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AMS als Reparaturanstalt

Von Katharina Schmidt

Politik

AMS-Chef: Sprache, Nostrifizierung und Diskriminierung als Hürden für Migranten.


"Wiener Zeitung": Die Arbeitslosigkeit ist auf einem Rekordhoch, Ende Februar waren 440.000 Menschen ohne Job. Die Mangelberufsliste für 2014 ist dennoch relativ lang. Wie erklären Sie das?Johannes Kopf: Dass sich der Arbeitsmarkt teilt und die angebotenen Qualifikationen nicht mit den nachgefragten zusammenpassen, kommt immer wieder vor. Jobs für Unqualifizierte verschwinden, die Arbeitslosenquoten unter Personen mit nur Pflichtschulabschluss haben sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt. Auch die Wirtschaft verändert sich so schnell, dass niemand Spezialtrends - etwa in der IT-Branche - langfristig prognostizieren kann. Daher müssen wir nachdenken, ob wir nicht andere Dinge unterrichten sollten, zum Beispiel Lernfähigkeit und Lernbereitschaft, kreative Neugierde und Flexibilität.

Die Uni Wien beklagt einen Brain Drain - den Wegzug Hochqualifizierter. 35 Prozent der 2012 ausgewanderten waren Fachkräfte. Ist Österreich unattraktiv?

Die Zahl ist nicht verwunderlich, sie ist etwas geringer als der Anteil derer, die in Österreich eine Lehre machen. Österreich ist nicht unattraktiv - pro Jahr kommen etwa 30.000 ausländische Arbeitnehmer ins Land, vor allem aus Ungarn und Deutschland. Viele sind sehr gut qualifiziert und kaum arbeitslos, weil sie für konkrete Jobs gebraucht werden. Im Bereich der Spitzenkräfte, wo wir im Wettbewerb mit den USA, Großbritannien und Deutschland stehen, sind wir zu wenig attraktiv. Bei den Bemühungen der Rot-Weiß-Rot-Karte geht es darum, dass jeder Hochqualifizierte gut für unseren Wirtschaftsstandort ist und Beschäftigung bringt.

Unternehmen bemängeln aber, dass die Rot-Weiß-Rot-Karte nicht wirklich praktikabel ist.

Das stimmt, es gibt Kritik von Unternehmen über Verfahrensdauer und Bürokratie. Das AMS entscheidet schnell, aber die gesamte Verfahrensdauer ist teils ein Problem - vor allem in Wien. Es gibt Bereiche, wo scheinbar bürokratische Hürden Sinn machen. Es wurden schon gefälschte Zeugnisse und welche von erfundenen Unis vorgelegt. Ich verstehe also die sicherheitspolizeilichen Bedenken des Innenministeriums, das nicht ausschließlich auf die Interessen des Betriebs achten kann.

Es ist klar, dass es eine Überprüfung braucht, aber diese Einstellung verhindert eine echte Willkommenskultur, wie sie mit der Rot-Weiß-Rot-Karte intendiert war.

Stimmt. Wir diskutieren das Thema unter dem Gesichtspunkt der illegalen Einwanderung und des Unerwünscht-Seins. Wir brauchen eine Einladungskultur, da geht es wirklich darum, wie wir Spitzenleuten den roten Teppich ausrollen. Es geht auch um die Frage des Images Österreichs im Ausland, das etwa durch unseren Umgang mit Asylwerbern beeinflusst wird. Es braucht ein Umdenken: Wir müssen klar erkennen, dass jede Schlüsselkraft, die wir bekommen, ein Gewinn für Österreich und den Arbeitsmarkt ist und nicht jemand, der uns einen Arbeitsplatz wegnimmt. Das kann ich sogar als AMS-Chef sagen.

Sie haben das Bildungssystem angesprochen. Österreich ist mit dem dualen Ausbildungssystem europaweit ein Vorbild - wo sehen Sie die Schwächen des Systems?

Das ist das Kuriose: Obwohl wir mit der dualen Ausbildung Vorbild für Europa sind, haben auch wir ernstzunehmende Probleme damit. Es gibt schon über einen längeren Zeitraum gesehen einen massiven Rückgang an ausbildenden Betrieben und Lehrlingen. Einerseits verlangt der Wandel der Wirtschaft höhere Einstiegsqualifikationen von den Lehrlingen. Andererseits gibt es einen Trend zur Höherqualifizierung bei Jugendlichen: Die besseren gehen in weiterführende Schulen, die schwächeren, die früher Hilfsarbeiter geworden wären, wollen - gottseidank - eine Lehre machen. Die Kombination aus höheren Anforderungen und niedrigeren Qualifikationen führt dazu, dass Unternehmen weniger Lehrlinge finden. Dass auch schlechtere Jugendliche nicht verloren sind, sieht man aber daran, dass das Auffangnetz des AMS es schafft, von 11.000 Jugendlichen, die oft wegen zu schlechter Zeugnisse keine Lehrstelle gefunden haben, die Hälfte nach einem Jahr im zweiten Lehrjahr in einem Betrieb unterzubringen.

Das Bildungssystem hat hier dann aber völlig versagt.

Wir haben massiven Verbesserungsbedarf, vor allem bei der Frühförderung. Akademikerkinder haben sieben Prozent Risiko, einen Pflichtschulabschluss zu haben, bei Kindern, deren Eltern nur die Pflichtschule haben, liegt dieses Risiko bei über 30 Prozent. Wenn die Familie die Chancengleichheit nicht bieten kann, wer soll es sonst tun, wenn nicht die öffentliche Hand? Deswegen brauchen wir Frühförderung schon im Kindergartenalter. Es ist unbestritten, dass ein Kind eine Zweitsprache leichter lernt, wenn es die Muttersprache gut kann. Dann muss ich aber auch darüber nachdenken, ob ich nicht den türkischstämmigen Kindern am Nachmittag Türkisch unterrichte.

Das ist ein ideologisches Problem.

Ja, aber es ist schade, dass die Chancen unserer Kinder ein ideologisches Problem sein sollen, das gehört geändert. Man muss überhaupt mehr Transparenz in das System bringen. Dann kann man auf Basis von Fakten entscheiden und nicht von Ideologien. Aber es stimmt, das AMS ist ein bisschen Reparaturanstalt für das Schulsystem.

Der Anteil überqualifiziert Beschäftigter lag 2008 bei Menschen mit Migrationshintergrund bei 28 Prozent, Menschen ohne Migrationshintergrund waren zu 10 Prozent überqualifiziert beschäftigt. Warum haben es Migranten so schwer, als Fachkräfte zu reüssieren?

Das hat drei Ursachen. Die erste liegt oft darin, dass diese Menschen noch nicht ordentlich unsere Sprache können. Weil sie trotzdem Geld brauchen, steigen sie unterqualifiziert ein. Ohne die Sprache nutzt einem die Qualifikation weniger. In dieser Zeit verlieren die Menschen auch einen Teil ihrer Qualifikation. Der zweite, sehr ernst zunehmende Grund ist Diskriminierung, offene wie auch versteckte. Der dritte Grund ist das Thema Nostrifikation. Das ist ein kompliziertes Rechtsgebiet, völlig zersplittert auf unterschiedliche Behörden.

Wie kann man Fachkräftemangel der Zukunft eindämpfen?

Fachkräftemangel wird aufgrund der Demografie in den nächsten 20 Jahren immer mehr Thema. Um ihn zu bekämpfen, müssen wir vieles tun: länger arbeiten - da geht es auch um die Frage, wie man sich und seine Qualifikationen länger fit halten kann und wie sich die Unternehmen dazu passend organisieren. Es braucht Zuwanderung und man muss die Potenziale der im Inland befindlichen Migranten besser nutzen. Das Bildungssystem darf nicht zu viele Junge produzieren, die nachher niemand brauchen kann. Man muss das Potenzial der Frauen nutzen - es ist an der Zeit für flächendeckende Ganztagskinderbetreuung, sonst kann man nicht von Wahlfreiheit sprechen. Auch bei Menschen mit Behinderung gibt es Potenziale, die wir nicht nützen, weil wir auf die Behinderung schauen und nicht auf die Fähigkeiten.

Zur Person

Johannes Kopf

Der Jurist, Jahrgang 1973, ist seit 2006 Vorstand des AMS Österreich. Am Freitag diskutiert er im Rahmen der CareerFair-Messe mit Petra Völkerer (AK-Bildungsökonomin) und Sonja Lengauer (Stv. Bereichsleiterin Bildung und Gesellschaft der IV) über das Thema Fachkräftemangel (16 Uhr, Austria Center Vienna, Bruno-Kreisky-Platz 1)

Mehr Informationen und das gesamte Messe-Programm:

http://careerfair.nyc.co.at