente hat. Sie wird nicht nur von der ÖVP, sondern auch von Caritas, der Bischofskonferenz und dem katholischen Familienverband erhoben.

Ich verstehe und respektiere das. Aber wie man am Beispiel des bekennend religiösen Rupprechter sieht, der sich fürs Adoptionsrecht durch Homosexuelle ausspricht, sind die Übergänge fließend. Außerdem befinden sich unter den 25 Mitgliedern der Kommission zwei Geistliche.

So eine Abstimmung kann dann 13 zu 12 ausgehen?

Meist gehen sie einstimmig oder mit großer Mehrheit aus.

Sind die Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes Sterben in Österreich ausreichend?

Wir haben eine sehr bewusste Autonomie am Lebensende mit dem Verbot eigenmächtiger Heilbehandlung, der Patientenverfügung oder der Vorsorgevollmacht. Jeder kann sagen, dass er nicht künstlich am Leben gehalten werden möchte. Jetzt gibt es eine gewisse Gegenbewegung zu dieser Autonomie.

Sie fürchten, dass durch ein Verfassungsverbot der Sterbehilfe diese Möglichkeiten wieder eingeschränkt werden könnten?

Das ist nicht auszuschließen.

Die Neos sind für den assistierten Suizid wie in der Schweiz.

Kommerzielle Möglichkeiten lehne ich ab.

Sie meinen, dass private Firmen das ausführen.

Ja.

Soll assistierter Suizid verboten bleiben oder nicht?

Wir müssen den Mut haben, uns alles anzuschauen. Und dann gibt es von der Kommission ein klares Ja oder Nein.

Würde es für Ärzte nicht einer Pflicht zu Töten entsprechen, wenn ich assistierten Suizid erlaube?

Nein: Eine Beihilfe zum Suizid wäre, wenn ich zu Ihnen komme, im Rollstuhl sitze, meine Arme und Beine nicht bewegen kann und sage, ich möchte sterben. Das kann ich nicht alleine, weil ich nicht einfach die Luft anhalten kann. Da brauche ich jemanden, der mir hilft, mein Leben zu beenden, das zu leben mir vielleicht nicht mehr wert erscheint, weil es mit zu großem Leid einhergeht. In Deutschland findet eine intensive Diskussion dazu statt.

Was halten Sie generell von den umstrittenen Modellen in Holland oder Belgien?

Die Grundsituation ist in allen Ländern anders. In Holland ist die Bindung zum Hausarzt sehr eng. Das wird als einer der Hauptaspekte genannt, dass es überhaupt zu diesen liberalen Gesetzen kam. In Belgien ist die Lage auch nicht so eindeutig, weil das Land in katholische Wallonen und evangelischen Flamen gespalten ist.

62 Prozent der Österreicher sind für Sterbehilfe.

Wie wurde das abgefragt? Die Leute verwechseln viele Dinge. Ich bin deswegen gegen den Begriff Sterbehilfe. Die Bioethikkommission hat 2011 eine Empfehlung zur Terminologie abgegeben: Passive Sterbehilfe sollte man "Sterben zulassen" nennen, "indirekte Sterbehilfe" ist, wenn ich in Kauf nehme, ein Leben durch die Schmerzlinderung um ein paar Stunden oder Tage zu verkürzen. Das sollte man "Sterbebegleitung" nennen.

Wie soll man mit Menschen umgehen, denen sterbebegleitende Maßnahmen nicht reichen, um ihnen unerträgliches Leid zu ersparen?

Das ist eine wichtige Frage. Schmerzen sind mit den heutigen Medikamenten gut zu behandeln. Es geht jedoch um diesen ganz geringen Prozentsatz von Menschen, deren unerträgliches Leid man nicht in den Griff bekommt. Das ist zu diskutieren, wie man mit diesen Menschen umgeht.

Besteht nicht die Gefahr des zunehmenden Sterbetourismus, sollte Österreich in seiner Haltung zur Sterbehilfe rigider bleiben als die anderen Länder in unserer Nachbarschaft?

Das ist ein gewichtiges Thema und muss zentral in der Diskussion behandelt werden.

Ein weiterer Dauerbrenner für die Bioethikkommission ist der Umgang mit Gentechnik: Schränkt sich Österreich durch seine Urangst davor zu sehr ein?

Schon beim Wort Gen zuckt in Österreich jeder zurück, das ist schrecklich. Wenn ich ein Huhn kaufe, steht "Gen-frei" drauf, das ist völlig absurd. Das Huhn hat schon noch Gene, oder?

Kann es nicht sein, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel in manchen Fällen weniger schädlich sind als sonstige großindustriell hergestellte Lebensmittel? Man sollte differenzieren zwischen guten und nicht guten Möglichkeiten der Gentechnik.

Und ja, wir engen uns da sicher zu sehr ein. Die Arbeitsplätze von morgen werden nicht mehr hauptsächlich in der Tischlerei oder Industrie geschaffen, sondern in Bereichen wie der Biotechnologie. Da müssen wir mitmachen. Das ist sonst so wie mit dem Atomstrom. Wir sind dagegen, importieren den Strom aber aus Frankreich. Das ist Selbstbetrug. Manche Zusätze in Lebensmittel sind längst gentechnisch verändert. Wir sind keine Insel der Seligen mehr. Wir haben oft sehr festgefahrene Meinungen, aber kein adäquates Informationssystem.

Bioethikkommission
Die Kommission berät den Bundeskanzler in gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen und rechtlichen Fragen aus ethischer Sicht. Dabei geht es um Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Entwicklung der Wissenschaften auf dem Gebiet der Humanmedizin und -biologie ergeben. Die Kommission soll die öffentliche Diskussion über Themen wie Sterbehilfe, Stammzellenforschung oder Gentechnik fördern. Sie gibt aber auch ganz konkrete Empfehlungen für die Praxis oder für neue Gesetze ab.

Christiane Druml ist seit 2007 Vorsitzende der 25-köpfigen Kommission und wurde für weitere drei Jahre bestellt. Die Juristin ist Vizerektorin der Medizinischen Uni Wien.